KONTEXT:Wochenzeitung
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Scheinriesen im Tal

Scheinriesen im Tal
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Seit 68 Jahren treffen sich Freie Demokraten zu Dreikönig in der Stuttgarter Staatsoper. Zuletzt ist die Kundgebung zu einer realitätsfernen Selbstinszenierung verkommen. Anno 2014 muss die FDP in der außerparlamentarischen Opposition (APO) ihre Rolle neu erfinden.

"Der Welt Schlüssel heißt Demut", sagt der Schriftsteller Christian Morgenstern, "ohne ihn ist alles klopfen, horchen und spähen umsonst." Von wegen, klopfen, horchen oder spähen, und schon gar nicht Demut. Stattdessen wurde von Jahr zu Jahr immer lauter gepoltert auf dieser Stuttgarter Opernbühne. Da war kein Platz mehr für Charakterdarsteller wie Ralf Dahrendorf, für die von und zu Lambsdorff oder Solms, schon gar nicht für den pater familias Hans-Dietrich Genscher. Stattdessen immer neue Heilsbringer vom Schlage Gerhardt, Westerwelle, Brüderle und Rösler. Der vorerst letzte Höhepunkt kam beim Dreikönigstreffen 2013, das unter dem Damoklesschwert stabiler zwei Prozent in der Demoskopie zum Hochamt der Scheinriesen wurde.

Die Bundestagswahlen war noch acht Monate entfernt, das Spitzenteam jedoch schon voll im Marktplatzmodus. "Holen Sie den Kampfanzug aus dem Schrank", verlangte die Landesvorsitzende Birgit Homburger in schwarzer Lederkluft, und Rainer Brüderle, ihr Nachfolger an der Spitze der Bundestagsfraktion, bellte in sich überschlagendem Pfälzisch: "Wir sind auf dem richtigen Kurs!" Und Spitzenkandidat Dirk Niebel schrieb ohne jede falsche Bescheidenheit der FDP und ihren Ministern zu, dass Deutschland das beliebteste Land auf der Erde ist. Bloß nur nie mal eine Nummer kleiner, sondern immer nach der Devise eines Stammgasts: "Wir sind schon so klein wie noch nie, wir müssen uns nicht noch selber klein reden." Beim Landesparteitag, traditionell tags zuvor, macht ein Dialog die Runde. "Bald wird man uns unter Sonstige suchen", graust es den einen Liberalen. "Nicht nur suchen, sondern finden", kontert der andere.

Dreikönig künftig in Fabrikhallen statt in der Oper?

2014 ist die Partei diesen entscheidenden Schritt weiter. "Wir wagen den Neuanfang" steht heute in großen gelben Lettern auf der Homepage. Und dass das Dreikönigstreffen in Gefahr sei: "Sie können helfen, die einmalige 150-jährige Tradition zu erhalten. Spenden Sie hier." So sieht es aus, wenn sich Schwäche mit Pech paart. Denn die Verantwortlichen im Staatstheater lassen möglicherweise den letzten Vorhang fallen. Nicht, dass sie etwas gegen die FDP hätten, sondern des Prinzips und des Geldes wegen. Gerade den alt- und neoliberalen Steuersenkungsanhänger müsste gefallen, wenn sich eine öffentliche Einrichtung marktkonform oder zumindest -konformer verhält als bisher. Das Mietgeschenk von 4500 Euro ist ohnehin schon Geschichte, aber auch die zuletzt fälligen 10.000 Euro können Aufwand und Ausfall bei weitem nicht ausgleichen. 30.000 Euro müssten berappt werden, gerade angesichts der Tatsache, dass im normalen Opernbetrieb an solch einem Tag mehr als 100.000 Euro eingespielt werden könnten. Der neugewählte Landesvorsitzender Michael Theurer, ein alter Hase in der Partei, der zum dreißigsten Mal Dreikönig miterlebt, zeigt Verständnis. Der Landeschatzmeister plädierte kürzlich gar dafür, Parteitage in Fabrikhallen zu veranstalten, wenn die umsonst zu haben sind.

Vielleicht kehrt die FDP am 6. Januar 2015 dorthin zurück, wo Dreikönig herkommt: in die Stuttgarter Liederhalle. Die war Heimstatt vor dem Zweiten Weltkrieg und wäre heute billiger zu haben als das Große Haus. 1946 war sie ausgebombt, während die Oper stand. Und an der fanden die Verantwortlichen in der Folge Gefallen. Die Bühne, der Vorhang, die Logen - nach der Renovierung in den Achtzigern wurde der Littmann-Bau in seinen noch prachtvolleren Urzustand zurückversetzt. Der richtige Rahmen für Genschers weitreichendes Bekenntnis zur Europäischen Union, als viele andere auf dem Kontinent noch keinen Deut zurückweichenwollten in ihrem Kampf um nationale Souveränitätsrechte.

