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Politthriller der Mappus-Klasse

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Der EnBW-Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtags ist abgeschlossen. Bei der Aufklärung des "Mappus-Deals" kamen die Fraktionen nur in einem Punkt zum gleichen Ergebnis: Der milliardenschwere Rückkauf des Karlsruher Versorgers vom französischen Energiekonzern EDF durch das Land ging rechtswidrig über die Bühne. Die abschließende Plenardebatte offenbarte nicht nur Streit über die Schuldfrage und den angemessenen Kaufpreis, sondern auch ein seltsames Demokratieverständnis.

Wer weiß, vielleicht kommt der EnBW-Deal doch noch ins Kino. Das Zeug zum Politthriller hätte der Rückkauf von 45 Prozent der Anteile am drittgrößten deutschen Energieversorger durch das Land Baden-Württemberg jedenfalls. Im "echten" Fall fädelte der damalige CDU-Ministerpräsident Stefan Mappus das Geschäft zum Preis von 4,7 Milliarden Euro mit dem französischen Staatskonzern Électricité de France (EdF), damals Großaktionär der EnBW, konspirativ am Parlament vorbei ein. Wie der Untersuchungsausschuss herausfand, standen dem Teilzeitpremier bei der Operation "Olympia" vor allem zwei "Komplizen" zur Seite: der SMS-affine Investmentbanker Dirk Notheis, ein Mappus-Kumpel aus Junge-Union-Tagen und damals Deutschlandchef der amerikanischen Bank Morgan Stanley, sowie als juristischer Beistand Martin Schockenhoff von der Stuttgarter Kanzlei Gleiss Lutz. Letzterer ein "erfahrener Anwalt im Gesellschaftsrecht", so die Eigendarstellung im Netz.

Weitere Rollen im Thriller ließen sich mit einzigartigen Charakteren besetzen, wie der Ausschuss aufdeckte: mit den "unzertrennlichen Proglio-Zwillingen" ("Le Nouvel Observateur") Henri Proglio, als EdF-Chef der wichtigste Verhandlungspartner von Mappus, sowie René Proglio, Frankreich-Präsident der Notheis-Bank Morgan Stanley und Berater seines Bruders. Langeweile käme im Film nicht auf: Mappus zog den Deal in wenigen Tagen durch, binnen Minuten einigte er sich im November 2010 beim Abendessen in einem Pariser Restaurant mit Proglio auf 41,50 Euro als Kaufpreis pro Aktie, wenig später ließ er sich mitten in der Nacht den Kauf (verfassungswidrig) per Notbewilligung vom damaligen Finanzminister Willi Stächele genehmigen, dem eine der Nebenrollen zustünde. Und was die Dramaturgie zusätzlich beflügelt: Banker Notheis dirigierte hinter den Kulissen fast alle Verhandlungsschritte des Premiers per SMS und Smartphone.

Ein Drehbuch für den potenziellen Kassenschlager liegt bereits vor: Der offizielle Abschlussbericht des zweiten EnBW-Untersuchungsausschusses des baden-württembergischen Landtags beschreibt den schwäbischen Polit- und Wirtschaftskrimi detailgenau. Auf 1500 Seiten, die sich aus 30 Ausschusssitzungen mit insgesamt 135 Stunden Dauer speisen, in denen die Ausschussmitglieder den Inhalt von 260 Aktenordnern der Landesbehörden sowie zusätzlich 18 000 Seiten in einem virtuellen Datenraum von Morgan Stanley zu sichten und bewerten versuchten.

Zurück vom Filmset zur politischen Realität: Am vergangenen Mittwoch gaben der Ausschussvorsitzende Klaus Herrmann (CDU) sowie die Ausschuss-Obleute der Fraktionen ihr Urteil zum EnBW-Deal während einer abschließenden Plenarsitzung des Landtags zu Protokoll. Ganze zehn Minuten Redezeit stand den innigsten Kennern des EnBW-Falls auf politischer Ebene zu. Der Videostream der Debatte, live im Internet übertragen, empfiehlt sich dringendst als Bonusmaterial zum Hauptfilm. Es verdeutlicht, auf welchem Niveau sich die parlamentarische Demokratie im Südwesten der Republik bewegt. Wer sich die fünf Redebeiträge aufmerksam zu Gemüte führt, mag mitunter erschüttert sein, in welch widersprüchlicher Verfassung sich die hiesige Volksvertretung derzeit präsentiert.

