KONTEXT:Wochenzeitung
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Professor Filz

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Was macht eigentlich Wolfgang Schuster, Stuttgarts langjähriger CDU-Oberbürgermeister und Stuttgart-21-Protegist? Der kommunalpolitische Hansdampf sitzt nicht auf dem Altenteil, jobbt hauptamtlich bei der Deutschen Telekom Stiftung – und nutzt sein Netzwerk nach Kräften.

Manchmal durchschießt einen der Gedanke an jemanden, der früher im Rampenlicht stand und von dem man schon lange nichts mehr gehört hat: "Was macht eigentlich Wolfgang Schuster?", könnte eine derartige Frage lauten. Am 5. Januar 2013 wurde der CDU-Politiker nach 16-jähriger Amtszeit als Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Stuttgart "festlich verabschiedet und vom Land Baden-Württemberg für seine kommunalwissenschaftliche Arbeit zum Professor ernannt", wie die städtische Biografie vermerkt. Sein Abgang wurde auch gefeiert von den Stuttgart-21-Kritikern, war Schuster doch derjenige, der das Milliardenprojekt immer promotete und protegierte, etwa mit einer fragwürdigen Wahlempfehlung zur Volksabstimmung im November 2011. Was macht Schuster derzeit? Den vakanten <link http: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft springen-wenn-die-bahn-ruft-2812.html _blank>Posten des S-21-Projektsprechers übernimmt bekanntlich ein anderer.

Wie man weiß, begab sich Schuster als Exschultes nicht aufs Altenteil. Auch "als Pensionär setzt er sich weiter für kommunalpolitische Themen auf internationaler Ebene ein", wie die Stadtbiografen betonen. Nach Ablegen der Amtskette gründete der damals 65-Jährige das Institut für nachhaltige Stadtentwicklung (I-NSE) sowie die European Foundation for Education (EFE), die gegen Jugendarbeitslosigkeit auf europäischer Ebene kämpft. Passend nannte sich Professor Schuster zusätzlich Direktor beziehungsweise Präsident seiner Einrichtungen. Zudem nahm der Pensionär weitere Posten und Pöstchen aus seiner OB-Zeit mit ins Rentnerdasein. "Er arbeitet auf Bundesebene im Rat für nachhaltige Stadtentwicklung, berät die Bundesregierung bei der Demografiestrategie und ist Präsident des Rates der Gemeinden und Regionen Europas", klärt etwa Wikipedia auf.

Doch Schusters aktuelles Wirken verschweigt die Online-Enzyklopädie. Auch andere Kanäle verraten kaum mehr. Schusters Homepage, die bis heute das offizielle Stuttgart-Logo schmückt, ist nur bis zum Amtsabschied vor zwei Jahren aktualisiert. Auf Facebook teilte er zuletzt am 22. Dezember 2014 einen Link der "Rems-Zeitung" zu einem Bericht über Stadtentwicklung in der schwäbischen Provinz ("Mit Gartenschau-​Schwung die Agenda 'Gmünd 2020' auf den Weg gebracht"). Selbst Google spuckt nur Vergangenes aus. Es braucht detektivischen Spürsinn, um herauszufinden, wo und wie der Hansdampf aktuell wirbelt.

Den Schwaben zieht es an den Mittelrhein

In den von ihm gegründeten Institutionen kaum noch. So landet etwa ein Anruf bei I-NSE oder EFE, beide haben die gleiche Rufnummer, beim Stuttgarter Kolping Bildungswerk, wo die beiden Einrichtungen Untermieter sind. "Professor Schuster ist nur noch ein- bis zweimal in der Woche hier", versichert eine Mitarbeiterin. Ansonsten hat das einstige Stadtoberhaupt seinen Tätigkeitsschwerpunkt vom Neckar an den Mittelrhein verlegt. "Nach Bonn, zur Deutschen Telekom Stiftung", erklärt die Telefonstimme. Seit Jahresbeginn amtiert Wolfgang Schuster als deren Vorsitzender. Als Nachfolger von Ex-Außenminister Klaus Kinkel (FDP), der der Stiftung seit ihrer Gründung im Jahr 2003 vorstand.

