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Teure Einheit

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Sie sind gar nicht so sparsam, die Schwaben, wie immer behauptet wird. Ausgerechnet das Budget für das Bürgerfest am "Tag der Deutschen Einheit" 2013, ausgerichtet vom Land Baden-Württemberg, wurde um exakt 1 186 838 Euro 59 Cent überzogen. Und der Amtschef im Staatsministerium, Klaus-Peter Murawski, wusste von nichts.

Er war Grün-Rot lieb und teuer, dieser 3. Oktober. Fast fünf Millionen Euro kostete der Veranstaltungsreigen in der Stuttgarter Innenstadt, zwei Millionen aus Steuermitteln hatte das Staatsministerium veranschlagt. Den größten Kostenbrocken bildete das Bürgerfest. Rund 860.000 Euro sollten dafür als Fremdmittel von Sponsoren kommen, 1,65 Millionen wollte das Land schultern. Doch das reichte bei weitem nicht. Jetzt liegt die Abrechnung fürs Bürgerfest auf dem Tisch. Sie zeigt, dass die kalkulierten Gesamtkosten von 2,5 Millionen Euro um knapp 1,2 Millionen Euro überzogen wurden. Was die Controller an den Rand des Nervenzusammenbruchs bringen kann, sind die enormen Abweichungen bei bestimmten Einzelposten: Die Aufwendungen für den Strom stiegen um 228 Prozent, den Bühnenbau um 197, die Verkehrsbeschränkungen um 156, die Sicherheit um 150, in Summe alles zusammen um 147 Prozent. Die vorgesehene Reserve von 84 000 Euro wurde fast um das 15-Fache überschritten.

So dick das Minus, so dünn ist die Begründung. Murawski, der "den Regierungschef in Verwaltungsangelegenheiten vertritt", erklärt in seinem Bericht an Landtag und Rechungshof, "der weit überwiegende Teil" sei "dem Umstand geschuldet, dass es ein vergleichsbares Fest in Stuttgart bisher noch nie gegeben hat und daher auch alle Erfahrungen mit anderen Festen und Veranstaltungen sich nur bedingt als übertragbar erwiesen haben". Zugegeben, die Feierlichkeiten zum "Tag der Deutschen Einheit" im Jahre 1997, den ebenfalls Baden-Württemberg ausrichtete, waren bescheidener. Auch alle anderen Feste in der Stadt sind deutlich kleiner dimensioniert. Ignoriert wurde in der Regierungszentrale aber die Faustregel, dass besonders genau hinschauen muss, wer sich auf unvertrautem Gelände bewegt.

Mit "Konzeption, Organisation und Durchführung des Festes" wurde nach bundesweiter Ausschreibung die Stuttgarter Agentur Roth und Lorenz beauftragt. Die wirbt noch heute auf ihrer Homepage damit, das "Mammutprojekt mit der gesamten Expertise" unterstützt zu haben. Wiewohl die Event-Spezialisten ("Unsere Kunden schätzen unsere hohen Beratungskompetenz, unseren konstruktiv-kritischen Ansatz, und dass wir liefern, was wir präsentieren: one strategy, one budget") selber Teil der Explosion sind. Bei der Vertragsvereinbarung Ende September 2012 wurden 261 800 Euro als Honorar vereinbart, tatsächlich aber fallen 747 915 Euro an. Schuld sind nach Murawskis Darstellung vor allem andere: "Ursächlich hierfür war der enorme Abstimmungsbedarf mit den Partnern, den Ländern, den Bundesorganen und der Stadt Stuttgart."

Das werden die, wenn der Bericht erst einmal öffentlich ist und der Rechungshof mit der Durchleuchtung der Vorgänge beginnt, nicht auf sich sitzen lassen. Der Streit mit der Stadt ist programmiert. Vor allem in Sachen Verkehrsstillegung. Das Konzept habe immer wieder nachgebessert werden müssen, schreibt der ehemalige Bürgermeister, der selber 15 Jahre lang im Rathaus saß: "Die letzten umfassenden Änderungswünsche der Stadt Stuttgart datieren von 19. September 2013." Was die Verantwortlichen im Rathaus nicht auf sich sitzen lassen wollen. Zumal der Gemeinderat beschlossen hat, auf 377 000 Euro gerade fürs Verkehrskonzept, für Beschilderungen, Abschrankungen, für den Brandschutz oder Ausbesserung des Rasens zu verzichten, die eigentlich hätten in Rechung gestellt werden können.

Dabei müsste Murawski vor allem vor der eigenen Türe kehren. Denn er räumt in seinem Bericht ein, erst am 19. November 2013 und damit sieben Wochen nach den Feierlichkeiten von dem Finanzdesaster informiert worden zu sein. Und an den inzwischen gezogenen Konsequenzen lässt sich ablesen, wie viele Beschäftigte in der direkten Umgebung des Ministerpräsidenten bisher unkontrolliert vor sich hinarbeiten durften. Vom neuen "erweiterten Berichtswesens zum Haushaltsvollzug" erfasst seien "die Bereiche Öffentlichkeitsarbeit, Internet, Landesmarketing, Kindermedienland, Donauraumstrategie, Entwicklungshilfe, Wissenschaftliche Beratung, Stabsstelle der Staatsrätin, Maßnahmen in Zusammenhang mit dem MPK-Vorsitz, Veranstaltungen und Empfänge, Auslandsreisen".

