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Kleine Äuglein, rote Bäckchen

Kleine Äuglein, rote Bäckchen
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Die Schlichtung bei der Bahn hat noch nicht begonnen – und wieder wird aus allen Rohren geschossen. Gegen die Gewerkschaft GDL und ihren Chef Claus Weselsky. Unser Autor hat im Zug von Bellinzona nach Berlin Zeitungen gelesen.

Eigentlich, so sollte man annehmen, müssten Medien und Deutsche Bahn nach dem Abbruch des Streiks und der Einigung der Tarifparteien auf eine Schlichtung einen gemäßigten Ton anschlagen. Offenkundig existiert nunmehr eine berechtigte Chance auf eine überzeugende, die Lage befriedigende Einigung bis Mitte Juni. Tatsächlich gibt es jedoch auf drei Ebenen Anzeichen dafür, dass viel dafür getan werden wird, um in der Schlichtung eine Einigung zu verhindern.

Erstens: Fortgesetzte Häme und Hetze gegen die GDL und Claus Weselsky

Die "Süddeutsche Zeitung" vom 22. Mai bringt auf Seite zwei als Aufmacherfoto einen strahlenden Weselsky (kleine Äuglein, rote Bäckchen), dazu die Schlagzeile: "War ich gut?" und sein Zitat: "Ich bin bekanntlich einer, der etwas von Strategie und Taktik versteht." Tenor: Weselsky ist ein eingebildeter Machtmensch. Schlichter Ramelow wird gleich mit abgebürstet: "Hat jemand jemals einen Schlichter erlebt, dessen erste Amtshandlung darin besteht, aufzuwiegeln?" Dabei sagte Ramelow nur die Wahrheit, als er feststellte: "Es war ein Fehler der Deutschen Bahn, so lange auf Vollkonfrontation zu setzen. Ich habe in meinem Leben ein derart unprofessionelles Vorgehen noch nie erlebt."

Ramelow ist, nur nebenbei, der von der GDL bestellte Schlichter, ein bisschen eigene Meinung darf da wohl sein. Platzek, als der von der DB AG ausgewählte Moderator, äußerte sich zuvor ebenfalls parteiisch. Vor allem gab er sich vor mehr als einer Woche dazu her, sich von Bahnchef Grube als den Schlichter präsentieren zu lassen, ohne zuvor mit der GDL das vertrauliche Gespräch über diesen Vorschlag gesucht zu haben.

Das "Handelsblatt" vom gleichen Tag geht bereits davon aus, dass die Schlichtung kein Ergebnis bringen kann – und sieht die Verantwortung beim GDL-Bundesvorsitzenden. Die Zeitung schreibt: "Je näher das Gesetz der Tarifeinheit rückt, desto deutlicher die Kehrtwende des Cheflokführers. Jetzt kämpft er ums Ganze. In Gewerkschaftskreisen glauben daher nicht wenige, dass Weselsky in Wahrheit gar keinen Tarifabschluss will. Dass er den Konflikt bewusst eskaliert." Und weiter: "Was sich da abspielt, ist Klassenkampf." Das sagt allerdings nicht das Blatt des Kapitals, sondern eine Dame mit Namen Gertrud Franz, 84 Jahre alt, eine der früheren Lehrerinnen von Claus Weselsky. Der Kommentator in der "Bild"-Zzeitung kommt zum selben Ergebnis: "Der Lokführer-Chef setzt weiter auf Klassenkampf."

Das "Handelsblatt" vom Pfingstwochenende widmet dem GDL-Streik gleich sieben Seiten, fast ausschließlich mit Weselsky gefüllt. Auf dem Titel ein genüsslich Zigarillo rauchender Gewerkschaftsboss, daneben die Schlagzeile "Auf dem toten Gleis. Ein Mann legte die Republik lahm". Wieder gibt es die ansonsten eher aus "Bild" bekannten Klischees: "Weselsky spaltet. Darf man diesen Machtkampf auf dem Rücken von Millionen austragen?" Es gehe ihm "um Eitelkeiten". Natürlich darf nicht fehlen, dass der Mann "in einem schwierigen Familienumfeld groß geworden" sei. Für das Blatt ergibt sich das "Bild eines Mannes, der aus einfachen Verhältnissen kommt und unbedingt nach oben will, der inzwischen gar keinen Ausweg mehr findet aus seinem Kampf, den er an vier Fronten gleichzeitig kämpft: gegen die Bahn, gegen die EVG, gegen die genervte Öffentlichkeit und Politik; gegen die eigenen Leute (!), die den Streik langsam im eigenen Portemonnaie spüren – und gegen die eigene Vergangenheit, die ihn nun mit Wucht einzuholen droht."

An dieser Stelle denkt man: Ups – was kommt jetzt bloß? Hat der Mann eine Dissertation mit dem Titel "Die marxistisch-leninistische Betriebsführung bei der Deutschen Reichsbahn" geschrieben? Oder wird er als "IM Tender" enttarnt? Hat er möglicherweise Reichsbahnkollegen mit Dampflok-Kohle bei der Stasi angeschwärzt? Mit geklauter, womöglich? Zumal im Artikel neben dieser Textstelle ein bräunliches Foto, Typ DDR-Kombinat ORWO, Wolfen, eingefügt ist. Weselsky, etwas jünger fürwahr, mit einer Frau im Arm, tanzend (sieht nach Foxtrott aus). Die Tanzpartnerin ist seine Ex, die ein weiteres Mal als Kronzeugin auftreten darf, nunmehr den Egotrip des C. W. bezeugend: "Er hat alle hintergangen, um oben anzukommen."

