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Die Heidelberg-Harmonie

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Heidelberg galt einst als linke Stadt. Und noch bei den Gemeinderatswahlen im Mai 2014 war der konservative Bürgerblock in der Minderheit. Doch Grüne und SPD finden keinen Kandidaten für die OB-Wahl am 19. Oktober. Amtsinhaber Eckart Würzner, parteilos und konservativ, wird einen leichten Sieg davontragen. Heidelberg hat seinen Frieden mit der Politik gemacht.

Wer sich im Laufe der letzten zwölf Monate in einige Sitzungen des Heidelberger Gemeinderats verirrte, traf dort auf eine höchst harmonische, ja fast gemütliche Atmosphäre. Kein Streit um politische Themen oder Projekte trübte die Stimmung, und eine Stadträtin meinte einmal hervorheben zu müssen, dass die Vorlagen der Verwaltung zu "neunzig Prozent einstimmig" verabschiedet würden. Nur ab und zu waren von Seiten der "Bunten Linken" kritische Fragen zu hören oder gar Gegenstimmen zu vermelden – ihre beiden Stadträte gelten bei den Kollegen der anderen Parteien als "notorische Nörgler". Harmonie ist angesagt in der "Wohlfühlstadt". Und der Oberbürgermeister ist tatsächlich der Meister aller Parteien.

Das war einmal anders, als die politische Streitkultur in der Stadt noch den Geist und die Inhalte einer neu entstandenen Opposition atmete, zu der vor allem auch das grüne Spektrum gehörte. Aber diese Zeiten sind längst vorbei, und die Heidelberger Grünen geben – sozusagen vorbildlich für die gesamte Republik – heute ein exemplarisches Beispiel dafür ab, wie eine durch Wählerstimmen und politische Posten gesättigte Partei den Weg in die politische Erstarrung und Konzeptlosigkeit antritt. Die Heidelberger Sozialdemokraten, die immerhin von 1958 bis 2006 mit Robert Weber, Reinhold Zundel (später dann parteilos) und Beate Weber ununterbrochen über fast vier Jahrzehnte die Oberbürgermeister stellten, haben ihre Meinungsführerschaft in der Stadt schon lange verloren.

Ein laues politisches Lüftchen weht in der einstigen Rebellenstadt

Was also ist passiert, dass in der einstigen "Rebellenstadt am Neckar" nur noch ein laues politisches Lüftchen weht und vor allem Grüne und SPD es nicht wagen, einen OB-Kandidaten zu finden – wie in anderen vergleichbaren Städten im Südwesten der Republik? Und dies bei einer durchaus erfolgreichen Vorgeschichte bei den letzten OB-Wahlen 2006. Damals benötigte Würzner einen zweiten Wahlgang und siegte mit 54 Prozent der Stimmen. Die grüne Kandidatin Caja Thimm erreichte immerhin 45 Prozent, während der SPD-Kandidat schon im ersten Wahlgang mit knapp 13 Prozent die Segel streichen musste.

Ein ähnliches Wählerpotenzial – schaut man auf die Ergebnisse der Gemeinderatswahl im Mai – wäre durchaus auch heute vorhanden. Aber im Vorlauf zur OB-Wahl gab es einige Kuriositäten. So tönte beim Neujahrsempfang 2013 ein Sprecher der Grünen noch kraftmeierisch, man werde für die OB-Wahl "einen bedeutenden Kandidaten oder Kandidatin" nominieren. Aber schon zehn Monate später war das Makulatur. Urplötzlich präsentierte die grüne Partei den parteilosen Gemeinderat Derek Cofie-Nunoo (von der Wählerliste generation.hd, die mit den Grünen eine Fraktionsgemeinschaft bildete) unter großem Jubel als "richtige Zugperson", als "Kandidaten, der über die grüne Kernklientel hinausgeht". Cofie-Nunoo, im Gemeinderat manchmal durchaus noch einer der wacheren und kritischeren Geister, bedankte sich artig und legte ein erstes, nichtssagendes Programm vor. Kaum jemand in der Stadt ging davon aus, dass er nur den Hauch einer Chance haben könnte. Cofie-Nunoo galt eher als Verlegenheitskandidat. Und die "Rhein-Neckar-Zeitung" spottete: "Wenig Basis, viel Hoffnung."

