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Geht's nicht eine Nummer kleiner?

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Brigitte Lösch, der Landtagsvizepräsidentin, Uli Sckerl, dem Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, und sogar der Amtsspitze des Staatsministeriums ist eines gemeinsam: Vom Justizministerium begehrten sie Auskunft, ob bei den Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft rund um den Schwarzen Donnerstag alles mit rechten Dingen zugeht. Für CDU und FDP Grund genug, den Fragestellern "massive Einflussnahme auf die Strafjustiz" vorzuwerfen.

Reinhard Löffler, der Stuttgarter CDU-Abgeordnete und Obmann seiner Fraktion im zweiten Schlossgarten-Untersuchungsausschuss, versucht den Spagat. Einerseits will er die Staatsanwaltschaft vor dem unterstellten Einfluss der Grünen-Fraktion und dem Staatsministerium schützen, andererseits wirft er doch ein Steinchen ins Wasser, das Kreise ziehen soll. Lösch hatte sich im Oktober im Justizministerium über den Stand des Verfahrens gegen Fritz Mielert, den ehemaligen Parkschützersprecher, erkundigt. "Das Verfahren gegen Herrn Mielert wurde später eingestellt", schreibt Löffler jetzt. Er sei "der festen Überzeugung, dass die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Baden-Württemberg täglich hervorragende Arbeit leisten und sich nicht von der Politik unter Druck setzen lassen". Und dann geht's dialektisch weiter: Umso mehr werfe die Einstellung des Verfahrens "bei mir Fragen auf". Es sei "dringend geboten, den Vorgang umgehend aufzuklären".

Grundlage der oppositionellen Erregung ist eine sechsseitige Antwort von Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) auf eine Kleine Anfrage. Darin wird kühl aufgelistet, wer wann brieflich einschlägige Erkundigungen rund um die stundenlangen Eskalationen, den Pfefferspray- und Wasserwerfer-Einsatz samt der Konsequenzen eingeholt hat. Da finden sich unter anderen Lösch und Sckerl, aber auch der CDU-Abgeordnete Georg Wacker (CDU) und Stickelbergers Vorgänger Ulrich Goll (FDP), die Näheres wissen wollten "hinsichtlich der Führung von Verfahren gegen Polizeibeamte". Die Grünen suchten mehrfach um Informationen zu Hausdurchsuchungen nach, zu Zahlen und Stand der Ermittlungen oder zur rechtlichen Bewertung des Vorgehens von Einsatzkräften. 

Einigermaßen weitreichend ist der Wunsch des Staatsministeriums nach einer Übersicht nicht nur über die Ermittlungsverfahren, sondern zugleich darüber, "ob es Verfahren zum Thema Mischfinanzierung gibt" und wer die Anzeigeerstatter seien. In diesem Zusammenhang kursieren hartnäckig Gerüchte, der Amtschef im Staatsministerium, Klaus-Peter Murawski (Grüne), habe persönlich zur Feder gegriffen. Das Staatsministerium wiederum legt Wert auf die Feststellung, allein "Informationen zur zahlenmäßigen Einordnung der anhängigen Verfahren" erfragt zu haben, mit dem Ziel "sich einen Überblick über den Umfang der anhängigen Verfahren zu verschaffen". Es sei "explizit nicht nach konkreten Namen von Anzeigeerstattern und Angeschuldigten gefragt, sondern lediglich danach, welche Ermittlungs- oder Strafverfahren in den vergangenen 14 Monaten im Zusammenhang mit S 21 anhängig waren und gegen welche Gruppen, Organisationen und Verbände sich diese Verfahren richteten". Eine politische Einflussnahme auf die Verfahren war "zu keinem Zeitpunkt" Hintergrund der Anfrage.

"Was wusste Ministerpräsident Kretschmann von der Aktion?", fragt dennoch prompt FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke in seiner hinlänglich bekannten Angriffslust. Neben der juristischen Dimension "dieses datenschutzrechtlich problematischen Vorgehens" stelle sich die Frage: "Wer wollte im Staatsministerium diese Informationen, und wozu wurden diese benötigt?" Nahe liege der Verdacht, die Informationen sollten politisch genutzt werden. Dann aber sei es höchste Zeit, dass sich die politische Führung des Staatsministeriums erklärt.

