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Frag nach im Flüchtlingsheim

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Hiesige Unternehmen, Verbände und Politiker stecken viel Energie in die Anwerbung von Azubis und Fachkräften aus europäischen Krisenländern, dem Nahen Osten oder China. Dabei müssten sie nur im nächsten Flüchtlingswohnheim klingeln. Etwa die Hälfte aller Asylbewerber im Südwesten hat studiert oder eine Berufsausbildung vorzuweisen.

Strahlend und reichlich unbedarft erzählen die beiden jungen Katalanen dem baden-württembergischen Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD), dass sie im bayerischen Augsburg eine kaufmännische Lehre absolvieren wollen. Warum sie dann zum "Baden-Württemberg-Tag" gekommen sind, bei dem das Land vergangene Woche in Barcelona eine breite Skala von Beschäftigungsmöglichkeiten präsentierte, bleibt ihr Geheimnis. Obendrein muss die kurze Unterhaltung auf Englisch geführt werden. Deutsch? Fehlanzeige. "Da wird nichts laufen", prophezeit einer der mitgereisten Experten von der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV). Die fehlende Sprachkompetenz sei eine kaum zu überwindende Hürde.

Wenn das so ist, was alle Fachleute unisono bestätigten, haben Griechen und Portugiesen, Spanier oder Rumänen selten einen Startvorteil gegenüber den potenziellen Arbeitskräften, die bereits im Land sind. Die Bundesagentur für Arbeit hat erhoben, dass "rund 20 Prozent der Flüchtlinge einen Uniabschluss besitzen und zwischen 30 bis 35 Prozent einen Abschluss, der dem der deutschen Facharbeiter entspricht". Viele Techniker sind darunter, Rechtsanwälte und -innen, IT-Spezialisten, Krankenschwestern oder Handwerker und jede Menge junge Leute mit der großen Hoffnung auf eine Perspektive in Sicherheit. Nicht wenige sprechen neben ihrer Muttersprache perfekt Englisch oder Französisch.

Dieses Kapital will "Early Intervention" nutzen, ein Projekt, das Auswanderer wider Willen für den deutschen Arbeitsmarkt rüstet. Freiburg ist einer der bundesweit inzwischen neun Standorte. Stand Ende 2014 hatten von 70 Asylbewerbern mit Bleibeperspektive nur sieben tatsächlich einen Arbeitsplatz. Raimund Becker, der Regionalvorstand der Bundesagentur, ist dennoch zufrieden: Es gehe hauptsächlich darum, erste Erfahrungen zu sammeln, um das Programm längerfristig bundesweit ausbauen zu können.

Ingenieure aus dem Libanon statt aus dem Flüchtlingsheim

An Motivation der Flüchtlinge im Land fehle es jedenfalls nicht, weiß Cornelia Lanz. Die Stuttgarter Mezzosopranistin ist die Leiterin des Opernprojekts ("Così fan tutte") mit syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen, das bundesweit für Furore sorgt. Aus der gemeinsamen Arbeit, die derzeit in Augsburg mit dem Mozart-Singspiel "Zaide" fortgesetzt wird, kennt sie Dutzende Einzelfälle: wie den des jungen Zahnarzts und Altenpflegers aus Afghanistan, der sogar hervorragend Deutsch spricht, aber nicht vermittelt werden kann, weil sein Aufenthaltsstatus nicht geklärt ist. Oder den des syrischen Volljuristen, der mit seinem Schicksal hadert, weil er kein Deutsch kann und ohnehin seine Examen nicht anerkannt würde. Sie kennt Schlosser und Schreiner und Elektriker, die beim Aufbau des Bühnenbilds mithelfen, Jugendliche, "die nichts mehr als lernen und arbeiten wollen". Stattdessen hole Deutschland Chinesinnen, wundert sich Lanz.