Früher wurde noch gespäht. Jedenfalls in die eigene Geschichte, ausdrücklich, um daraus zu lernen, wie Dahrendorf empfahl. Der erinnerte ebenfalls Anfang der Achtziger mit Blick auf die absolute Mehrheit der CDU an bürgerliche Wurzeln und an die Notwendigkeit zusammenzustehen. Die Demokratische Volkspartei, deren Kürzel DVP die Südwest-Liberalen heute noch im Namensschild führen, wurde 1864 gegründet. Die Parteigründer nach Zweiten Weltkrieg berufen sich ausdrücklich auf diese Geschichte. Weshalb die Partei, der derzeit so gar nicht nach Feiern zumute ist, beim Dreikönigstreffen 2014 auch noch einen 150.Geburstag zelebrieren muss.

Immer dieser Weihrauch - nicht nur von den drei Königen

Als sich nach der Wiedervereinigung die alte Garde in die Kulissen zurückzog, drängte (wieder) in den Vordergrund, was der britische Historiker Gordon Craig schon über eine andere Vorläuferin, die Deutsche Demokratische Partei (DDP), geschrieben hatte: "Von Anfang an fiel es ihr schwer, den Wählern begreiflich zu machen, wofür sie eigentlich eintrat, und die Anstrengungen, die sie unternahm, um diesen Mangel zu beheben, führten zu innerparteilichen Streitereien, zu häufigen Rücktritten in der Parteileitung." Ein Drittel der Abgeordneten stellten die Liberalen nach dem Ersten Weltkrieg im Reichstag. Fünf waren es vor Hitlers Machtübernahme. Und in der neuen Zeit blieb kaum einem FDP-Promi das Schicksal erspart, wegen Erfolglosigkeit oder des Ehrgeizes ganz bestimmter Parteifreunde vom Hofe gejagt zu werden. Guido Westerwelle, Wolfgang Gerhardt, Jürgen Möllemann, Philipp Rösler - die Liste ist lang.

Zu Dreikönig lässt sich der Zustand der Partei wie in einem Brennglas betrachten. Nur die Verantwortlichen mochten nicht hinschauen. Vielleicht werden Historiker einmal schreiben, es wäre besser gewesen, es hätte diesen seltsamen Politbrauch gar nicht gegeben: Immer dieser Weihrauch nicht nur von den drei Königen, sondern auch im Zuschauerraum und auf den Rängen. Vor allem aber immer dieser identitätsstiftende Medienhype, der zu Jahresbeginn jede Menge künstliche Aufregung verursachte, dass manche vor Kraft kaum mehr laufen konnten.

Würde sich, wie im richtigen Theater, der Vorhang zu Ehren der Darsteller wieder heben, hätte einer hunderte Vorhänge für verschiedenste Rollen: Guido Westerwelle. In seiner Sturm-und-Drang-Zeit brachte der begabter Rhetoriker den Saal zum Kochen und als Prediger des Neoliberalismus sogar ein gewisses programmatisches Gewicht auf die Opernbühne. Später führte Shakespeare die Hand, als es galt, Gerhardt das Amt abspenstig zu machen. Als Westerwelle 2001 endlich selber Parteichef geworden ist und seinen berühmten Satz geschmettert hat - "Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt's einen, der die Sache regelt - und das bin ich ...." - jubelte die Menge frenetisch. Fehlten nur noch die opernüblichen Blumenbuketts.

Tiraden gegen den Sozialstaat und Hetze gegen Linke und Grüne

Die Mischung aus Handwerkern und (Zahn-)Ärzten, Rechtsanwälten, Steuerberatern, aus Besserverdienern, Selbständigen und anderen treuen Anhängern im alten Stammland war immer leicht zufriedenzustellen. Und Westerwelle wusste besser als alle anderen, wie das geht: ein wenig Europa, ein wenig Bürgerrechte, ein wenig Hetze gegen Linke und Grüne, Freiheitspathos, mal mehr, mal weniger triefend, und immer dieselben Tiraden gegen den Sozialstaat, gegen die angebliche Sozialdemokratisierung der deutschen Politik.