Auch Löffler sucht und findet starke Worte: "Das Verhalten der Grünen konterkariert den Rechtsstaat und zeigt ein marodes Verhältnis zur Gewaltenteilung und Unabhängigkeit der Justiz als fundamentalem Verfassungsprinzip." Dies sei "ein in der Justizgeschichte Baden-Württembergs sicherlich noch nie dagewesener Vorfall". Geht's nicht eine Nummer kleiner? Abgeordnetenbriefe an Justiz- und andere Minister haben nichts Anstößiges, sondern eine lange Tradition. Vor allem aber hat die Justizgeschichte schon ganz andere Vorgänge ausgehalten, beispielsweise den Abgang zweier FDP-Minister, weil die eine – Corinna Werwigk-Hertneck – dem anderen – Walter Döring – zur Unzeit Infos gesteckt haben soll.

Und Skandale in Untersuchungsausschüssen hatten früher ganz andere Qualitäten. Einmal, als anno 1976 ein Gremium klären sollte, wieso eine Giftmülldeponie trotz eindeutiger Standortexpertise ein paar Meter über die Wahlkreisgrenze des aufstrebenden Landtagsabgeordneten Erwin Teufel gewandert war, ist nicht nur eine entscheidende Akte verschwunden. Sondern praktischerweise war Teufel gleich auch noch Staatssekretär im zuständigen Landwirtschaftsministerium und ließ alle Aussagen von Zeugen aus dem eigenen Haus erst einmal über seinen Schreibtisch wandern, bevor sie im Ausschuss verlesen wurden.

Zugegeben, diese Zeiten gehören nicht erst der Vergangenheit an, seit Grüne und Rote regieren in Baden-Württemberg. Aber Nachfragen, Einwände, Hinweise und interessengeleitete Wünsche samt Erfüllung derselben sind in bestimmten Kreisen so üblich wie eh und je. Erst jüngst verlieh der Ludwigsburger CDU-Europaabgeordneten Rainer Wieland seiner Überzeugung Ausdruck, dass die Kanzlerin im Bundestag bei zentralen europapolitischen Entscheidungen eine unionseigene Mehrheit bekommen hätte, wenn sie nur gewollt hätte: "Mit Seelenmassage" bei fraktionsbekannten Wackelkandidaten "und mit der einen oder anderen Ortsumfahrung." Derselbe Satz aus dem Munde des Grünen Winne Hermann würde ohne Zweifel sogleich zu Rücktrittsforderungen führen. Oder zu dem Verlangen nach einem Untersuchungsausschuss. 

PS: Im Nebel der Kerzen, die CDU und FDP werfen, geht ein Aspekt der Stickelberger'schen Replik fast völlig unter. Der Justizminister bekennt, bis heute keinen Grund zu haben, von einer Antwort seines Vorgängers auf eine Anfrage des inzwischen ausgeschiedenen Grünen-Abgeordneten Thomas Oelmayer abzurücken. Der hatte im Januar 2011 nach Hinweisen dafür gefragt, dass die Staatsanwaltschaft Stuttgart die Schlossgarten-Ermittlungen "nicht sachgerecht und objektiv" führe. Goll verneinte. Und sein Nachfolger sieht "keine Veranlassung zu einer abweichenden Beurteilung" dieses Sachverhalts "aus heutiger Sicht".


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5 Kommentare verfügbar

  • Peter S.
    am 22.04.2014
    Antworten
    Wenn ich es richtig sehe, hielt der Stickelberger seine Hand genauso schützend über den Leiter der Politischen StA wie der Pistolen Goll früher unter Schwarz Gelb. Ein für mich sehr dunkles Kapitel der Justiz in Stuttgart, welches meinen Glauben an dieselbige auf Null gebracht hat. Und ich war mal…
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