Mit einem Stiftungskapital von 150 Millionen Euro gehört die Deutsche Telekom Stiftung zu den großen Unternehmensstiftungen in Deutschland. "Dies ermöglicht uns, wirkungsvolle Projekte zur Verbesserung der Bildung in den MINT-Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik zu konzipieren und umzusetzen", beschreibt die Einrichtung im Internet ihren Auftrag. Als führender Dienstleistungskonzern der Telekommunikationsbranche wolle die Deutsche Telekom auf diese Weise gesellschaftliche Verantwortung gegenüber dem Gemeinwesen wahrnehmen und einen Beitrag zur Entwicklung der Gesellschaft leisten. Die Stiftung "unterstützt das Konzernleitbild des Unternehmens und trägt dazu bei, die Entwicklung einer vernetzten Wissens- und Informationsgesellschaft national und international zu fördern und mitzugestalten".

Das Bildungsengagement der Stiftung beginnt mit der MINT-Bildung im Kindergarten, verbindet schulisches und außerschulisches Lernen und reicht unter dem Motto "Motivierte und begabte Lehrer braucht das Land!" bis zur Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften. Daneben gibt die Stiftung gemeinsam mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) seit 2005 den Innovationsindikator heraus. In den jährlichen Studien analysieren Experten die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit der wichtigsten Industrieländer sowie deren Stärken und Schwächen in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung, Staat und Gesellschaft. Zudem fördert die Stiftung mit anderen Unternehmen den Deutschen Zukunftspreis, den Preis des Bundespräsidenten für Technik und Innovation, der mit einer Dotierung von 250 000 Euro zu den bedeutendsten Wissenschaftspreisen in Deutschland zählt.

Die Telekom Stiftung folgt damit einem Schema, an dem sich auch Kritik entzündet. Unter dem Mantel Bildungspartnerschaft würden Industrie und Wirtschaft mitunter auch Eigeninteressen vertreten, warnt etwa der Bielefelder Soziologe Reinhold Hedtke. "Ein konservativ-wirtschaftsliberales Netzwerk dominiert den Diskurs und dringt mit politisch einseitigen Unterrichtsmaterialien bereits heute breit und tief in die Schulen ein", beklagte Hedtke vor Kurzem in Kontext ein einseitiges Agendasetting in der deutschen Bildungspolitik.

Auch die Initiative Lobbycontrol hält einen kritischen Blick auf das Bildungsengagement von Unternehmen und deren Stiftungen für angebracht. "Bildungsthemen sind grundsätzlich positiv besetzt", konstatiert Lobbycontroller Felix Kamella im selben Bericht, dass immer mehr Unternehmen durch schulisches Engagement auch gesellschaftliche Diskussionen und Debatten zu beeinflussen versuchen. Deep Lobbying hat sich als Fachbegriff dafür längst etabliert.

Keine Zeit für ein Gespräch

Neben einer persönlichen Bilanz nach vier Monaten am neuen Wirkungsort hätte Kontext Wolfgang Schuster gern als Stiftungsvorstand auch zu diesem Komplex befragt. Doch nach einer vom Sekretariat zunächst positiv aufgenommenen Interviewanfrage ("Wegen einer abgesagten Auslandsreise sollte Professor Schuster am kommenden Montag Zeit für ein Telefongespräch haben") gab es letztlich eine zumindest vorübergehende Absage. Über das lange Maiwochenende füllte sich Schusters Terminkalender offenbar derart mit Tagungen, Kolloquien und Reisen, dass "ein Interview in dieser Woche leider nicht möglich ist", wie die Pressesprecherin mitteilte.

Schuster, der als Stuttgarter Stadtoberhaupt extrem publicitysüchtig war und keine Gelegenheit ausließ, im Blitzlichtgewitter zu stehen, hält sich als Stiftungsvorstand auffallend zurück. Während etwa die Startseite seines Nachhaltigkeitsinstituts vor Lobeshymnen über ihn von berühmten Persönlichkeiten wie Bundeskanzlerin Angela Merkel und der einstigen Bundesbildungsministerin und derzeitigen deutschen Botschafterin am Vatikan, Annette Schavan, überquillt, finden sich auf den Telekom-Seiten bislang nur erste Spuren. Als Stiftungsvorstand tritt er explizit bislang im Portal des Deutschen Zukunftspreises in Erscheinung, wo er bessere MINT-Bildung als unerlässlich für Deutschland, das "Land der Dichter und Denker" postuliert.

Jedoch absolvierte er als Stiftungsvorstand bereits mehrere Auftritte auf Veranstaltungen der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Kroatien. In Zagreb referierte Schuster Mitte April über das duale Ausbildungssystem in Deutschland. Einen Tag später plauderte er auf einer Bürgermeisterkonferenz in Vodice über seine Zeit als Stuttgarter Oberbürgermeister.

