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"Was bilden die sich eigentlich ein?"

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Der Ministerpräsident als Musterschüler: Mit der Räumung des Stuttgarter Schlossgartens wollte Kurzzeitpremier Stefan Mappus (CDU) vor vier Jahren zeigen, dass er seine Hausaufgaben gemacht hat – so die neuesten Erkenntnisse aus dem Landtags-Untersuchungsausschuss.

Der Leiter des Führungsstabs bei der Polizei Stuttgart ist ein geübter Zeuge. Schon zwei Monate nach dem Polizeieinsatz am 30. September hatte er dem ersten Untersuchungsausschuss des Landtags berichtet, was ihm bis heute im Gedächtnis blieb: dass das Vorhaben des Ministerpräsidenten bei einer Besprechung im Umwelt- und Verkehrsministerium vom 20. September thematisiert worden war.

Damals wollte Mappus auch über die Polizei sprechen, er wollte zusätzliche Mittel im Nachtragshaushalt für eine bessere Ausstattung und Neueinstellungen zusichern, und er wollte einen Coup landen mit der Einladung profilierter S-21-Gegner in die Villa Reitzenstein. Walz erinnert sich konkret an einen Punkt, "der so an mich herangetragen wurde": Bis zum Tag der Rede im Landtag sollten die Baumfällarbeiten abgeschlossen sein. "Mappus wollte zeigen, dass er seine Hausaufgaben gemacht hat", konnte sich CDU-Obmann Reinhard Löffler auch noch vier Jahre danach in den Parteifreund hineinfühlen.

Hausaufgaben? In der Schule sind das Arbeiten, die belegen sollen, dass im Unterricht vermittelte Kenntnisse selbstständig angewandt werden können. Dem Regierungschef war in diesen Septembertagen zumindest klar geworden, dass es so nicht weitergehen durfte. "Er steht mit den Rücken zur Wand und setzt alles auf eine Karte", analysierten die "Stuttgarter Nachrichten". In der Demoskopie lag die CDU ein halbes Jahr vor der Landtagswahl gerade noch bei 35 Prozent, die SPD versuchte mit der Idee einer Volksabstimmung in die Offensive zu kommen, die Grünen erfreuten sich einer Beliebtheit wie noch nie. Der Regierungschef hatte – was inzwischen auch Stuttgarts Ex-Polizeipräsidenten Siegfried Stumpf einräumte – Mitte August schon einmal persönlich interveniert, als ihm der Abriss des Nordflügels nicht schnell genug voranging. Jetzt wolle er "wieder zu einem geordneten Ganzen kommen", so Mappus am 22. 9., und er spricht sogar von seiner ausgestreckten Hand. "Die ausgestreckte Hand war eine Faust", wird der Grünen-Abgeordnete Werner Wölfle am Nachmittag des 30. September im Schlossgarten sagen, fassungslos angesichts der Eskalation.

Dazwischen liegen neun Tage. Am 21. 9. ist der Pforzheimer von seiner Verkehrsministerin Tanja Gönner per E-Mail informiert worden, dass die Baumfallarbeiten bis zu seinem Auftritt im Parlament abgeschlossen sein können. Walz präsentiert am vergangenen Freitag im Untersuchungsausschuss Einzelheiten der Regierungserklärung, über die damals geredet worden war. Danach wollte Mappus zusichern, dass ein ganzes Jahr lang kein einziger weiterer Baum mehr gefällt werden würde – als Signal an im Dauerstress stehende Polizisten, aber auch an die demonstrierende Bevölkerung. Man habe sich auf diese Weise, so Walz, eine Entspannung erhofft.

Ein Runder Tisch soll die Gemüter beruhigen

Wozu das Staatsministerium aber dann doch nichts beiträgt. Zwar soll ein Runder Tisch die Gemüter beruhigen – mit Grünen-Fraktionschef Winfried Kretschmann, mit Vertretern der Kopfbahnhofbefürworter, mit dem Bahnchef –, eine Indiskretion von Rüdiger Grube lässt den Termin aber platzen. Am 22. 9. tagt die CDU/FDP-Koalition auswärts mit den rheinland-pfälzischen Kollegen. Medienvertreter und Kamerateams reisen an, selbst im beschaulichen Herxheim ist Stuttgart 21 ein Thema. Mappus kündigt seine Rede an. Bis dahin soll auch ein Gutachten des Verfassungsrechtlers Paul Kirchhof auf dem Tisch liegen, das eine Volksabstimmung für rechtlich unzulässig hält. Der Gutachter selber nennt die Causa "höchst eilbedürftig". Zeitgleich verlangt Theaterintendant Hasko Weber fast flehentlich einen Baustopp, "wenigstens für eine Woche". Und Stadtdekan Michael Brock lädt zu einem Dialogforum. Er sieht sich als neutraler Moderator, schießt dann aber sehr scharf, als der Regierungschef plötzlich zwei neue Projektsprecher präsentiert und sämtliche Forderungen nach einem Baustopp rüde zurückweist. Das sei "Politikstil in Rambomanier", rüffelt ihn der Prälat, woraufhin der Minister im Staatsministerium, Helmut Rau, sich bei Bischof Gebhard Fürst in Rottenburg über den ungebärdigen Gottesmann beschweren muss. Fürst tadelt Brock, lehnt aber personelle Konsequenzen ab und lobt ihn sogar für seine Gesprächsidee.