Murawski lässt sich neuerdings Quartalsberichte zum Haushaltsvollzug vorlegen. Nach einer neuen Vollmachtsregelung, einem "Mehrfach-Augen-Prinzip", will er alle Verträge ab 50 000 Euro künftig selber unterschreiben. Und weiter: "Für künftige Einzelprojekte, die dem Tag der Deutschen Einheit vergleichbar sind, wird in Abstimmung mit dem Chef der Staatskanzlei ein projektabhängiges Controlling entwickelt." Das alles ist – fast drei Jahre nach Regierungsübernahme – besonders peinlich, weil Ministerpräsident Winfried Kretschmann strenge Kontrollmechanismen für das ganze Land einführen wollte, in Anlehnung an ein System, das der Finanzausschuss des Landtags 2007 in Ottawa kennengelernt hat. Ausgaben künftig vorab genau zu prüfen, so Kretschmann im Wahlkampf, sei "der richtige Weg, den wir auf jeden Fall gehen müssen". 

Konkret eingeschlagen wird ein ganz anderer Weg. Geben muss jetzt, wer etwas übrig hat. Allen voran die Vertretung des Landes in Berlin. Die gilt als gute Adresse am Tiergarten. Das Gästehaus ist eine besonders gute, geführt wie ein Hotel, mit offener Tür für jedermann und häufig ausgebucht. Erhebliche Mehreinnahmen konnten durch eine Erhöhung der Übernachtungszahlen und der Preise erzielt werden, heißt es in dem zwölfseitigen Papier, das das Staatsministerium soeben dem Landtag zuleitete. Behalten darf die Landesvertretung diese Mehreinnahmen, erzielt durch Veranstaltungen, Sponsoring oder "verbesserte Wirtschaftsführung im Hause", nun nur noch zur Hälfte: 600 000 der insgesamt 1,3 Millionen Euro fließen ins schwarz-rot-goldene Defizit.

Auch andere bluten. Dem "Kindermedienland", einem Lieblingsprojekt der Ministerin im Staatsministerium, Silke Krebs, werden 20 000 Euro entzogen, der Brüsseler Landesvertretung 50 000. Weitere 380 000 Euro kommen aus einem Topf, der eigentlich dazu da ist, die "Abordnung von Landesbediensteten an europäische oder internationale Organisationen" mitzufinanzieren.

Kritiker im Finanzministerium ("Achtung vor Milchbuben-Rechnungen") warnen davor, dass die eingesammelte Gelder in den Folgejahren fehlen könnten. So schreibt Murawski selber in seiner Übersicht, dass im Berliner Gästehaus dank der steigenden Übernachtungszahlen auch der Unterhaltungsaufwand stieg. Dazu sorgt für Unmut, dass eine langgediente Beamtin allein schuld sein soll an den gänzlich aus dem Ruder gelaufenen Ausgaben: die Leiterin der für die Planung des 3. Oktober eingerichteten Stabsstelle. Sie habe, so ihr oberster Chef, "die Mehrkosten zwar laufend in eine aktuelle Kostenplanung eingepflegt, diese aber weder kommuniziert, noch die Konsequenzen daraus gezogen, rechtzeitig überplanmäßige Mittel zu beantragen".

Letzteres, weil sie dem Missverständnis "unterlag, dass man erst die Rechnungen abwarten müsse bzw. mit einem Antrag auf überplanmäßige Mittel warten könne, bis diese vorlägen". Nur die halbe Wahrheit. Denn der zuständige Abteilungsleiter Werner Schempp, auch er ein mit vielen Wassern gewaschenes Urgestein, allerdings aus CDU-Tagen, war seit 10. September informiert. Geschehen ist allerdings nichts. Kein Hebel wird umgelegt, keine Bremse gezogen. Die Organisation eines solchen Festes sei "ein atmendes System", so steht es zu lesen. Jede Entscheidung ziehe Konsequenzen nach sich, "die in vielen Fällen auch Kosten bedeuten". Und je näher der Termin rücke, desto geringer sei der Handlungsspielraum.

Die Opposition hatte ihre Fragen schon im Januar auf den parlamentarischen Weg gebracht. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke beantragte Aufklärung in Sachen Auftragsvergabe, nennt die Steigerung der Agenturhonorare "hochgradig erklärungsbedürftig". Und für die CDU drängt sich "der Verdacht auf", dass im Vorfeld unzureichend geplant wurde und eine an den Realitäten orientierte Kostenrechnung unterblieb. "Köpfe", sagt ein Spitzenbeamter im Finanzministerium, "sind schon wegen viel kleinerer Summen gerollt."


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3 Kommentare verfügbar

  • Tillupp
    am 17.02.2014
    Antworten
    Vielleicht wurde es ja von Zugereisten maßgeblich organisiert. Dass aber auch der ein oder andere Pforzheimer nicht mit Geld umgehen kann wurde in den Medien auch schon öfters dukumentiert. Abgesehen davon sollten wir uns die deutsche Einheitsfeier ruhig was Wert sein, sind es doch eher die…
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