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"Töten ist nicht immer leicht"

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Grün-Rot hat nach monatelangem Ringen ein neues Jagdgesetz verabschiedet. Ein Großteil der Jäger läuft immer noch Sturm dagegen. Hans-Ulrich Heller sorgt als Tierarzt auf der Ostalb für Kühe, Hunde und Hamster. In seiner Freizeit geht er auf die Jagd, erschießt Füchse, Wildschweine und Rehe. Der 60-Jährige sieht darin keinen Widerspruch.

Der Fuchs ist tot. Ein letztes Zucken, die schwarzen Augen glänzen matt. So liegt er hinter dem Baum im Gras. Kein Blut. Schrot tötet durch Schock. Sein Kamerad war schneller, hat sich ins Gehölz gerettet. Oder die Jäger waren zu langsam. Auf jeden Fall ist der eine tot und der andere weg. "Das ist ein Scheiß", flucht Hans-Ulrich Heller. "Waidmannsheil."

Der 60-Jährige und seine beiden Jagdgefährten hatten nicht mit zwei Füchsen gerechnet. Eine Viertelstunde standen sie mit geladenen Flinten im Wald auf der Ostalb, die Vögel zwitscherten, die Kirchenglocken bimmelten in der Ferne. Jagdterrier Axel war in den Bau gekrochen, hatte die Tiere aufgeschreckt und ans Tageslicht gejagt. Orange-weißes Fell hetzt über den Boden. Es knallt, drei Mal, vier Mal. Der Fuchs ist tot. Wozu?

Die grün-rote Landesregierung von Baden-Württemberg hat vor kurzem ein neues Jagdgesetz verabschiedet. Die Jagd wird dadurch ökologischer, sagt die Politik. Die Jäger fühlen sich gegängelt. Heller selbst lehnt das Gesetz ebenfalls ab. "Was soll daran besser sein? Ich habe nichts gefunden." Er kritisiert unter anderem die neue Ruhezeit im März und April, weil sich die Wildschweine stark vermehren und wühlend die Böden zerstören würden. Durch das Verbot von Bleimunition müssten die Tiere zudem künftig länger leiden bis zum Tod.

Heller jagt seit mehr als 30 Jahren. Eben so lange sorgt er sich als Tierarzt um Kühe, Hunde und Hamster. Wie passt das zusammen? Wie kann einer beruflich Tiere hegen und pflegen - und in seiner Freizeit töten?

Der Tierarzt steht am Morgen im Behandlungsraum seiner Praxis in Gerstetten. In der Mitte ein kleiner Metalltisch, in der Ecke ein Pferdeschädel, an der Wand Medikamente auf Brettern, im Glasschrank Scheren und Pinzetten. Einer der örtlichen Schäfer hat Cleo vorbeigebracht. Die altdeutsche Hütehündin mit schwarz-grau gelocktem Fell steht da und hechelt. Sie trinkt viel, fühlt sich nicht wohl. Die Untersuchung mit Ultraschall hat schon den Verdacht bestätigt: Gebärmutterentzündung.

Heller, graublonde kurze Haare, recht groß, recht kräftig, zieht die Spritze auf. "Halte sie mal sicherheitshalber fest, nicht, dass sie mich noch packt", sagt Heller mit dem breiten Dialekt der Ostalb. Der Schäfer packt Cleo mit beiden Armen. Der Tierarzt setzt die Spritze, das Tier bleibt ruhig. "Wir Älbler sind alle lieb", sagt Heller und lacht.

Als Tierarzt kümmert er sich vor allem um die Tiere der Bauern: Kühe, Schweine, Pferde. Drei Mal die Woche kommen die Gerstetter mit ihren Hamstern, Katzen und Hunden in seine Kleintiersprechstunde. Außerdem untersucht er das Fleisch der Schlachter. Warum er Tierarzt wurde, kann Heller nicht erklären. "Das ist halt so", sagt er, ganz Schwabe, und zuckt die Schultern. "Man muss nicht für alles eine Erklärung haben. Es war mein Wunschberuf."