Oder Ingenieure aus dem Libanon, weil in Baden-Württemberg, wie es in der Beschreibung des seit Mitte März laufenden Projekts "Engineers for Germany" der RWTH Aachen mit Unterstützung der Ingenieurkammer Baden-Württemberg heißt, rund 20 000 Bewerber und Bewerberinnen aller Fachrichtungen fehlen und "insbesondere mittelständische Unternehmen außerhalb der Ballungsräume Schwierigkeiten haben, offene Stellen zu besetzen". 13 Einwanderer, die ausdrücklich nicht Deutsch sprechen müssen, sondern Arabisch und Englisch oder Französisch, sollen im September die Arbeit aufnehmen. Ein zweiter Kontrakt mit Jordanien ist in Vorbereitung. Wie viele Ingenieure als Flüchtlinge aus Syrien längst im Land sind, hat niemand erhoben.

Viele wollen nur einen Aufenthalt auf Zeit

Dafür gibt es Statistiken zum Thema Rückwanderung. Nach den OECD-Zahlen gehen zwei Drittel der Ankömmlinge "bereits nach einem Aufenthalt von weniger als einem Jahr wieder in ihre Heimat". Eine, die geblieben ist – Maria, Krankenschwester aus Ludwigsburg –, hat Wirtschaftsminister Schmid in Barcelona getroffen. Sie erzählt vom sehr schweren Anfang, dem Abschied von der Familie und dem mühevollen Deutschlernen, von Heimweh und Hoffnungen. Viele ihrer Landsleute hätten "aus Verzweiflung aufgegeben". Gerade Jugendliche träumten von einer Ausbildung und vom Geldverdienen in Deutschland, berichtet ein Kammervertreter. Die Realität ist aber weiterhin eine andere: Im Sommer boomt an der Küste die Schwarzarbeit im Tourismus, und dann reichen die Ersparnisse wieder für den nächsten Winter. "Wir teilen sehr viele Werte", wirbt der katalanische Beschäftigungsminister für Arbeitsmobilität – aber der Teufel steckt im Nebensatz. Die nämlich dürfe niemals "Muss oder Einbahnstraße sein".

Die Bilanz bleibt trotz immer neuer Anstrengungen mager. Vor einem Jahr haben Katalonien und Baden-Württemberg, vertreten durch Winfried Kretschmann, eine Vereinbarung unterzeichnet zur nachhaltigen Kooperation in den Bereichen Fachkräfte, berufliche Bildung und Hochschulen. Verlängert wurde damit die lange Tradition, aneinander vorbeizureden, auch auf europäischer Ebene. Viele der Arbeitsmigranten wollen nur einen Aufenthalt auf Zeit, wollen mit gutem Geld die Familie daheim unterstützen, um in absehbarer Zeit in ihr früheres Leben zurückzukehren.

Im 36-seitigen Evaluationsbericht der unter dem Namen "Aktion Nikolaus" bekannt gewordenen Anwerbungskampagne nach Stuttgart von 2011 sind die festen Bande in die Heimat beschrieben: In 18 Monaten seien "insgesamt 97 Reisen nach Hause angetreten worden, das sind im Durchschnitt etwa fünf Reisen pro Person". Was mit Unzufriedenheit am jeweiligen Arbeitsplatz wohl kaum zu erklären sein dürfte. Es gebe jede Menge Job-Alternativen in Deutschland.

Einen Überblick über das Angebot in allen Bereichen bietet das von der EU ins Leben gerufene Jobportal Eures. Aktuell stehen dort 764 700 freie Stellen, davon 60 000 in Baden-Württemberg. Ausweislich des Bedarfs könnten sogar Asylbewerber ohne Berufsausbildung zum Zuge kommen, denn registriert sind 2700 Stellen mit dem Zusatz "keine Vorkenntnisse erforderlich". Allein für Stuttgart stehen unter der Kategorie "Hilfstätigkeiten" 490 Angebote im Netz.

"Wir müssen unsere Möglichkeiten im Inland wieder mehr in den Blick nehmen", sagt ein Verbandsvertreter in Barcelona. Die Landesregierung will für sogenannte arbeitsmarktnahe Flüchtlinge einen möglichst frühzeitigen Einstieg in die Arbeitswelt ebenfalls erleichtern. Das Sozialministerium fördert zum Beispiel siebenwöchige Betriebspraktika an den Standorten Mannheim, Ludwigsburg, Karlsruhe, Albstadt und Tübingen. Voraussetzung sei "Arbeitserfahrung und/oder eine Ausbildung und/oder ein Hochschulabschluss sowie Deutschkenntnisse".

