Wenn sich Tsipras aber auf dem bevorstehenden, noch viel schwierigeren Teil einer europäischen Verhandlungsstrecke voller Fallstricke und gegen die erwartbaren Querschüsse sowie Intrigen der international bestens vernetzten alten griechischen Machteliten letzten Endes dennoch erfolgreich behaupten könnte, würde dies der antiautoritären linken Protestbewegung Podemos in Spanien einen entscheidenden Schub für die Parlamentswahlen im November geben. Für ihren jungen Anführer Pablo Iglesias ist Alexis Tsipras Vorbild und zugleich Stimulanz für seinen Wahlkampf. Er hat bis jetzt in den Umfragen gute Chancen, den konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy, einen Lieblingseleven Angela Merkels und folgsamen Anhänger ihres Austeritätskurses, aus dem Sattel zu heben.
Die politischen Routiniers in den Hauptstädten der EU-Mitgliedsstaaten und in Brüssel sind erleichtert, dass die neuen, aber unerfahrenen griechischen Popstars nach ihren ersten spektakulären und antiautoritären Auftritten inzwischen – zumindest formal – die Spielregeln der europäischen Hilfsprogramme geschluckt haben.
Für die Politroutiniers ist Varoufakis ein Halbstarker
Insbesondere Finanzminister Varoufakis provozierte seine Kollegen in der Eurogruppe zunächst mit der Wahrheit einer verzweifelten ökonomischen und finanziellen Lage seines Landes sowie deren Ursachen. Diese Vorlesung reizte das Kollegium eher. Anschließend ließ er sich dann aber folgsam zur Einhaltung aller Regeln ermahnen und mit prozeduralen Belehrungen zwiebeln.
Dieses Erziehungsritual der Routiniers in der Eurogruppe für den aus ihrer Sicht schwer erziehbaren Halbstarken in Lederjacke und seinen kämpferischen Ministerpräsidenten unter telefonischer Beihilfe der Bundeskanzlerin mit dem anschließend jovialen "Na also, geht doch", sorgte für den ersten sichtbaren Kratzer an der Autorität der idealistischen Frischlinge aus Athen. Aber man sollte daraus nicht schlussfolgern, dass Varoufakis künftig – für viele ungewohnt und provokant – schlichte ökonomische und politische Wahrheiten nicht mehr ausspricht und damit neue Empörungswogen auslöst.
Natürlich machen die griechischen Newcomer verhandlungstechnisch und kommunikativ auf dem holprigen europäischen Spielfeld manchen Stockfehler. Wie geduldig und zäh Tsipras und Varoufakis das Spiel der Eurogruppe bisher mitmachen, zeigt aber auch, dass der neuen griechischen Regierung sehr wohl bewusst ist, wie allein und isoliert sie im europäischen Politikbetrieb trotz freundlicher Begrüßungsfotos in Wahrheit dasteht.
Sicher waren die Repräsentanten des etablierten europäischen Parteiensystems nicht an einer sofortigen, offenen Totalblockade gegen die frisch demokratisch legitimierten griechischen Partner in den EU-Gremien interessiert. Diese Dramatik hätte Tsipras nur zu einem unerwünschten politischen Märtyrer und heldenhaften Opfer des europäischen Establishments stilisiert. Viel vorteilhafter für das stattliche Heer politischer Gegner der neuen Politstars aus Athen wäre es, wenn sich deren Autorität und politische Legitimation in der griechischen Bevölkerung durch immer neue Abstriche von den ursprünglichen Zielen der Syriza, durch ständige Fehler und Niederlagen langsam, aber sicher verschleißt.
Die neue Regierung könnte so – zum Entzücken ihrer zeitweilig etwas altbacken wirkenden Konkurrenten – als Ansammlung von vollmundigen Dilettanten mitten in einem verheerenden Presseecho durch Selbstdemontage enden. Die jüngste Sitzung der Eurogruppe Anfang dieser Woche, mit der Verabredung weiterer Gespräche Griechenlands und der früher Troika genannten Institutionen, könnte ein zügiger Schritt in diese Richtung gewesen sein.
Für Tsipras ist Europa ein Minenfeld
Denn über die anstehende Präzisierung der Liste der Reformvorhaben der griechischen Regierung kann – wenn man vonseiten der nicht mehr so genannten Troika nur will – in den nächsten Tagen oder Wochen lange und kräftig gestritten werden. Und noch viel intensiver natürlich über die dringlich benötigte, noch ausstehende Auszahlung der Gelder aus dem eben verlängerten Hilfsprogramm, die für die staatliche Zahlungsfähigkeit existenziell wichtig ist. Aus diesen Konflikten könnten sich sehr schnell auch ein ungewollter "Graccident" mit Zahlungsausfällen Griechenlands und daraus danach auch ein unkontrollierter "Grexit" aus dem Euro entwickeln.
Aufgrund der Erfahrungen in der Eurogruppe und der dort sichtbar geringen Bereitschaft, nach dem Scheitern der alten Rezepte der neu gewählten Regierung einen eigenen konzeptionellen Reformspielraum zu gewähren, ist deshalb der sorgenvolle Ausspruch von Alexis Tsipras ("Wir bewegen uns in Europa wie in einem Minenfeld") keinesfalls Ausdruck einer auch schon medial kolportierten Paranoia. Tsipras artikulierte damit eine für ihn politisch notwendige realistische Sicht der Herausforderungen.
Queen Angelas Mär vom gemolkenen Steuermichel
Die deutsche Kanzlerin hat seit Ausbruch der Eurokrise 2010 auf einer endlosen Kette von EU-Gipfeln aktiv eine dominante Führungsrolle beim Krisenmanagement in der Eurozone wahrgenommen. Berlin hat dabei zumindest fahrlässig in Deutschland die emotionalisierende Legende vom braven Steuermichel wabern lassen, der permanent von den Griechen gemolken wird. Nach neuesten Angaben des Bundesfinanzministeriums hat aber der deutsche Staat seit 2010 mit seinen Kredithilfen bisher in Wahrheit nur verdient, nämlich 360 Millionen Euro Zinseinnahmen. Dazu kommen die Milliarden an staatlichen Zinseinsparungen durch die Niedrigzinspolitik der EZB als Folge der Eurokrise. Und vor allem hat Deutschland als "Insel der Glückseligen" in der Eurozone mit seiner Exportwirtschaft am meisten von festen Wechselkursen profitiert, während Südeuropa dadurch im Wettbewerb abgehängt wurde. Diese Fakten stehen in einem geradezu skandalösen Widerspruch zu den unappetitlichen medialen Kampagnen, mit denen deutsche Steuerzahler seit Jahren aufgehetzt werden.
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Ulrich Frank
am 17.03.2015