65 000 Kilometer fährt Heller pro Jahr vor allem im Kreis Heidenheim von Tier zu Tier, für die Besamung von Pferden bis runter zum Blautopf. Die Dreckspritzer auf seinem VW Caddy reichen bis auf Bauchnabelhöhe. Er betreut bis zu 50 Höfe mit Kühen und insgesamt mehr als 500 Kunden. Sieben Tage die Woche ist er unterwegs.

Der Tierarzt fährt auf den Hof der Schleichers in Zähringen, auf dem Beifahrersitz hockt Jagdterrier Axel, Heller hupt. "Das ist die Klingel des Tierarztes", sagt er und lacht. Vor einigen Wochen hat Schleichers Fleckvieh Nachwuchs bekommen. Die Kälber müssen gegen Grippe geimpft werden. Heller, grüner Arbeitskittel und Gummistiefel, öffnet die Heckklappe des Autos und zieht die Schubladen einer Metallbox auf. Oben: Medikamente, in der Mitte: Hormone, unten: Spritzen.

Die Kälber stehen draußen in kleinen Boxen, sie scheinen noch ein wenig verwirrt vom Schock, nun auf der Welt zu sein. Landwirt Thomas Schleicher hält die Tiere an Hals und Hintern fest, putzt die Nasenlöcher mit Küchenrolle aus. Heller packt die Tiere am Kiefer und steckt die Spritze in die Nasenlöcher. Fünf Kälber sind in zwei Minuten versorgt.

Vor ein paar Wochen hat Heller hier mehrere Kühe besamt, ihnen mit einem armlangen Metallstab Bullensperma in die Scheide eingeführt. 18 Euro kostet die Behandlung – unabhängig vom Erfolg. Verschiedene Sorten Samen fährt Heller stets tiefgekühlt in einem Stickstoffkanister mit sich herum. Jetzt will Schleicher wissen, ob die Prozedur etwas gebracht hat. Der Landwirt steht da mit Zettel und Stift und sagt Heller, welches Tier mit welcher Nummer trächtig sein könnte.

Heller stammt aus Geislingen-Eybach, 14 Kilometer von Gerstetten entfernt. Nach dem Abitur ließ er sich im elterlichen Betrieb zum Metzger ausbilden, später studierte er in München Tiermedizin. Seit 1983 ist er als Tierarzt tätig. Obwohl Heller nach wie vor mindestens 60 Stunden die Woche arbeitet, lässt die Nachfrage nach. Früher war er bis zu drei Mal in der Woche nachts draußen, um Kühen bei der Geburt zu helfen. Heute seien die Bauern mit ihren großen Höfen versierter, sagt Heller. Jetzt klingeln sie ihn vielleicht noch einmal im Monat aus dem Schlaf.

Wenige Häuser weiter, bei Hans Claus auf dem Hof, hat sich eine Kuh verletzt. Der Teil eines Hufes ist weg, das trächtige Tier blutet und liegt im Stroh. "Das ist ein schöner Scheiß. Das war noch nie, dass eine Kuh sich eine Klaue runtergemacht hat", jammert der Landwirt. Heller erklärt ihm, dass er den Huf entweder verbinden könne, ihn amputieren oder das Tier einschläfern. "Das muss man wirtschaftlich entscheiden", sagt Heller. Immerhin müsste die Kuh in sieben, acht Wochen ein Kalb gebären. Wert: 600, 700 Euro, sagt Heller. "Um's Geld geht's doch nicht", sagt Claus. Ein Kalb stackst zu dem Tierarzt. "Gell du, Moggel", sagt er und streichelt es.

Jetzt im Winter geht Heller fast jede Nacht auf den Hochsitz. Gemeinsam mit seinen beiden Söhnen, die ebenfalls jagen, hat er knapp 800 Hektar Land gepachtet. Bei Treibjagden ist Heller mit dabei und rund vier Mal im Jahr bei der Fuchsjagd. Der Jäger hält sich dabei bereits jetzt an die künftigen gesetzlichen Vorgaben. Ab dem kommenden Frühjahr darf die Fuchsjagd nur noch in Kunstbauten betrieben werden. Die sind so schmal gebaut, dass nur Füchse darin leben können – und keine Dachse.

