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Der Unvollendete

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Thomas Strobl ist heißer Anwärter auf das Erbe Winfried Kretschmanns: bald 40 Jahre in der CDU aktiv, beharrlich auf der Karriereleiter geklettert bis in die Bundesspitze, mit Wolfgang Schäuble ein prominenter Schwiegervater dazu. Wenn der Jurist mit dem markanten Schmiss dennoch nicht Spitzenkandidat wird bei den Landtagswahlen 2016, dann hat er sich das vor allem selber zuzuschreiben.

Enge verwandtschaftliche Verbindungen innerhalb einer Regierung sind eher unüblich in stabilen westlichen Demokratien. Also hätte Finanzminister Wolfgang Schäuble, nach fast 15 Jahren an der Spitze verschiedener Ressorts, seinen Platz räumen müssen, um dem Ehemann seiner Tochter Christine den Einzug ins Kabinett Merkel III zu ermöglichen. Nicht das Altenteil wäre seine Alternative gewesen, sondern Schäuble hätte – dem lauten Ruf aus Brüssel folgend – Chef der Euro-Gruppe und damit Koordinator der europäischen Stabilitätspolitik werden können. Der dienstälteste Bundestagsabgeordnete in seiner zwölften(!) Legislaturperiode wollte aber nicht. Wollte nicht zu Strobls Gunsten zurückziehen. Wollte ihn, den Vorsitzenden der nach dem Machtverlust im März 2011 gebeutelten Landes-CDU, nicht unterstützen in seinem Bestreben, aus Grün-Rot "eine Fußnote in der Geschichte zu machen". Jedenfalls nicht so. Die Antwort auf das Warum liegt auf der Hand.

Strobl brachte das Personalkarussell ordentlich in Schwung

Auch andere trauen dem 53-Jährigen, der sich wochenlang als ministrabel hatte handeln lassen, nicht zu, Baden-Württemberg führen zu können. Allen voran die möglichen innerparteilichen Gegenkandidaten, Fraktionschef Peter Hauk und Landtagspräsident Guido Wolf, die Kretschmann 2016 selber herausfordern wollen, sich offiziell aber weiterhin bedeckt halten. Immerhin brachte Strobl mit seiner Erklärung, warum es in Berlin nicht einmal zum Staatssekretär gereicht hat, das Personalkarussell ordentlich in Schwung. Er habe gar nicht gewollt, erläuterte er hinter den verschlossen Türen der CDU-Klausur in Kloster Schöntal und versprach, stattdessen mit ganzer Kraft seine Verantwortung als Landesvorsitzender wahrzunehmen. Die Sätze waren eingebettet in eine kämpferische Rede, und die Klausurteilnehmer schnell zur zugespitzen Interpretation bereit: Strobl habe als erster der drei Anwärter seinen Hut in den Ring geworfen. "Allein diese Reaktion zeigt", sagt einer, "dass viele dringend auf eine Klärung der Frage warten." Der ziehe "das jetzt durch zu seinen Gunsten", prognostizierte ein anderer.

Nach drei Jahren ist die Bilanz des Parteichefs durchwachsen. Zu den Aktiva zählt der vorsichtige Versuch der Modernisierung, bis hin zum – aktuell gerade in der CDU-Landtagsfraktion heiß diskutierten – Thema sexuelle Vielfalt. "Der Konservative findet es gut", erläuterte er in einem FAZ-Interview, "wenn zwei Menschen sich dauerhaft binden und für ein ganzes Leben Verantwortung füreinander übernehmen, weil dadurch unsere Welt stabiler und sicherer wird." Da könne "es keine Rolle spielen, ob das ein Mann und eine Frau, zwei Frauen oder zwei Männer sind". Zugleich äußert er Verständnis für Andersdenkende. Die seien ja "keine Idioten", was er schon zum Selbstschutz sage, "denn ich habe selbst noch vor einigen Jahren gegen die Homo-Ehe argumentiert". Bewegen will er die über so viele Jahrzehnte erfolgsverwöhnte, traditionell eher biedere Südwest-CDU nicht zuletzt, weil Frauen sie chronisch wenig reizvoll finden.

2012 hatte Strobl erheben lassen – und zum Ärger so mancher Landesvorständler publik gemacht –, dass die Union im Land die Meinungsführerschaft in allen zentralen Themen bei Wählerinnen und Wählern eingebüßt hatte. In der Bildungspolitik steuert er die Union – behutsam und ebenfalls (noch) gegen die Mehrheit in der Fraktion – hin zum zweigliedrigen Schulsystem.

