Christian Morgensterns berühmter Palmström hat Erfahrung mit einer unmöglichen Tatsache. In dem gleichnamigen Gedicht wird er überfahren, analysiert "sich erhebend und entschlossen weiterlebend" die Situation. Am Ort der Kollision war Kraftwagen der Verkehr verboten, weshalb ihm nur die Erkenntnis bleibt, dass der Unfall gar nicht passiert ist: "'Weil', so schließt er messerscharf, 'nicht sein kann, was nicht sein darf!'" Es hat Tradition und ist zumal angesichts der Kosten ehrenwert, dass der SWR und die "Stuttgarter Zeitung" regelmäßig bei den Berliner Demoskopen von Infratest dimap die politische Großwetterlage im Land erkunden lassen. Jetzt, im aufziehenden Vorwahlkampf, wird die Vermittlung der Daten aber kompliziert. Was tun mit einem Zeugnis für Kretschmann, das in der Einschätzung von Umfrageprofis aller Couleur so herausragend gut ist?
Noch immer halten viele in der Union und drum herum den Machtwechsel vom März 2011 für einen Betriebsunfall in der Geschichte des Südwestens. Diese Verdrängungslogik funktioniere bis zum heutigen Tag, sagt Grünen-Landeschef Oliver Hildenbrand, der als studierter Psychologe weiß, wovon er spricht. Da aber keineswegs ausgeschlossen ist, dass der Grüne am Ende Un-, die Opposition aber Recht behält und im März 2016 auf den Machtwechsel der Machtwechsel folgt, wird vielerorts intensiv versucht, penibel die Waage zu halten – oder auch ein bisschen mehr als das. Auf manchen Veranstaltungen werden die direkt gewählten Landtagsabgeordneten der CDU noch vor den grünen oder roten Regierungsvertretern begrüßt und manchmal sogar Letztere gar nicht. "Früher war eben alles besser", würde Karl Valentin sagen, "sogar die Zukunft." Verbandsvertreter und Wissenschaftler, Unternehmer, sogar Künstler, die nicht dem einen oder anderen Lager zuzuordnen sind, wollen es sich nicht verderben mit der Union. Man kann ja nie wissen ... "Keiner unserer Hierarchen", berichtet ein altgedienter SWR-Mitarbeiter, "möchte sich am Ende nachsagen lassen, die Grünen und die Sozen zu sehr unterstützt zu haben."
Kretschmanns Fukushima-Besuch als Randnotiz
Tatsächlich belegen viele Beispiele öffentlich-rechtliche Hemmungen. 2013 war Kretschmann Bundesratspräsident. Leicht lassen sich Vergleiche ziehen, wie andere ARD-Dritte dieser Rolle Beachtung schenken – zumal wenn es um alles andere als alltägliche Termine geht. Die Verantwortlichen in Stuttgart taten sich schwer mit seiner Japan- und Südkorea-Reise im Mai, nur wenige Tage nach Bekanntwerden der turnusmäßigen Umfrage, wonach der Grüne "aktuell mit zu den populärsten Ministerpräsidenten in Deutschland gehört". Der Besuch in Fukushima wurde dennoch genauso nachrangig behandelt wie seine Stippvisite an die nordkoreanische Grenze. Was kein Sendezeitproblem gewesen sein kann, denn im selben Betrag durfte ein Berliner Journalist ausgiebig Vergleiche zur Berliner Mauer ziehen. "Erwin Teufel hätte ein sehr klares Wort gesprochen", sagt einer aus der Mannschaft des Vorvorvorgängers und lobt zugleich Kretschmanns Zurückhaltung.
14 Kommentare verfügbar
Jupp
am 25.11.2014a) richtig. Demokratie halt. Man kann ja schlecht die Menschen zwingen zur Wahl/Abstimmung zu gehen
b) siehe a)
c) Auch wenn es eine seltsame Frage war, so wird es wohl nemanden gegeben aben der für den Bau von S21 ist und für den Ausstieg gestimmt hat, oder andersrum. Oder haben…