Denn einig waren sich alle Redner nur in einer Feststellung, nämlich, dass das Milliardengeschäft gegen die Verfassung verstoßen hat. Weil es am Parlament vorbei durchgezogen wurde. Dies ist nicht die allerneueste Erkenntnis: Genau dies hatte der baden-württembergischen Staatsgerichtshof bereits im Oktober 2011 geurteilt. Die Details des Deals bewerten die Fraktionen jedoch höchst unterschiedlich. Auch ziehen Regierung und Opposition andere Schlüsse, insbesondere laden sie die Verantwortung ab auf unterschiedliche Schultern. Auch bei der entscheidenden Frage zum angemessenen Kaufpreis liegen die Lager um 780 Millionen Euro auseinander.

CDU-Obmann Alexander Throm stellte in seinem Redebeitrag Ex-MP Stefan Mappus mehr als Opfer denn als Täter dar. Die Schuld sieht der Heilbronner Abgeordnete eher bei den anderen. "Notheis hatte alle Fäden in der Hand, er war die Spinne im Netz", so der Fachanwalt für Bau- und Architekten- sowie für Arbeitsrecht. Das Handeln der Notheis-Bank Morgan Stanley sei "nicht nachvollziehbar", auch, weil das Institut zum damaligen Zeitpunkt "offenbar vielfache Geschäftsbeziehungen zur französischen EdF" unterhielt. Was selbst bei kleineren Finanztransaktionen unvorstellbar ist, war beim EnBW-Deal möglich. Ein und dieselbe Bank beriet Käufer wie auch Verkäufer der Unternehmensanteile. Dass auch Stefan Mappus dieser Interessenkonflikt hätte stutzig machen müssen, erwähnte Throm allerdings nicht. Umso heftiger attackierte er dessen juristischen Beistand. Der Kanzlei Gleiss Lutz bescheinigte er, eine "unrühmliche Rolle" beim Deal gespielt und mit dem Hinweis auf das Notbewilligungsrecht "das Land falsch beraten" zu haben. "Auch für mich als Anwalt ein unfassbarer Vorgang", betrieb Throm ungewöhnlich heftige Kollegenschelte.

Völlig anders fällt das Resümee von Uli Sckerl aus. Für den Grünen-Obmann im Ausschuss avanciert der EnBW-Deal zum "einzigartigen negativen Lehrstück über das Aushebeln der parlamentarischen Demokratie". "Mappus hat seine Macht missbraucht", betonte er. Dass er dies so ungeniert konnte, ist dabei eine herausragende Erkenntnis. Für Sckerl war der Deal mehr als nur ein Geschäft von Mappus mit zwei Freunden sowie einem französischen Zwillingspaar. Der Grüne zieht den Kreis der Verantwortlichen viel größer als sein Vorredner. "Der blinde Gehorsam von 84 Abgeordneten der damaligen Regierungskoalition hat den Boden dafür bereitet", ruft Sckerl und fügt unter lautem Protest der heutigen Opposition an, dass sich diese bis heute aus der Verantwortung zu stehlen versuchten. Das Gezeter im hohen Haus droht zum Tumult zu werden, als der Grüne die Brücke zur Gegenwart schlägt. "Im heutigen Landtag sitzen noch 48 Kollegen, die damals in namentlicher Abstimmung der Landesbürgschaft zugestimmt haben", bohrt Sckerl offenbar in einer Wunde. Am 15. Dezember 2010 hatte der Landtag mit allen Stimmen von CDU und FDP eine Bürgschaft über 5,9 Milliarden Euro bewilligt, die zur Abwicklung des EnbW-Einstiegs notwendig war. Die Abgeordneten der oppositionellen Grünen und Sozialdemokraten hatten damals aus Protest gegen die Umgehung des Parlaments beim eigentlichen Kauf den Plenarsaal verlassen.