Zum Triumph für der Rechtsanwalt, der im Unterland über Parteigrenzen hinweg als "einer von uns" anerkannt ist, wurde im vergangenen Herbst der Bundestagswahlabend: Zum zweiten Mal in seiner Geschichte eroberte seine CDU sämtliche Direktmandate im Land. Obendrein analysierten die versammelten Hauptstadt-Demoskopen, der Wahlsieg sei vor allem im Südwesten geholt worden, weil die FDP in ihrem früheren Stammland rund 13 Prozent hergeben musste, die fast zur Gänze bei der Union landeten.

Die ersehnte Spitzenkandidatur 2016 fällt ihm deshalb noch lange nicht in den Schoß. "Politisch zu unsolide", nennt ihn einer, der sich seit den gemeinsamen Tagen in der Jungen Union ausdrücklich nicht zu seinen Anhängern zählt. Strobl habe "zu wenig Format, um im richtigen Moment verlässlich das Richtige zu tun". Auch deshalb vergreife er sich immer wieder im Ton. Bis heute. Baden-Württemberg werde ohne CDU-Regierung "bald pleite und von Kommunisten abhängig" sein, sah er im Wahlkampf voraus, die amtierende grün-rote Landesregierung rüffelt er regelmäßig als "ein Übel", das Land werde von Kretschmann "ins Mittelmaß hinabregiert".

Den Ruf als Mann fürs Grobe hat er sich schnell erwirtschaftet

Günther Oettinger nennt ihn – trotzdem oder deshalb – einen "Freund der ersten Stunde". 2005 hatte er Strobl zum Generalsekretär berufen, schließlich hatte der ihm geholfen im Kampf um die Nachfolge von Erwin Teufel. Nicht nur fein wurde damals gekämpft – hinter den Kulissen. Einmal, auf der Regionalkonferenz in Tuttlingen, lüftete Annette Schavan, die so gerne Ministerpräsidentin geworden wäre, den Vorhang. Oettinger-Gefolgsleute hatten ihr eine lesbische Beziehung unterstellt. Dazu fehlt ihr "Eignung, Lust und Neigung", konterte sie schneidend. Am Ende geht sie als klare Verliererin aus dem Mitgliederentscheid hervor, der den Landesverband so viele Jahre spalten wird.

Es wäre Strobls Aufgabe gewesen, die Gräben im der Südwest-CDU zuzuschütten. Stattdessen erwirtschaftete er sich schnell den Ruf, der neue "Mann fürs Grobe" zu sein mit dem so oft beschriebenen "legendären Stehvermögen bis in die frühen Morgenstunden". In der Formulierung verpackt ist ein riesiges Versäumnis: Er hätte den neuen Regierungschef, der endlich dort angekommen war, wo er immer hinwollte, abhalten müssen von einem Lebensstil, der in die Jungen Union vielleicht gerade noch gepasst hatte, nicht aber in die Villa Reitzenstein, der abfärben musste auf Amtsverständnis und Amtsausübung.

In der Krise nach der misslungenen Filbinger-Trauerrede versagt Strobl ebenfalls, verteidigt viel zu lange die Aufreger-Passagen zur NS-Vergangenheit des Ehrenvorsitzenden der baden-württembergischen CDU als notwendige Reaktion auf die Gefühle der Hinterbliebenen. "Unerschrocken und mutig" wolle er zupacken, hatte der neue Generalsekretär nach seiner Wahl versprochen. Stattdessen sah er zu, wie sich Oettinger so lange verhedderte, bis ihn die Bundeskanzlerin ins Amt des EU-Energiekommissars nach Brüssel weglobte.

Noch offensichtlicher die Überforderung beim Thema S 21

Stefan Mappus, der Schavan-Gefolgsmann, der nachfolgte, auch weil die Bundesvorsitzende sich nicht lösen konnte von der falschen Formel "Die Feinde meiner Feinde sind meine Freude", behält den Vertreter des anderen Lagers. Zur Überraschung vieler wird Strobl der Manager des Machtwechsels. Wieder beweisen sich zwei nicht in ihren Stärken. Noch vor der Wiederwahl zum Generalsekretär 2009 macht Strobl Furore mit der absurden Idee, Tag für Tag vor Unterrichtsbeginn zu prüfen, ob Kinder daheim gefrühstückt hätten "oder halb verhungert" in die Schule kämen. Im Visier hat er Familien, die von Hartz IV leben. Die CDU, sagt er, werde "dringend nach Wegen suchen, um Eltern zu sanktionieren". Der Aufschrei ist groß, der Plan bleibt liegen. Aber Strobl, seit Jahrzehnten Mitglied der "Alten Leipziger Landsmannschaft Afrania im CC zu Heidelberg" (pflichtschlagend und farbentragend), bedient wieder einmal das (Vor-)Urteil, nicht stilsicher zu sein. Dabei war die Aufregung um "Lied.Gut", jenes eingestampfte Büchlein für Mitglieder und Unterstützer, das der Generalsekretär mit verantwortete und in dem für "fröhliche Stunden" auch Wehrmachtsschlager verbreitet wurden, gerade erst ein halbes Jahr her.