Die der CDU nahestehende KAS betreibt in Zagreb eines ihrer rund 80 Auslandsbüros. In der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik arbeitet die KAS eng mit der Stiftung des Kroatischen Staatlichen Eides (ZHDZ) zusammen, deren Stiftungsträger die konservative Mitte-rechts-Partei Kroatische Demokratische Union (HDZ) ist. Bis zum Tod des Parteimitgründers Franjo Tudman im Dezember 1999, dem ersten Staatspräsidenten Kroatiens nach der Loslösung von Jugoslawien, galt die HDZ noch als nationalistische Partei.

Schuster selbst stand schon als Oberbürgermeister der Konrad-Adenauer-Stiftung nahe. Im November 2012 wurde er Mitglied des neu gegründeten Stiftungsbeirats Kommunalpolitik. Nach Räumen des OB-Sessels intensivierte sich die Zusammenarbeit im vergangenen Jahr. Auf Einladung der KAS referierte Schuster mal über nachhaltige Stadtentwicklung, mal über arbeitsmarktgerechte Ausbildung in verschiedenen Ländern Süd- und Südosteuropas.

Auf neuem Posten schaffte es der umtriebige Exschultes auch in eine Institution zurück, aus der er sich zu OB-Zeiten wegen Filzvorwürfen vorübergehend zurückgezogen hatte, nämlich in die Stiftung Lebendige Stadt. "Die Stiftung ist eine Initiative von Alexander Otto, dem Gesellschafter und vorsitzenden Geschäftsführer der ECE Projektmanagement, die wiederum zum Otto-Konzern gehört", beschreibt Lobbypedia die Lebendige Stadt. Die Stiftung sei formal unabhängig, aber eng mit dem Shoppingcenter-Betreiber ECE verbunden. "Sie dient insbesondere der Image- und Netzwerkpflege des Unternehmens, dessen zahlreiche Immobilienprojekte immer wieder auf gesellschaftlichen Widerstand stoßen", so Lobbypedia.

Schusters Comeback in die Lebendige Stadt

Medienberichte enthüllten im Herbst 2010, dass mehrere mit dem Bahnprojekt Stuttgart 21 verbundene Persönlichkeiten im Stiftungsrat vertreten waren. Darunter die damalige Landesverkehrsministerin Tanja Gönner (CDU), Tiefbahnhof-Architekt Christoph Ingenhoven – und Stuttgarts damaliger OB Schuster. Im Vorstand der Stiftung sitzt bis heute Friederike Beyer, die Lebensgefährtin des ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten und heutigen EU-Kommissars Günther Oettinger.

Auf dem sogenannten A-1-Areal von Stuttgart 21 plante die ECE im Jahr 2010 den Bau des größten Einkaufszentrums Süddeutschlands. Schuster galt als treibende Kraft, die das 500-Millionen-Euro-Projekt trotz massiver Widerstände durch die kommunalpolitischen Gremien boxte. Nach den Medienberichten zog sich Schuster im September 2010 aus dem Stiftungsrat zurück, "um jeglichen Anschein eines Interessenkonflikts zu vermeiden". Ministerin Gönner ließ ihre Mitgliedschaft einen Monat später ruhen.

Sowohl Gönner, die seit Juli 2012 Vorstandssprecherin der bundeseigenen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ist, als auch Architekt Ingenhoven sind heute nicht mehr in der Lebendigen Stadt vertreten. Wolfgang Schuster dagegen stieg als Telekom-Stiftungsvorstand sogar ins Kuratorium der Otto-Stiftung auf. Das Gremium entscheidet über die Verwendung der Stiftungsmittel und überwacht die Vorstandsarbeit. Früher als Stiftungsrat hatte Schuster laut Satzung nur beratende Funktion.


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8 Kommentare verfügbar

  • Kornelia
    am 07.05.2015
    Antworten
    Schade um die Tinte und dem "Mann" wird einfach zu viel Ehe geschenkt! Mein Verachtungsloch kann gar nicht tief genug sein für diesen verantwortungslosen Hetzer!

    Aber vom Kontext hätte ich Hintergrund erwartet? Zahlen! Was erhält S. für seinen job? Vergleich telekom- Bahn: scheinprivatisierte…
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