Wer in dieser Situation genauer hinschaute, konnte immerhin erkennen, wie der blinde Gehorsam von einst manchen Betroffenen noch heute umtreibt. Ex-Finanzminister Willi Stächele, der damals mit seiner Unterschrift den Rückkauf am Parlament vorbei legitimierte, tippte während Sckerls Rede pausenlos auf seinem Tablet herum. CDU-Obmann Throm verfolgte Sckerls Rede mit verschränkten Armen. Psychologen würden beides wohl als Übersprungshandlung bezeichnen.

Der SPD-Obmann im Ausschuss, Sascha Binder, knüpfte in seinem Fazit an die Ausführungen von Sckerl an, indem er ebenfalls die "widerspruchslose Gefolgschaft" der damaligen CDU- und FDP-Abgeordneten zum Hauptakteur im EnBW-Deal kritisierte. "Der Loyalität sind Grenzen gesetzt, und diese Grenzen setzt die Verfassung", mahnte Binder mehr Staatsräson an. "Wir alle haben einen Eid zu leisten, nicht auf eine Person, sondern auf die Verfassung", ergänzt er. Binder warnte auch davor, "wie selbstverständlich davon auszugehen, dass die Demokratie durch die Verfassung gesichert" sei. "Es geht darum, ob man seinem Amt, seinem Mandat die Verantwortung schenkt, die es bedarf."

Auf Binders Appell nach mehr Staatsräson brachte es der FDP-Obmann Andreas Glück fertig, mit einem Scherz seine Ausführungen zu beginnen. Erst danach betonte Glück ernsthafter die Rolle der Mappus-Berater Notheis und Schockenhoff beim EnBW-Deal.

Wie schon für CDU-Obmann Throm ergab auch für Glück der Untersuchungsausschuss "keine Anzeichen" dafür, dass der EnBW-Kaufpreis zu hoch war. CDU und FDP forderten die Regierung auf, die anhängige Schiedsgerichtsklage des Landes gegen die EdF zurückzuziehen. "Wo kein nachweisbarer Schaden, wird es schwer ihn nachzuweisen", bot Glück eine Wette an, wonach die Klage "den Bach runtergeht". Sowohl Grünen-Obmann Sckerl als auch SPD-Obmann Binder hatten betont, mit der Klage zu viel gezahltes Geld für den Steuerzahler zurückholen zu wollen.

Zuhörer im Plenarsaal ließ das persönliche Fazit aufhören, dass FDP-Obmann Achim Glück am Ende seines Redebeitrags zog: "Politik kann manchmal ein dreckiges Geschäft sein", sagte er unter dem Applaus der Opposition. Wessen Politik er damit meinte, blieb manchem Beobachtern unklar.

Auch nachdem der EnBW-Ausschuss seine Arbeit beendet hat, bedeutet dies für Stefan Mappus im Übrigen nicht, dass das Schlimmste überstanden ist. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt weiter gegen den ehemaligen Ministerpräsidenten, seinen Freund Dirk Notheis und die damaligen CDU-Kabinettsmitglieder Willi Stächele und Helmut Rau wegen des Verdachts der Untreue respektive der Beihilfe dazu. Den Ermittlern kommt nach langem Zögern eine der Schlüsselrollen in dem schwäbischen Politthriller zu. Im Spätsommer soll sich entscheiden, ob Anklage erhoben wird.


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6 Kommentare verfügbar

  • Ernst Hallmackeneder
    am 05.07.2014
    Antworten
    Langsam bin auch ich wirklich erzürnt – danke Herr Dr. Gscheidle für Ihren zutreffenden Kommentar -, wie die grünsozialistische Presse und, im Hintergrund, sogenannte „Parteifreunde“, unseren ehrwürdigen Herrn Altministerpräsidenten Mappus in den Dreck treten wollen. Herr Mappus ist ein redlicher…
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