In Baden-Württemberg leben rund 38 000 Jäger und 3800 Tierärzte. Der Vorsitzende des Landesverbands praktizierender Tierärzte, Hans-Georg Ströhle, schätzt den Anteil der Jäger unter den Tierärzten vorsichtig auf bis zu 20 Prozent. Letztlich gebe es "keine zwingende Verbindung" zwischen beiden Tätigkeiten – außer das Tier an sich, sagt er. Um ein Betäubungsgewehr zu bedienen, brauche es eine Ausbildung, die nicht Teil des Tiermedizin-Studiums sei. Kranke Tiere würden zudem grundsätzlich eingeschläfert. "Der Schuss ist nicht üblich", sagt Ströhle. 

Tierarzt und Jäger zu sein schließt sich zumindest für Heller nicht aus. "Das ist kein Widerspruch", sagt er. Als Nutztierarzt hege und pflege er die Tiere doch auch, damit sie später geschlachtet werden könnten. "Es ist auch nicht so, dass ich irgendwas schieße, um es wegzuwerfen." Die Tiere würden immer verwertet. "Das sind natürliche Ressourcen." Warum solle man die nicht nutzen? "Mit jedem Stück Wild, dass ich schieße, braucht man vielleicht ein Stück weniger Mastvieh." Wildschwein und Reh verkauft er an einen Gastwirt. Den Füchsen zieht ein Bekannter das Fell ab. Das Fleisch werde entsorgt. Er selbst habe sich mal einen Muff machen lassen, sagt Heller. "Irre, wie warm das ist."

Auf der Fahrt von einem Stall zum nächsten geht es durch den Wald, über Hügel und zwischen Feldern hindurch. Heller biegt auf eine Wiese am Waldrand ab. Auf einer Fläche von vielleicht einem Tennisplatz ist der Boden umgepflügt. Wildschweine, sagt Heller. Die jagt er am liebsten. "Die sind einfach schlau. Die lassen sich nicht so leicht täuschen." Der Abschlussplan schreibt ihm 45 Rehe pro Jahr vor – und so viele Wildschweine wie möglich. Bei den Rehen schießt er allerdings manchmal auch nicht. "Wenn die Rehe draußen sind und äsen, und die Kitze rennen rum, dann denkt man sich schon mal: Das muss jetzt nicht sein."

Füchse sind für ihn dagegen "Prädatoren", Tiere ohne natürliche Feinde. Kurz bevor er am Nachmittag den Fuchs schießt, steht er mit seinen Jägerfreunden an einem anderen Fuchsbau und wartet. Jagdterrier Axel ist mal wieder bei der Arbeit. Es rumort im Boden. Der Fuchs kommt aus dem Bau – und will wieder zurück. Die Tiere kämpfen. Axel jagt den Fuchs den Hang hinunter. Die Jäger hinterher. Es fällt kein Schuss. Am Ende ist der Fuchs trotzdem tot. Axel ist eben ein Jagdterrier. "Guter Bube", lobt Heller. "Wenn der Hund so gut schafft, kann man doch stolz sein." Auf der Fahrt zum nächsten Fuchsbau wird er unsicher. Man werde doch nicht seine Adresse schreiben? Wegen der Tierschützer, der "Peta-Leute". Die Jagdgegner würden jetzt sagen: Das darf man nicht machen, dass der Hund den Fuchs totbeißt. 

Für Heller bleibt die Jagd trotzdem etwas Natürliches. "Der eine jagt dem Geld nach, der andere den Frauen, der Dritte jagt sich selbst, Workaholics", sagt Heller. Das liege wohl in der Natur des Menschen. Und das Töten? "Es ist nicht immer leicht, aber es gehört dazu."


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19 Kommentare verfügbar

  • Anne H.
    am 17.09.2022
    Antworten
    Ja, ich kann Ruth nur zustimmen.
    Ich erlebe dieses widerwärtige „Blut- und Knochenspektakel“ jedes Jahr auf‘s Neue.
    Dieses „Urwaldgegröhle“, um diese total verängstigten, friedlichen Geschöpfe ( bei uns
    handelt es sich um Fasane, Feldhasen, Stockenten - Rebhuhn ist hier schon ausgerottet)
    aus…
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