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Einbruch in die Traumfabrik

Einbruch in die Traumfabrik
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2014 war auch ein Jahr des Abhörens und Ausspionierens. Helle Aufregung herrschte, als Hacker jüngst ein Hollywood-Studio datenmäßig leer räumten. US-Präsident Obama schwor Vergeltung. Dass wir alle rund um die Uhr von amerikanischen Geheimdiensten bestohlen werden, geriet darüber fast in Vergessenheit.

Die besten Geschichten schreibt noch immer das Leben – oder die große Politik. So wie kurz vor Weihnachten, als bekannt wurde, dass Hacker in die Traumfabrik von Hollywood eingedrungen waren. Die unbekannten Cybereinbrecher namens "Guardians of Peace" (Hüter des Friedens) ließen gigantische Datenmengen bei der Produktionsfirma Sony Pictures Entertainment mitgehen. Neben Telefonnummern und E-Mail-Adressen von Regisseuren, Produzenten und Schauspielern zählten auch bisher unveröffentlichte Filme wie "The Interview" zur Beute. In der Filmsatire bekommen zwei Journalisten den Auftrag, Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un zu töten. Nach dem Hacker-Angriff gab es Terrordrohungen, um die Aufführung des Films zu verhindern. Früh kamen Gerüchte auf, dass Nordkorea hinter Cyberangriff und Drohungen steht. Das kommunistische Regime bestritt dies vehement.

"Sie haben großen Schaden verursacht. Und wir werden darauf reagieren", schwor US-Präsident Barack Obama den Hackern und ihren Hintermännern Vergeltung, nachdem Sony Pictures den Kinostart zunächst abgesagt hatte. Inzwischen ist der Streifen dann doch in mehreren Hundert amerikanischen Kinos gezeigt worden. Zusätzlich ist er im Internet herunterladbar.

Nicht, dass Kontext den Diktator aus Pjöngjang in Schutz nehmen möchte. Die Forderung von Mitgliedern der UN-Vollversammlung, Kim Jong-un wegen KZ-ähnlicher Gefangenenlager und anderer Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu stellen, scheint gerechtfertigt. Doch wenn ausgerechnet der amerikanische Präsident einem anderen Land wegen Datenklaus die Leviten liest, dann hat das schon tragikomische Züge. Denn spätestens seit der NSA-Affäre wissen nicht nur die Altkommunisten im abgeschotteten Nordkorea, dass sich die amerikanische Regierung und ihre Geheimdienste einen Dreck um das Recht auf persönliche Privatsphäre, sichere Daten und geistiges Eigentum scheren.

Im Juni 2013 enthüllte der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter und Whistleblower Edward Snowden die globale Daten- und Spionageaffäre. In 2014 wurden weitere Details bekannt, wie NSA & Co. die weltweite Kommunikation ausspähen. Am 26. Januar strahlte die ARD (zu bemerkenswert später Stunde!) ein Interview mit Snowden aus, in dem der Whistleblower berichtete, dass die amerikanische National Security Agency (NSA) mit Abhörprogrammen wie Prism nicht nur das Handy der Kanzlerin belauscht, sondern auch Wirtschaftsspionage betreibt. "Wenn es etwa bei Siemens Informationen gibt, die dem nationalen Interesse der Vereinigten Staaten nutzen, aber nichts mit der nationalen Sicherheit zu tun haben, nehmen sie sich diese Informationen trotzdem", sagte Snowden damals aus seinem Moskauer Versteck heraus den deutschen Zuschauern. Kontext griff das Thema im August 2014 auf: "Made in Germany ausgespäht" hieß der Beitrag, der schilderte, wie umfassend die deutsche Wirtschaft im Visier ausländischer Geheimdienste, auch befreundeter westlicher Nachrichtendienste wie der NSA, steht.

Die deutsche Kanzlerin reagierte prompt: "Die amerikanische NSA hat einen großen Schaden verursacht. Wir werden angemessen darauf reagieren", tobte Angela Merkel (CDU).

Von wegen!

Nachdem bereits im August 2013 Ronald Pofalla – damals Kanzleramtsminister, ab 1. Januar 2015 hochdotierter Bahn-Bevollmächtigter – die NSA-Affäre für beendet erklärt hatte, hält sich die Aufregung über die millionenfachen Lauschangriffe hierzulande in Grenzen. Nach zähem Hin und Her rang sich der Bundestag im März 2014 zur Einsetzung eines NSA-Untersuchungsausschusses durch. Das Gremium soll Ausmaß und Hintergründe der Ausspähungen durch ausländische Geheimdienste in Deutschland aufklären. Es startete furios, unter anderem durch den überraschenden Rücktritt des Vorsitzenden Clemens Binninger (CDU) nach nur einer Sitzungswoche. Schlagzeilen machte der Ausschuss auch, weil er offenbar selbst Ziel eines Lauschangriffs wurde und sensible Protokolle seitdem auf Schreibmaschinen tippen lässt.

In der zweiten Jahreshälfte drehte sich die Aufklärungsarbeit weniger um die (illegalen) Machenschaften der amerikanischen und englischen Schlapphüte als mehr um den deutschen Bundesnachrichtendienst (BND). In die Haare gerieten sich die Ausschussmitglieder zudem darüber, ob und wo der "Kronzeuge" Edward Snowden vernommen werden soll. Christdemokraten und Sozialdemokraten stimmten letztlich einer Vernehmung zu, verhinderten aber den Auftritt des Whistleblowers auf deutschem Boden. Mitte Dezember scheiterten Linkspartei und Grüne mit dem Versuch, eine Vorladung nach Berlin gerichtlich zu erzwingen. Das  Bundesverfassungsgericht verwarf eine entsprechende Organklage der Oppositionsparteien. Wann der Whistleblower aussagt, ist bis dato unklar.

Sicher ist, dass Edward Snowden weiter im Moskauer Asyl gefangen ist. Den Stuttgarter Friedenspreis 2014 der Anstifter konnte er nicht persönlich entgegennehmen. Während der Preisgala am 23. November im Stuttgarter Theaterhaus bedankte sich Snowden per Videostream für die Auszeichnung. Ebenfalls nur virtuell präsent war er Anfang Dezember in Stockholm, wo ihm für seinen Mut, das beispiellose Ausmaß staatlicher Überwachung zu enthüllen, der Alternative Nobelpreis verliehen wurde.

Wenige Tage nach der feierlichen Zeremonie kündigte Amerikas Präsident Obama den vermeintlich nordkoreanischen Hackern Vergeltung für ihren Dateneinbruch in Hollywoods Traumfabrik an.

***

Ausgabe 177, 20.8.2014

Made in Germany ausgespäht

Der amerikanische Lauschangriff auf Angela Merkel war gestern. Heute kreist die politische Debatte um den deutschen Bundesnachrichtendienst (BND), der unter anderen US-Außenminister John Kerry abgehört hat. NSA & Co. dürfen aufatmen: Die BND-Affäre lenkt davon ab, dass ausländische Geheimdienste nicht nur Personen, sondern auch die deutsche Wirtschaft ausspionieren - auch wenn die Kanzlerin nichts davon wissen will.

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5 Kommentare verfügbar

  • Malvoisine
    am 05.01.2015
    Antworten
    Es gibt offenbar keine Beweise für die Schuld Nordkoreas am Sony-Hack, u.a. wird ein Ex-Mitarbeiter der Firma verdächtigt.

    Trotzdem wird das im Artikel als Tatsache behandelt.

    "Nicht, dass Kontext den Diktator aus Pjöngjang in Schutz nehmen möchte."

    Hat man denn in den Medien noch immer…
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