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"Snowden hat jeden Friedenspreis verdient"

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Die Friedensgala der Stuttgarter Anstifter ist ausverkauft, auch wenn Edward Snowden am kommenden Sonntag (23. 11.) nicht leibhaftig im Theaterhaus ist. Der weltberühmte Whistleblower wird live aus Moskau zugeschaltet, taz-Chefredakteurin Ines Pohl die Festrede halten. Für alle, die keinen Platz mehr bekommen, bringt Kontext Auszüge aus ihrer Laudatio.

Wir ehren hier in Stuttgart einen Mann, der uns allen einen neuen Blick auf die Machenschaften der Geheimdienste eröffnet hat, die unsere Freiheit und Privatsphäre bedrohen. Ich kann mir im Moment kaum einen besseren Würdigungsort in Deutschland vorstellen für den derzeit bekanntesten Anstifter zum Widerstand gegen die Inszenierungen der Macht – keinen passenderen Ort als Stuttgart [...]. Der Preis der Freiheit ist hoch. Überall, in jedem Land der Welt. In Diktaturen natürlich unvergleichlich höher als in Demokratien. Nun wissen wir aber auch, dass in den Vereinigten Staaten, dem Land, das uns Deutschen aus vielerlei historischen Gründen als das gelobte land of the free, home of the brave so nahestand – dass sich in den USA ein hinterlistiger Überwachungsstaat mithilfe seiner Geheimdienste etabliert hat, der die Angst seiner Bürger nach 9/11 instrumentalisiert, um Kontrollmechanismen zu etablieren, die man manchmal lieber für Science-Fiction halten würde.

Es geht um handfeste ökonomische Interessen, zum Beispiel von Telefongesellschaften, aber nicht nur. Und es geht um imperialistische Strategien von großer Tragweite.

Wir wissen all dies nur, weil Edward Snowden bereit war, den steinigen Weg des Whistleblowers zu gehen. [...]

"There's definitely a deep state. Trust me, I've been there", sagt Snowden. Es gibt also in den USA einen Staat innerhalb des Staates, in dem die Geheimdienste und das Militär regieren und nicht die gewählten Vertreter der Demokratie. Snowden hat die Beweise veröffentlicht. [...] Mich persönlich verbindet sehr viel mit den Vereinigten Staaten. Ich habe dort studiert, meine Frau ist Amerikanerin – und ich habe dieses Land immer geliebt für seine erstaunlichen Möglichkeiten und seinen Mut, einzustehen für die Rechte und Freiheiten des Individuums. Auch gegen den Staat. Auch gegen staatliche Interessen. Und nun also: das Ende der nordamerikanischen Fahnenstange soll das Ende der Freiheit sein? Das Ende der Privatsphäre? [...] Wenn wir heute Edward Snowden feiern als einen Kämpfer für die Freiheit, dann ehren wir mit ihm noch vier andere Menschen, ohne die seine Veröffentlichungen gar nicht möglich gewesen wären: Bradley Chelsea Manning, den US-Soldaten, Julian Assange, den Gründer von Wikileaks, Laura Poitras, die Journalistin und Dokumentarfilmerin, Glenn Greenwald, den Journalisten vom "Guardian". [...]

Chelsea Manning sitzt im Gefängnis; Julian Assange lebt seit zwei Jahren in der Botschaft von Ecuador, eingesperrt; Edward Snowden sitzt in Russland fest; Laura Poitras und Glenn Greenwald werden vermutlich nie wieder in ihrem Leben nicht überwachte Schritte tun können. [...] Laura Poitras selbst sagte: "Unser Leben wird nie wieder so sein wie vorher. Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder irgendwo leben kann mit dem Gefühl, dass ich so etwas habe wie eine Privatsphäre. Das könnte einfach unwiderruflich und komplett vorbei sein." [...]

Whistleblower sind mehr als nur klassische Informanten. Edward Snowden ist im vollen Bewusstsein der geplanten Strafverfolgung für seinen Geheimnisverrat an die Öffentlichkeit gegangen. Er riskiert sein Leben. Seine Bewegungsfreiheit. Sein Privatleben. Und warum? Aus Gewissensgründen, aus Liebe zur Freiheit. [...]

Ja! Edward Snowden hat jeden Friedenspreis der Welt verdient, weil er uns klargemacht hat, dass wir schon lange nicht mehr im Frieden leben. Ja! Noch sind wir in Deutschland geschützt vor dem Krieg im eigenen Land. Aber unser Frieden und der Frieden in den USA ist ein Scheinfrieden – erkauft mit vielen Kriegen in anderen Ländern, auf anderen Kontinenten.

Die Freiheit, die wir in Europa heute noch genießen, sie wird immer wieder auch geschützt mit der Bereitschaft einiger weniger, ihre eigene Freiheit und sogar ihr Leben aufs Spiel zu setzen.

Lassen Sie mich schließen mit einem Zitat einer anderen Rebellin für ein freies Amerika. Erinnern Sie sich noch an Janis Joplin?"Freedom is just another word for nothing left to lose ..." Wir stehen alle in der Schuld von Edward Snowden und seiner four citizens – in der Bringschuld, uns selbst immer wieder in den Hintern zu treten und unsere Verantwortung zu übernehmen für einen echten Frieden und eine Freiheit, die den Namen wieder verdient. In unserem Denken und in unserem Handeln.

"Weitere Aufdeckungen sind in Vorbereitung." Mit dieser Ankündigung endet der Film "Citizenfour". Es gibt also noch mehr Whistleblower – Menschen, die sich ein Beispiel genommen haben an dem mutigen Aufstand gegen inhumane Praktiken, mit dem Edward Snowden vorangegangen ist.

Liebe Anstifter, auch Ihr mahnt immer wieder die Menschenrechte und den unteilbaren Wert unserer Freiheit an. Es ist schön, dass ausgerechnet Ihr nun den Stuttgarter Friedenspreis übergebt an Edward Snowden, der weltweit so viele Menschen inspiriert hat – und anstiftet zur Rebellion.

Nachtrag zur Friedensgala am 23. November, ab 17 Uhr

Selbst ein doppelt so großer Saal hätte nicht ausgereicht, sagt Ober-Anstifter Peter Grohmann. So sind es jetzt eben 430 Menschen, die Platz haben. Für alle weiteren organisiert das Theaterhaus eine Übertragung ins Foyer. Geplant ist auch ein Livestream auf <link http: www.cams21.de _blank>www.cams21.de. Edward Snowden soll die Gala via Internet in Moskau mit verfolgen und sich zuschalten können.

Am Sonntagvormittag (11 Uhr) wird Ines Pohl noch in Kernen-Stetten im Museum unter der Yburg zu Gast sein. Allmende-Vorsitzender Ebbe Kögel wird dort mit der taz-Chefredakteurin über "provinzielle Lebenswege" sprechen. In ihrem Fall vom Geburtsort Mutlangen nach Berlin.


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7 Kommentare verfügbar

  • Insider
    am 25.11.2014
    Antworten
    Der verschiedentlich kritisierte SWR hat immerhin kurz über die Veranstaltung berichtet.
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