Noch offensichtlicher tritt die Überforderung rund um Stuttgart 21 zutage. Spätsommer 2010: Im Schlossgarten wird anhaltend protestiert. "Berufsdemonstranten", nennt Mappus die Kopfbahnhof-Befürworter. Von "Abschaum", spricht Strobl in jenen Tagen, in denen sich die Bürgerschaft der Halbhöhenlage längst eingereiht hat, und nennt Walter Sittler einen "Propagandisten", dessen Vater bereits Stimmung für die Nazis gemacht habe. Die Debatte werde eben mit "harten Bandagen geführt", sagt er nach seiner Entschuldigung – und dass er die Aussagen nicht wiederhole.

Die Schäubles kümmerten sich wenig um den Schwiegersohn

1989 war der Heilbronner erstmals in den Gemeinderat seiner Geburtsstadt gewählt worden. 1998 zieht er – schon Schwiegersohn – in den Bundestag ein. Nein, bekennt er in einem Interview damals, gute Ratschläge habe er von Wolfgang Schäuble nicht bekommen. Und dessen jüngerer Bruder Thomas, der vor einem Jahr verstorbene frühere Landesinnenminister, berichtete einmal, dass sich die Familie um den Werdegang des angeheirateten Schwaben nur wenig kümmerte. "Mein Bruder", so der jüngere Schäuble mit Blick auf das Attentat 1990, "hatte andere Sorgen."

Immerhin, beim Parteitag in Karlsruhe 2012, gratuliert Wolfgang Schäuble dem Schwiegersohn für dessen in Stil und Inhalt gelungene Abrechnung mit der nur 15 Monate währenden Ära Mappus ("Zu benennen, was wir falsch gemacht haben, gehört zur Aufarbeitung, selbst wenn es schwerfällt"). Häufiger aber gilt wohl, was der "Spiegel" beschreibt: In Schäubles Gegenwart "schrumpft Strobl (...), steht unbeachtet neben dem Rollstuhl wie jemand vom Sicherheitsdienst". Bissig und indiziengestützt, zumal auch Strobl selber kein wirklich inniges Verhältnis zu Angela Merkels starkem Mann unterhält. Es sei "sensationell", wie der Bundesfinanzminister Positionen hinterfrage und weiterentwickle, sagt Strobl seltsam distanziert, "da beeindruckt er mich".

Nun also der nächste Versuch zu zeigen, was in ihm steckt. Nach der Wahl zum Landesvorsitzenden machte in der CDU der Vergleich mit dem überforderten Trainer eines Fußballklubs die Runde, der trotz Abstieg zum Präsidenten aufsteigt. "Jetzt oder nie" könne dieser Ruf revidiert werden, sagt ein früherer Minister, ohne sich festlegen zu wollen, ob Strobl wirklich Chancen hätte, eine Wahl gegen Kretschmann zu gewinnen. In vier Wochen will der Merkel-Stellvertreter jedenfalls dem Vorstand seinen Zeitplan für die Kür des Spitzenkandidaten vorlegen.

Entscheiden sollen wiederum die Mitglieder, möglicherweise schon im kommenden Herbst. Und dann liegt da noch ein ganz anderer Vorschlag auf dem Tisch: In der Jungen Union mehren sich Forderungen, die drei Kandidaten sollten sich doch bitte schön vorab einigen und sich der Basis quasi zur Akklamation stellen. Keine ganz dumme Idee angesichts der tiefen Zerrissenheit, die das Duell Oettinger versus Schavan in die Südwest-CDU getragen hatte – und die die Partei bis heute, fast zehn Jahre danach, plagt.


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2 Kommentare verfügbar

  • Ulrich Frank
    am 02.02.2014
    Antworten
    Einen guten Anfang hat der Mann ja gemacht mit dem begründeten Umdenken in Sachen geschlechtlicher Orientierung, auch wenn gleich wieder etwas hypertroph "Sicherheit und Stabilität der Welt" abgeleitet werden - da spielen andere Dinge vielleicht eine noch wichtigere Rolle. Wenn er auf Dauer eine…
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