Die SPD, wohl gewarnt durch die deutliche Abfuhr im Jahr 2006, hielt sich bedeckt. Es soll, so hört man, zwar vor der Kür Cofie-Nunoos zu informellen Gesprächen zwischen Grünen und SPD gekommen sein, aber eine gemeinsame Strategie für die OB-Wahl war danach nicht in Sicht. Während die Grünen in höchsten Tönen von ihrem Kandidaten schwelgten, ihn als "guten Oberbürgermeister" priesen, erbaten sich die Sozialdemokraten immer wieder "Bedenkzeit" für eine endgültige Entscheidung. Als nun im Sommer dieses Jahres Derek Cofie-Nunoo aus gesundheitlichen Gründen von seiner Kandidatur Abstand nahm, verzichteten die Grünen auf einen Kandidaten, ebenso die SPD – obwohl beide Parteien zusammen bei den Gemeinderatswahlen 37 Prozent erreichten, zusammen mit GAL, generation.hd und Bunter Linke gar mehr als 50 Prozent.

Die Grünen haben sich zu einer Karrierepartei entwickelt

Dass die Heidelberger Sozialdemokratie nicht mehr zu größeren Aktionen wie einer OB-Wahl fähig ist, liegt erst einmal am Mangel an qualifiziertem Personal, aber auch am mangelnden Wählerzuspruch (17 Prozent bei den Gemeinderatswahlen). Auch eher prominente Parteigenossen wollen sich in Heidelberg keine Niederlage einhandeln. Bei den Grünen mit 20 Prozent Wählerstimmen liegen die Gründe für ihre lokalpolitische Ausrichtung auf anderem Terrain. Die Heidelberger Grünen werden derzeit beherrscht von einer Seilschaft um Theresia Bauer (Ministerin in Stuttgart), Franziska Brantner (Bundestag) und – immer noch aus dem Hintergrund – Reinhard Bütikofer, ehemals Grünen-Parteichef und jetzt im Europaparlament. Sie alle haben ihre politische Karriere in Heidelberg begonnen oder gekrönt. Innerparteiliche Gegner wurden in bewährter Manier ausgegrenzt oder einfach ausgeschlossen – wie etwa die Deklaration der Unvereinbarkeit von GAL- und Grünenmitgliedschaft.

So hat sich in Heidelberg die grüne Basisbewegung über die Jahrzehnte zu einer grünen Karrierepartei entwickelt. Eine Partei für junge und auch ältere Politkarrieristen, die sich zu Höherem berufen fühlen. Mit all der Arroganz gegenüber jenen Basisinitiativen, denen diese Partei einst selbst entsprungen ist. Lokalpolitik steht da nicht so sehr auf der Agenda – und wenn ja mit gebotener Distanz. Deshalb musste man auch zu einem außerparteilichen Verlegenheitskandidaten greifen, um im Falle einer Niederlage nicht die eigene Politkarriere zu gefährden. Die eigene Wählerklientel sieht diese Situation nicht kritisch, viele Grünen-Wähler sind wie ihre Partei: Sie wollen ihre Ruhe und Ordnung, ein bisschen Ökologie, etwas Verkehrsberuhigung, ein paar Fahrradwege, und ansonsten wollen sie zu den gesellschaftlichen Gewinnern gehören. Grünes (Spieß-)Bürgertum.