Dann gefällt sich Mappus, wie die "Heilbronner Stimme" schreibt, erst einmal "in der Rolle des Staatsmanns". Seit Langem ist ein Kurztrip zum Papst nach Castelgandolfo geplant. Der soll nicht ausfallen, nur weil daheim Zehntausende auf die Straße gehen. Selbst nach der Audienz beim Heiligen Vater ist Stuttgart 21 Thema. Nein, das habe keine Rolle gespielt, sagt der Gast genervt den Journalisten.

In Stuttgart wird zeitgleich unter Hochdruck an einem Einsatzkonzept gezimmert. Wenn die Arbeiten bis 7. Oktober, dem Tag der Regierungserklärung, erledigt sein sollen, müssen sie unmittelbar mit dem Ende der Vegetationsperiode beginnen. Es gibt sogar die Idee einer Ausnahmegenehmigung, aber das ist sogar Ministerin Tanja Gönner zu heikel, die ja nicht nur für den Verkehr, sondern auch für die Umwelt zuständig ist.

Ein Vermerk vom 28. 9., gefertigt für den Ministerpräsidenten, dokumentiert durchaus Problembewusstsein: "Die Polizei rechnet mit erheblichem, u. U. gewalttätigem Widerstand; insgesamt stehen mindestens acht Hundertschaften Polizei bereit; Polizeipräsident Stumpf hält es zum Selbstschutz der Polizei – auch vor dem Hintergrund wachsender Gewaltbereitschaft – außerdem für unabdingbar notwendig, zwei Wasserwerfer bereitzuhalten. Ob es – erstmals in Stuttgart – einen Einsatz gibt, hängt von der Lage ab und wäre sicherlich das letzte Mittel. Nach Beginn der Aktionen kommt ein Abbruch nur im Notfall in Betracht; vor Beginn der Aktion muss evtl. neu entschieden werden, wenn der Termin bekannt würde und mit äußerstem Widerstand gerechnet werden müsste. Derzeit gibt es dafür aber keine konkreten Anhaltspunkte."

Nicht nur hinter den Kulissen ist die Sorge wegen zunehmender Gewaltbereitschaft längst ein Thema, und Mappus gilt in weiten Teilen der Öffentlichkeit mittlerweile als einer, der Öl ins Feuer gießt. Professor Georg Wehling hat ihm deutliche Worte ins Stammbuch geschrieben: "Er schafft es mit seiner Konfrontationsstrategie, dass sich Teile der Protestbewegung radikalisieren."

Wehling liefert auch eine Erklärung für diese Strategie: "Dann kann er sich als Chef einer Partei präsentieren, die auf Recht und Ordnung programmiert ist", allerdings nach dem Muster des Obrigkeitsstaats im 19. Jahrhundert. Denn viele S-21-Befürworter vergäßen, "dem Begriff Rechtsstaat das Adjektiv 'demokratischer' hinzufügen". Und en passant legt der Tübinger Politikprofessor den Finger noch in eine zweite Wunde: die CDU-interne Auseinandersetzung um längere Laufzeiten der Atomkraftwerke, bei der Mappus mächtig mitgemischt hatte, unter anderem durch eine indirekte Rücktrittsaufforderung an den zuständigen CDU-Minister in Berlin. Den rauflustigen Pforzheimer dürfte dieser Konflikt noch zusätzlich gestresst haben. Wehling: "Ich kann nicht nachvollziehen, warum sich der Ministerpräsident bei der Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke so weit aus dem Fenster lehnt."