Ein Mal, anno 2009, war vieles anders: Da hielt der damals 48-Jährige eine nachdenkliche Bewerbungsrede für das Außenministerium, versuchte schon mal in Genschers Staatsmannrolle zu schlüpfen. Eine Rolle, die er gut wie selten ausgefüllt hat, als er sie wieder los war: Jetzt gerade, Anfang Dezember an der Seite von Vitali Klitschko in Kiew, als der umjubelte Deutsche sich ganz undiplomatisch von nichts und niemand beirren ließ in seiner Solidarität mit der Protestbewegung.

Selbst der Abstieg der einstigen Pünktchenpartei (F.D.P. hieß sie mal auf Geheiß von besonders pfiffiger Marketingleuten) ist untrennbar mit dem bekennenden Schwulen verbunden. Er beginnt ausgerechnet mit dem historischen Erfolg von 2009 und den daran geknüpften Erwartungen und uneingelösten Versprechen. "Die Rede war schlechter als sonst, sie war zu laut, zu lang, zu selbstgerecht, zu aufgeblasen, zu schönfärberisch, zu realitätsfern und zu altbacken", notierte die "Süddeutsche" 2010 über Westerwelles Auftritt in Stuttgart, "da war viel Pose und wenig Inhalt, da war viel Lärm um nichts, da stand nicht ein gestandener Parteivorsitzender, sondern ein Lautsprecher seiner selbst."

Immun gegen Kritik und bessere Einsicht

Möglicherweise wäre der Absturz vermeidbar gewesen, hätte die FDP begonnen, ein anderes Bild von sich zu zeichnen, etwas nachdenklicher und sympathischer, dafür weniger dröhnend und weniger überheblich. Stattdessen noch so ein Satz von Westerwelle, zu Dreikönig 2011: "Man darf nie beginnen, sich mit den Augen der Gegner zu sehen." So wollten sich die Verlierer von morgen immun machen gegen Kritik und bessere Einsicht. Mitten in die Rede des neuen Bundesvorsitzenden Philipp Rösler - eine Philippika für mehr Wachstum und gegen "Fortschrittsverweigerer, Pessimisten und Gutmenschen" - platzte die Nachricht vom Ende der Jamaikakoalition an der Saar. Die Liberalen gelten als die Schuldigen. Elf Wochen später ist die Regierungsbeteiligung in Baden-Württemberg perdü, und nur noch so eben schafft es ein siebenköpfiges Häuflein in den Landtag.

Und jetzt den Neuanfang wagen. Michael Theurer, 1995 mit 27 Jahren OB in Horb, ist EU-Parlamentarier, bekleidet in Brüssel den renommierten Posten des Vorsitzenden im Haushaltskontrollausschuss. Die endlose Feier von Individualismus und die Staatsverachtung sind das Seine nicht: "Wenn ich auf den Flughafen eine Ingenieurin treffe, die gerade aus China zurückkommt, oder einen Monteur, der in Vietnam war, dann sind das Menschen, die den Staat nicht als Bedrohung verstehen."

Die FDP müsse sich der Erkenntnis stellen, wie wichtig eine funktionierende Infrastruktur, ein verlässliches Gesundheitswesen, ein gutes Bildungssystem für viele Leute und für die Wirtschaft seien, und deshalb das Verhältnis zum Staat neu definieren - "durch unsere liberale Brille und ohne unser Bekenntnis zur Eigenverantwortung aufzugeben". Die nächste Bewährungsprobe kommt schnell. Im Mai 2014 will Theurer wieder ins Europaparlament gewählt werden, Kommunalwahlen finden zeitgleich statt. Immerhin sind zehn Prozent der knapp 7000 Mitglieder im Land kommunalpolitisch aktiv.

Noch einmal Dreikönig. Vor zehn Jahren wünschte sich der später gefallene Stern Walter Döring endlich mehr Reformmut an Spitze und Basis, weniger Weinerlichkeit, mehr Geschlossenheit und eine starke Verankerung in den Städten, Gemeinden und Kreisen. Der ehemalige Studienrat zitierte nicht Morgenstern, sondern Goethe: "Auch mit Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen." Das war freilich 2004, und die FDP saß mit fast einer halben Hundertschaft im Bundestag.


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4 Kommentare verfügbar

  • Philippe Ressing
    am 04.01.2014
    Antworten
    Wie herunter das Selbstbewusstsein der sogenannten Liberalen ist, kann man an ihrem Einladungs-Plakat zum Dreikönigtreffen erkennen. Nur wenn man den Namen von 'Bambi' Lindner kennt - die anderen drei sind eh Nobodys - kommt man darauf, dass es sich um die FDP handelt. Ganz klein und unten - bei der…
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