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Reform des Lehramts: setzen, sechs!

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Nein, es war kein Kabinettsbeschluss wie viele andere: Der grün-rote Ministerrat segnete eine Lehrerbildungsreform ab, die dieses Etikett kaum noch verdient. Und legte zugleich die Axt an Grundprinzipien des versprochenen Bildungsaufbruchs.

"Entwicklungsoffen" nennt Sybille Volkholz milde, was in Baden-Württemberg in jenem Bereich gerade läuft, den sie im Auftrag der Landesregierung bearbeitet hat. Die renommierte Bildungsexpertin, die als Vertreterin der Alternativen Liste für Demokratie und Umweltschutz (AL) Anfang der Neunziger 20 Monate in Berlin im Senat des Regierenden Bürgermeisters Walter Momper (SPD) saß, führte eine hochrangige Kommission. Ein gutes Dutzend Fachleute, darunter Jürgen Baumert, der PISA-Papst, oder Peter Fratton, der Schweizer Vordenker, Professorinnen, Pädagogen und Praktiker analysierten Ausgangslage und Ziele in Baden-Württemberg und legten, auf 68 Seiten zusammengefasst, detaillierte Empfehlungen vor. Verabschiedet hat das Kabinett einen Torso. Die Synopse der Änderungen passt locker auf ein DIN-A4-Blatt. Volkholz sieht mit der Umstellung auf Bachelor und Master immerhin die Grundstrukturen gelegt und "für die Zukunft keine Wege verstellt".

Wenig genug. Wer die Weichen in der Lehrerbildung stellt, kann Einfluss auf die Gesellschaft nehmen, weit über die eigene Regierungszeit hinaus. Ausgerechnet eine von einem Pädagogen geführte Koalition ist dabei, sich diese Chance entgehen zu lassen. Denn drei zentrale Vorschläge werden auf die lange Bank geschoben, weshalb viele im Schulbetrieb, die große Hoffnung in den Machtwechsel im März 2011 gesetzt hatten, endgültig frustriert sind. "Ich bin sehr enttäuscht, dass die Landesregierung nicht den Mut hat, die Empfehlungen umfassend umzusetzen", klagt Doro Moritz, Chefin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Die Neustrukturierung "hätte die angestrebten Schulreformen nachhaltig unterstützt". Hätte, hätte, Fahrradkette. Nichts wird daraus, dass alle Lehrkräfte, wie von so vielen Experten seit so vielen Jahren angeregt, künftig gleich lang studieren; dass aus dem eigenständigen Lehramt Sonderpädagogik ein verzahntes Schwerpunktangebot für alle in allen Schularten wird; dass das Lehramt für weiterführende Schulen eine einzige gemeinsame Basis bekommt. "Gerade diejenigen, die jüngere und lernschwächere Kinder unterrichten, stehen vor hohen fachlichen Herausforderungen", wendet sich Volkholz gegen Abstriche an der falschen Stelle. Und sie hofft, dass die Zeit für die Vorschläge arbeitet, gerade auch für ebenjenes gemeinsame Lehramt ab der fünften Klasse auf Gymnasialniveau.

CDU kreativ: Totschlagvokabel vom Einheitslehrer erfunden

Gymnasialniveau. Nicht schwer zu verstehen eigentlich, aber von Interessierten geflissentlich übersehen. Keine Rede war/ist vom gymnasialen Niveau der neuen Ausbildung, wenn die Opposition, der Philologenverband oder der Beamtenbund gegen die Reform zu Felde zieht. Mehr noch: Die Vorschläge lagen noch gar nicht richtig auf dem Tisch, schon war die Totschlagvokabel vom "Einheitslehrer" geboren. "Die künftigen Einheitslehrer sollen Experten in ihren jeweiligen Fächern sein sowie gleichzeitig als Sonderpädagogen und als Lernbegleiter in inklusiven Klassen die Kinder mit unterschiedlichsten Handicaps entsprechend deren individuellen Fähigkeiten fördern und zu differenzierten Abschlüssen führen", schrieb die CDU, um die unterstellte Überforderung zu brandmarken. Paradoxerweise ist in dem Satz alles richtig, bis auf das Wort Einheitslehrer, das Volkholz ebenso oft wie erfolglos als "Kampfbegriff" zurückwies. Statt der Wissenschaftlerin beizuspringen, griff ausgerechnet SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel – noch ein gelernter Pädagoge – die Vokabel auf, mit dem vollmundigen Versprechen, die Ausbildung zum Einheitslehrer zu beerdigen.