Zweitens: Intrigantenstadel Deutsche Bahn mit Juniorpartner EVG

Für den vergangenen Mittwoch hatte die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG nach Berlin mobilisiert. Man werde wohl tags darauf oder am Freitag einen Tarifvertrag abschließen, hieß es. Immerhin, so zitierte "Die Welt" (22. 5.) einen EVG-Funktionär, habe man "für die hoffentlich finalen Verhandlungen (die) Zahnbürsten mitgebracht". Die Dramaturgie lautete offensichtlich: Während die GDL zum neunten Mal streikt, zeigen wir, wie es auch ohne geht – mit einem klaren Plus in der Lohntüte. Doch dann teilten die "Tarifpartner" Bahn und EVG am Freitagmorgen mit, man habe sich auf den 27. Mai vertagt.

Zum weiteren Zeitplan sagte der EVG-Vorsitzende Alexander Kirchner: "Da nehmen wir jetzt auch keine Rücksicht auf die Schlichtung." Und Personalvorstand Weber assistierte: "Schlichtungsverfahren einerseits und EVG-Verhandlungen andererseits haben nichts miteinander zu tun."

Irgendwie seltsam. Die Bahn sagt, sie benötige weitgehend inhaltsgleiche, zumindest "widerspruchsfreie" Tarifverträge mit EVG einerseits und GDL andererseits. Und stimmt dann zu, dass am gleichen Tag mit der EVG verhandelt und zwischen Bahn und GDL geschlichtet wird.

Drittens: Keine Information über die Grundlagen der Schlichtung

Nirgendwo wird ausreichend und sachlich kommuniziert, wie die Grundlagen der Schlichtung aussehen. Wenn darauf Bezug genommen wird, dann in der Form, dass die GDL zitiert und das Ganze im Konjunktiv gehalten wird. Beispielhaft in "Die Welt" (22. 5.): "Mit der Einigung auf eine Schlichtung sind nach Ansicht der GDL nun unterschiedliche Tarifverträge mit konkurrierenden Bahngewerkschaften möglich. Die Deutsche Bahn habe zugesagt, dass die von der GDL vertretenen Mitglieder auch dann Tarifverträge bekämen, wenn es keine Tarifeinheit gebe." Ganz ähnlich in der FAZ: "Weselsky sagte zur Begründung für sein Einlenken, die Bahn habe akzeptiert, dass die Tarifverträge anderer Gewerkschaften für die Annahme eines Schlichterspruchs oder den Abschluss eines Tarifvertrags kein Rolle spielten. Für die Schlichtung sei ein 20-Punkte-Katalog festgelegt worden."

Warum, so ist zu fragen, recherchieren diese Medien nicht und bestätigen unzweideutig, dass es diese klaren Abmachungen gibt? Warum behaupten sie erneut, GDL beziehungsweise Weselsky hätten "erst jetzt" oder – so die FAZ – "unter Druck einer Schlichtung zugestimmt"? Warum zeigen sie ihren Leserinnen und Lesern nicht, was sie doch als PDF auf ihren Bildschirmen und als Print in ihren Händen haben: Dass die GDL in der Woche zuvor der Deutschen Bahn AG in den internen, bilateralen Gesprächen einen ausführlichen, vergleichbaren Text als Grundlage eines Schlichtungsverfahrens vorgelegt hatte? Dass die DB AG darüber nicht verhandelt hat? Dass diese die Gespräche abgebrochen hatte, was dann erst Anlass zum neunten Streik war? Dass es also gar nicht stimmt, dass die GDL erst jetzt einer Schlichtung zustimmte?

Doch genau das, was Grundlage der Schlichtung ist, werde es, so weiß es vor der Schlichtung bereits das "Handelsblatt" (22. 5.), nicht geben. "Weselsky verfolgt das Ziel eines eigenen Tarifvertrags für Lokführer und Zugpersonal, eine Forderung, die die Bahn partout nicht erfüllen will – Schlichtung hin oder her."

Starker Tobak. Einerseits ist es Grundlage der Schlichtung, dass das Ziel ein solcher "eigener Tarifvertrag für Lokführer und Zugpersonal" ist. Deutsche Bahn AG und GDL und die beiden Schlichter haben dieser Grundlage zugestimmt. Andererseits schreibt das kapitale Blatt, die DB AG werde dem "nie zustimmen". Und Herrn Weselsky drohe "den Kampf seines Lebens (zu) verlieren".

PS: Die im Vergleich zur Schweiz deutlich niedrigeren Einkommen der deutschen Lokführer führen inzwischen zu einer grotesken Situation: Schweizer Eisenbahnunternehmen lassen deutsche Lokführer per Flugzeug nach Basel einfliegen. Diese fahren Güterzüge von Basel nach Chiasso an der schweizerisch-italienischen Grenze und von dort aus Italien kommende Güterzüge von Chiasso zurück nach Basel. Von hier geht es mit dem Flieger zurück an den deutschen Wohnort. Alles, um den Einsatz "teurer" Schweizer Lokführer zu vermeiden.


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13 Kommentare verfügbar

  • Wolfgang Prestel
    am 12.06.2015
    Antworten
    Mindestlohn in der Schweizfür lokführer. In der Schweiz besteht eine Lohnweisung, so nennt sich dort der Mindestlohn, für Fahrten von ausländischen Lokführern durch die Schweiz.

    Und das was da geschrieben wird zu den Schichten, das geht gar nicht. Basel-Chiasso dauert zwischen 5 und 6 Stunden.…
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