Der zweite Grund für die "Heidelberg-Harmonie" – neben der Schwäche und Konzeptionslosigkeit von Grünen und SPD –, zumindest was die Oberbürgermeisterwahl betrifft, liegt im jetzigen Amtsinhaber selbst. Eckart Würzner ist sozusagen die personelle Inkarnation einer "Größeren Koalition", die über die Merkel'sche noch weit hinausgeht. Keine GroKo, sondern eine GröKo – mit CDU, SPD, Grünen, FDP, Freien Wählern. Würzner hat es geschafft, nach den ersten Jahren im Amt seine Stellung zu stärken und den großen Mediator zu geben. Vorbei die Zeiten, als er etwa zusammen mit CDU und Grünen die Stadthalle zu einem Kongresszentrum ausbauen wollte und nur durch eine Bürgerabstimmung gestoppt wurde. Vorbei jene peinliche Episode, als er, der Provinz-Bürgermeister, 2009 nach Washington flog, in der tatsächlichen Hoffnung, die US-Generalität zu überzeugen, von ihren Abzugsplänen aus Heidelberg zu lassen. Und dies, obwohl spätestens seit September 2001 eine Änderung der amerikanischen Militärdoktrin klar war.

Der Oberbürgermeister ist ein Spezialist für Simulation von Bürgerwillen

Heute ist Würzner sehr viel selbstsicherer und tritt auch sehr viel diplomatischer und geschmeidiger auf. Was nicht heißt, dass er nicht energisch agieren kann. So hat er beispielsweise dem offensichtlich "indisponierten" CDU-Baubürgermeister Bernd Stadel in einer öffentlichen Aktion die Verantwortung für die Konversion militärischer Flächen in Heidelberg – ein Jahrhundertprojekt – aus der Hand genommen. "Das ist jetzt Chefsache", verlautete er in der Lokalpresse. Sozusagen die Höchststrafe. Nur eine Vertreterin der Grünen lobte in völliger Ahnungslosigkeit den schon Abgesetzten als "beste Besetzung" für die anstehenden Aufgaben. Und Würzner präsentierte wenig später einen neu ernannten "Konversionsbürgermeister" – der allerdings auch nicht gerade ein Spezialist oder Vorzeigedenker für Stadtplanung und Urbanisierung ist, dafür aber auch zugleich der Kämmerer der Stadt.

Die Mehrheit im Gemeinderat schaute zu, staunte und hatte nichts an alldem auszusetzen. Auch hat Würzner die Bürgerbeteiligung für alle Großprojekte der Stadt einrichten lassen, von ihm beispielhaft für die ganze Republik angepriesen, von Kritikern als "Heidelberger Gesprächstherapie" oder pure "Simulation von Bürgerwillen" kommentiert. Und Würzner lässt es sich auch nicht nehmen, ausufernde Debatten im Gemeinderat um einen Formulierungsvorschlag in einem Antrag der Bunten Linken einmal so zu beenden: "Ich schreibe jetzt die Formulierung des Antrags in das Papier, und wenn Sie was dagegen haben, melden Sie sich bei mir."

So ist die Situation vor der Heidelberger OB-Wahl, kurz gesagt, als relativ entpolitisiert zu beschreiben. Eckart Würzner hat offenbar alles im Griff, der Gemeinderat ist äußerst "kooperativ", es bleibt der Eindruck, dass die Gemeinderäte und Parteien, ja ein nicht geringer Teil der Bevölkerung ganz zufrieden mit ihrem Oberbürgermeister sind. Die einzige Angst, die Würzner jetzt noch haben muss bei einer solch "harmonischen" Atmosphäre, ist am 19. Oktober eine geringe Wahlbeteiligung. Dann könnte deutlich werden, dass mit einer kompetenten Alternative doch mehr drin gewesen wäre als der Alleingang des alten Amtsinhabers.

 

Dietrich Hildebrandt war für die Grün-Alternativen im Heidelberger Gemeinderat (1989–1994), danach Abgeordneter der Grünen im baden-württembergischen Landtag (1996–2001).


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4 Kommentare verfügbar

  • Die GrünInnen wollen eine Partei der Mitte sein?
    am 13.10.2014
    Antworten
    Und alles, was Geschrieben wurde, ist keinen Fakten geschuldet?

    In der Mitte sind doch in der BRD zwischenzeitlich alle, nach dem Motto: Was der Wirtschaft gut tut, ist gut für DE. Tut bloss der Wirtschaft nicht weh. Oh weh. Ich will wählbar sein - von Vielen, ja von Allen.

    Oder: Wann werden…
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