Ihm hat Grün-Rot zu verdanken, dass der Bildungsaufbau hin zum neuen Lernen und Lehren schon untergraben war, ehe die Regierung an die Arbeit ging. Mit der Gemeinschaftsschule, heißt es im Koalitionsvertrag, "lassen sich unsere bildungspolitischen Ziele für alle Kinder bis Klasse zehn am besten erreichen". Dort steht aber auch – ursprünglich auf Wunsch eines einzelnen Herrn – ein Satz, der dazu in klarem Widerspruch steht: "Gleichzeitig wollen wir den Gymnasien die Möglichkeit geben (...) zunächst als Schulversuch, zwei Geschwindigkeiten, also einen achtjährigen oder neunjährigen Zug anzubieten." Schmiedel hatte sich im Wahlkampf mit der Wiedereinführung des eben erst ausgelaufenen G 9 profiliert, kanalisiert den Elternunmut über die Unwuchten im G 8. Vergeblich hatten Fachleute vor der Rückkehr zu G 9 gewarnt, nicht zuletzt deshalb, weil Eltern und Schülern ein Alternativangebot eröffnet wird, das die Gemeinschaftsschule unvermeidlich schwächt. Inzwischen feiert G 9 an 44 Standorten im Land Auferstehung. Er bleibe dabei, sagt der SPD-Fraktionschef, dass der längere Weg richtig ist "für Kinder, die das Turboabitur überfordert". Für die nächste Legislaturperiode stellt er sogar eine Ausweitung des Angebots in Aussicht.

Dem Partner keine Erfolge gönnen

Setzt sich der eine mit den Seinen durch, müssen andere einknicken. Die Grünen haben Übung in der Übung. Ein großer Wurf hätte die Lehrerbildungsreform werden sollen. Die Koalition hätte moderne pädagogische Prinzipien umsetzen können, ohne sich in leidigen Strukturdebatten aufzureiben. Noch nach der Sommerpause wollten die Grünen dafür kämpfen. Am Ende siegten die Sparmeister – die Verlängerung des Studiums für das Lehramt Grundschule kostet, weil die jungen Pädagogen und Pädagoginnen bei ihrem Start in den Beruf höher eingruppiert werden müssten – und eine Handvoll hartleibiger Bildungspolitiker in der SPD-Fraktion. Die sind keineswegs nur rückwärtsgewandt. Aber sie wollen das Sagen haben und behalten. Und sie wollen den Grünen – in diesem Fall der mit zuständigen Wissenschaftsministerin Theresia Bauer – so wenig Erfolge gönnen wie eben noch schicklich.

Andere Länder haben sich konsequenter auf den Weg gemacht, Bremen, Berlin auch Nordrhein-Westfalen. Im so oft beklagten Flickenteppich, den sich die Republik in der Bildungspolitik leistet, kristallisieren sich zahlreiche Übereinstimmungen heraus: Immer mehr Landesregierungen setzen, unabhängig von der politischen Farbenspiel, auf dieses eine gemeinsame Lehramt. Außerdem wird das System vielerorts verknappt auf zwei Schultypen: das Gymnasium und eine zweites Angebot, das nicht nur in Baden-Württemberg Gemeinschaftsschule heißt. So können Schulkarrieren deutlich durchlässiger werden. Der Worthülse vom Aufstieg durch Bildung wird mehr Leben eingehaucht, die Aufsplitterung in Haupt-, Werkreal- und Realschulen überwunden und – vor allem im ländlichen Raum mit weiten Anfahrtswegen zum nächsten Gymnasium – ein Weg zum Abitur an Standorten eröffnet, die viele Kinder unterschiedlicher Leistungsniveaus anziehen und deshalb selbst angesichts der immer weiter sinkenden Schülerzahlen eine Zukunft haben. Vom Zwei-Säulen-Modell als Ziel spricht Ministerpräsident Winfried Kretschmann und davon, dass seine Regierung "nicht die erste ist, die das Bildungssystem reformieren will und die sich dabei enormen Widerständen gegenübersieht".