Mappus holt einen harten Hund ins Staatsministerium

Noch in seinen Sommerinterviews hatte Mappus, der sich gern in den häufigen Vergleichen mit dem jungen Franz Josef Strauß sonnte, stolz erklärt, er lasse sich keineswegs ständig über die Vorgänge rund um den Stuttgarter Bahnhof informieren. Dann spricht er plötzlich selbst von einem "Kommunikations-GAU", meint aber nicht sich selbst, sondern schasst seinen schon lange überforderten Regierungssprecher. Für ihn holt er ausgerechnet Dirk Metz, einen in der Branche der Politikberater als harten Hund bekannten Mann und engen Vertrauten des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch. Der Offensivspieler soll jetzt Mappus ins rechte Licht rücken und organisiert – Stuttgart 21 ist längst ein überregionales Thema – ein Interview mit dem "Focus". Ruhig im Ton, "aber mit Rückgrat in der Sache" wolle er für das so wichtige Projekt kämpfen, sagt Mappus da. Schöner Schein. Hinter verschlossenen Türen tobt er, weil sich wieder Leute an Bäumen im Schlossgarten festgekettet haben.

Er verlangt deren Räumung, was die Polizei "aus taktischen Gründen" aber ablehnt, und er will endlich mit Baufortschritten Fakten schaffen. Im Innenministerium wird die Lage täglich neu analysiert. "Vertraulich behandeln", ist ein Vermerk vom 29. 9. überschrieben. Seit 12.09 Uhr, so ist exakt festgehalten, sei der Einsatzzeitpunkt 15.00 Uhr am nächsten Tag bekannt. Und weiter: "Eine denkbare Vorverlegung der polizeilichen Maßnahmen in den Vormittag des 30. September 2010 (wurde als Alternative in den Vorüberlegungen berücksichtigt) hätte zur Folge, dass die Absperrlinie den ganzen Tag bis Mitternacht gegen den Druck mehrerer Tausend Personen gehalten werden müsste. Dies kann trotz der angeforderten und zugesagten Unterstützung durch vier bis fünf Hundertschaften aus Bayern, Rheinland-Pfalz und Hessen sowie des Einsatzes aller Bepo-Kräfte und Alarmhundertschaften aus BW und des geplanten Einsatzes von Wasserwerfern nicht 'garantiert' werden."

Für eine Ablösung der Polizeikräfte fehlt das Personal

Die frühen Morgenstunden waren von den Experten eigentlich vorgezogen worden ("Überraschungseffekt nutzen"), dennoch wurde dieser Zeitpunkt für illusorisch gehalten wegen der vielen Stunden bis zum Start der Baumfällarbeiten zu Mitternacht. Die Beamten hätten abgelöst werden müssen, eine Ablösung ist aber nicht vorhanden. In einem der zahlreichen Papiere ist festgehalten, warum: "Eröffnung Cannstatter Volksfest, Gemeinderatssitzung Stuttgart, Großdemo am Samstag gegen S 21, sogenannte Montagsdemos, High-Risk- und Risk-Spiele der Fußballvereine in BW, bundesweite Einsatzlage anlässlich der zentralen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit in Bremen."

Kein Wunder, dass angesichts der polizeilichen Belastung durch einen derart proppenvollen Terminkalender noch einmal die Vertagung der Baumfällaktion erwogen wird. Es bleibt aber bekanntlich beim 30. 9., nach einem oft beschriebenen Treffen von Politik und Polizei bei Mappus, und es kommt trotz allem zum Polizeiaufmarsch am Vormittag. Die Mahnungen und Warnungen verhallen.

Nein, sagt Walz am vergangenen Freitag im Untersuchungsausschuss, politischen Einfluss habe es nicht gegeben. Ein zweiter Zeuge, Stumpfs Assistent, stützt das mit fester Stimme: "Ich habe keine Einflussnahme erfahren." Die hätte sich die Polizei auch nicht bieten lassen. Wenig später allerdings berichtet er, ohne den Widerspruch zu bemerken, wie Präsident Stumpf ihm von der Intervention aus dem Staatsministerium erzählte, mit der Mappus einige Wochen zuvor den Beginn der Abrissarbeiten am Nordflügel gegen den Rat der Polizei durchgesetzt hatte. Und da habe er gedacht: "Was bilden die sich eigentlich ein?"


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9 Kommentare verfügbar

  • By-the-way
    am 02.10.2014
    Antworten
    Ich hatte einen Traum...

    ... es herrschte endlich Gerechtigkeit im Land:

    Der, vom Staatsgerichtshof verurteilte Verfassungsbrecher, Stefan Mappus, der Befehlsgeber der staatlichen Gewalt-Terror-Aktion am 30.09.2010 im Stuttgarter Schloßgarten, sitzt endlich dort, wo Schwerverbrecher…
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