Keiner will für bessere Deutschkenntnisse bezahlen

Allein allerdings, um aus diesen Kenntnissen stabil anzuwendende Fähigkeiten im Berufsalltag zu machen, rechnen Experten mit mindestens 2000 Euro pro Teilnehmer, egal ob aus der Flüchtlingsunterkunft oder von der Iberischen Halbinsel. Viel ist in einschlägigen Foren die Rede von den notwendigen Sprachniveaus nach dem europäischen Referenzrahmen: B 1 ("Kann die Hauptpunkte verstehen, wenn klare Standardsprache verwendet wird und wenn es um vertraute Dinge aus Arbeit, Schule, Freizeit geht") oder B 2 ("Kann sich so spontan und fließend verständigen, dass ein normales Gespräch mit Muttersprachlern ohne größere Anstrengung auf beiden Seiten gut möglich ist", einschließlich Fachdiskussionen im eigenen speziellen Gebiet).

Was fehlt, ist Geld: im Land, in den Kommunen, in den Unternehmen und dem Bundesamt für Migration. Auch der Bund will nichts geben für zusätzliche Sprachprogramme, weshalb Arbeitsmarkt-Experten Mittel umlenken möchten – gerade aus dem Anwerbungstopf zur "Förderung der beruflichen Mobilität von ausbildungsinteressierten Jugendlichen aus Europa". Zwischen 2013 und 2018 stehen in Deutschland 560 Millionen Euro zur Verfügung – trotz der Erkenntnis, wie groß der Drang zur Rückkehr ist. "Flüchtlinge brauchen nicht angeworben zu werden", so Christian Rauch, Chef der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit, "denn sie haben ihre Entscheidung für Deutschland bereits getroffen."

Warum also in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nahe? Weil vor allem Unionspolitiker den entscheidenden Schritt nicht gehen. Selbst unter den seit so vielen Jahren besonders Hartherzigen kam endlich die Erkenntnis an, dass Deutschland eben doch ein Einwanderungsland ist. Heruntergebrochen gerade auf den wortreich beschworenen Fachkräftemangel, der in den kommenden Jahren in die Millionen gehen wird, ist sie immer noch nicht.

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) schimpft auf die Arbeitgeber, weil die "so wenig kreativ sind, wenn es darum geht, den richtigen qualifizierten Menschen einen Arbeitsplatz anzubieten".

Dabei müsste er vor der eigenen Türe kehren: Er blockiert ein Einwanderungsgesetz, plädiert lieber reichlich unkonkret für modernes Zuwanderungsmanagement und für eine Stärkung des Interesses an der deutschen Sprache schon im Ausland.

Das Tandem an der Spitze des baden-württembergischen CDU-Landesverbands, Thomas Strobl und Guido Wolf, eiert durchs heikle Thema, haarscharf immer in Gefahr, doch in Richtung Populismus abzurutschen, statt offensiv für Integration durch Arbeit und Ausbildung zu werben. Vor allem CSU-Politiker diskreditieren einschlägige Projekte als falschen Anreiz.

Cornelia Lanz, die Stuttgarter Mezzosopranistin, wünscht sich hingegen etwas ganz anderes: dass "wir den Schalter umlegen". Denn unter Bürgerkriegsflüchtlingen seien "so viele zielstrebige Leute". Und die wollten "nicht mehr rumsitzen, sondern ein Teil der deutschen Gesellschaft werden und Steuern zahlen".

 

Info:

Drei Mal wird "Così fan tutte" im Land noch aufgeführt: am 13. Mai in der Stadthalle Calw, am 14. Mai im Tollhaus Karlsruhe und am 4. Juni im Stuttgarter Theaterhaus, im Rahmen des Deutschen Evangelischen Kirchentags.


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3 Kommentare verfügbar

  • Dr. Diethelm Gscheidle
    am 07.05.2015
    Antworten
    Werter Herr Hallmackeneder,

    auch ich war der Mindestlohn-Problematik ausgesetzt, da die stinkfaule Putzfrau in meinem Forschungsinstitut trotz des fürstlichen Gehaltes, das ich ihr bezahle, unter den arbeitsplatzvernichtenden Mindestlohn kam, so dass ich sie beinahe entlassen hätte (ich hätte sie…
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