Gestaltungswille lässt zu wünschen übrig

Selten allerdings ist der Gestaltungswille in den Reihen der Gestalter derart perforiert. Weil es von Anfang an nicht rund lief in der Schulpolitik, weil hehre Ansprüche auf riesige Erwartungen unter Eltern, Lehrkräften und Wählerschaft treffen, weil sich kein stabiles und damit belastbares Verhältnis gerade zwischen Sozialdemokraten und GEW entwickelt hat. Schmiedel nennt Lehrkräfte Heulsusen. Die Gewerkschaft, die den Bildungsaufbruch im Prinzip unterstützt, hatte schon im ersten Regierungsjahr errechnen lassen, dass von der demografischen Rendite und damit von den unterstellten Einsparpotenzialen wenig bleibt, wenn die Modernisierung gelingen soll. In einer Resolution an alle Abgeordneten der Regierungsfraktionen wurde kurz vor dem Kabinettsbeschluss erneut vor einem Abspecken gerade bei der Lehrerbildungsreform gewarnt. Geholfen hat es nicht. "Mit dieser Entscheidung zementiert die Landesregierung das dreigliedrige Schulsystem", befürchtet Moritz, "wie Lehrkräfte mit dieser Ausbildung künftig an Gemeinschaftsschulen gymnasiale Standards unterrichten sollen, bleibt das Geheimnis von SPD und Grünen."

Die Gegner des Bildungsaufbruchs jubilieren. Der gesunde Menschenverstand habe gesiegt. Hirn sticht Bauch, der Stammtisch die Expertenrunde. Keiner würde sein Auto einem Mechaniker anvertrauen, der ausgebildet ist nach Vorgaben auch aus dem vergangenen Jahrtausend. Kindern und Jugendlichen ist dagegen zuzumuten, die Gegenwart in entscheidenden Punkten zu zementieren. Grundschullehrer studieren weiter nur acht Semester, das gymnasiale Niveau für alle bleibt Zukunftsmusik. Obendrein spielt Grün-Rot einem Verständnis von Bildung in die Hand, das die CDU-Fraktion jüngst in einem umfangreichen parlamentarischen Antrag ausbreitete. Anstatt wie üblich Regierungshandeln abzufragen oder einen Sachverhalt, formulieren fünf Abgeordnete, allen voran der ehemalige Staatssekretär Georg Wacker, eine Art Gesinnungstest in Frageform und unter der Überschrift "Kann Bildung 'gerecht' sein?".

Expertenkommission hatte andere Ziele

Das Elaborat gipfelt in entlarvenden Ansichten der Antragsteller. "Die familiäre Sozialisation und die Geistesgaben eines Kindes können nicht wie finanzielle Mittel einfach umverteilt werden", heißt da ein Geistesblitz, gleichwohl bediene sich Grün-Rot in Baden-Württemberg "mit der Gemeinschaftsschule dem Instrument der Umverteilung von Schülergruppen, indem sie die leistungsstarken, familiär bevorteilten Kinder gemeinsam mit den leistungsschwachen, sozial benachteiligten Kindern in eine Klasse beziehungsweise Lerngemeinschaft zwängen". Noch ein Merksatz, der längst zu Staub hätte zerfallen sollen: "Die Feststellung, dass die soziale Herkunft und der soziale Status der Eltern den schulischen Erfolg eines Kindes prägen, ist in demokratischen und freien Ländern mehr als logisch und selbstverständlich."

Die Expertenkommission hatte sich ganz anderen Ziele verschrieben, wollte "professionelle Kompetenzen von Lehrkräften sichern und stärken (...), damit alle Kinder und alle Jugendlichen so gefördert werden, dass sie ihr Potenzial optimal nutzen können": Keine Risikogruppe dürfe zurückfallen. Bei einer Veranstaltung im Frühjahr in Stuttgart, auf der viele Praktiker diesen Ansatz beklatschen, übersetzte Volkholz die Theorie in den Schulalltag: "Dieser Schüler passt nicht in meine Klasse" sei ein Satz, der den Pädagogen von morgen nicht mehr über die Lippen kommen dürfe.


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2 Kommentare verfügbar

  • Interessierter Beobachter
    am 20.12.2013
    Antworten
    Den Punkt mit der Bezahlung kann ich nicht nachvollziehen. Eine Reformation des Lehramtes hat bereits stattgefunden und aktuell studieren angehende Lehrer in den Studiengängen Lehramt an Grundschulen oder Lehramt an Haupt- Werkreal- und Realschulen in Baden-Württemberg in der Regel 8 Semester.

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