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Die zerrissene Frau

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Bilkay Öney gilt wahlweise als rüde im Ton, unvorsichtig in ihren politischen Äußerungen oder als überforderte Quotenfrau. Die Opposition sucht nach Fehlern der SPD-Integrationsministerin, und die eigene Partei unterstützt sie nicht. Frohes Schaffen!

Da steht sie nun, umringt von Journalisten, klein, schmal, kämpferisch, und versteht die Welt nicht. Die Tränen der Rührung sind getrocknet. Der Regierungschef hat seine Integrationsministerin am letzten Plenartag vor der Sommerpause herausgepaukt: "Was wir in privaten Gesprächen über politische Gegner, Parteifreunde und sonstige Mitmenschen äußern, dürfte nach grundsätzlicher Befindlichkeit und nach aktueller emotionaler Stimmungslage der Öffentlichkeit nicht den Standards politischer Korrektheit entsprechen." Kretschmann mag Öney, ihre offene, großstädtische Art, die deutlichen Worte, dass sie Migranten raus aus der Opferrolle holen möchte.

Der Entlassungsantrag der Opposition hätte die notwendige Zweidrittelmehrheit ohnehin nie gefunden, aber er hinterlässt, was er hinterlassen soll: Kratzer an Image und Seele. In immer neuen Anläufen versucht die Diplomkauffrau mit TV-Erfahrung zu erklären, was sie wie gemeint hat und was nicht, warum und wieso welche Äußerungen das Licht der Öffentlichkeit erblickten, dass sie juristische Schritte erwägt. Hier ein halb privates Telefonat, dort ein mehrfach zwischen Deutsch und Türkisch hin und her übersetzter Text. Souverän geht anders. Öney darf weitermachen, wird tags darauf der Tenor in den Medien sein.

Besonnenheit und Vorsicht sind nicht ihre Stärke

Die nächste Welle der Entrüstung kommt bestimmt. Der CDU hat von Anfang an die ganze Richtung nicht gepasst. Fraktionschef Peter Hauk verlangte schon in der fünften Plenarsitzung mit Blick auf ihr Mandat im Berliner Abgeordnetenhaus den Rücktritt: "In Berlin oder noch besser in Baden-Württemberg." Einen Tag später unterstellt die CDU politische Konflikte "in der Wahrnehmung der politischen Interessen zweier Länder". Natürlich steht das Ausscheiden in Berlin kurz bevor, aber die CDU will die Feindseligkeiten eröffnen. Viele, teilweise ausgesprochen persönliche Oppositionsanfragen und -anträge folgen. Einer illustriert das Niveau der Auseinandersetzung auf besondere Weise: Ende Februar 2012, nur einen Tag nachdem ein Spitzenbeamter des Integrationsministeriums wegen ständiger Indiskretionen laut über einen "Maulwurf" im eigenen Haus nachdenkt, stellt ein CDU-Abgeordneter eine in zehn Punkte gegliederte parlamentarische Anfrage zur Maulwurf-Population, denn das Ministerium wolle die Gattung ja bekämpfen. Welch ein Schenkelklopfer.

Die Gründung des Integrationsministeriums weist gleich mehrere Geburtsfehler auf. Erfunden wurde es, damit die SPD in Winfried Kretschmanns grün-rotem Kabinett nicht zu kurz kommt. Die Ressortchefin, eine Exgrüne, vereint als Berliner Großstadtpflanze mit türkischen Wurzeln in ihrer Person reichlich Kontrast. Und die Themen, die Bilkay Öney zu beackern hat, zählen nicht zum Markenkern ihrer SPD. 

"Deutsch zu sein nimmt mir keiner ab", sagte die heute 43-Jährige bald nach Amtsantritt, verkennend, dass im deutschen Politbetrieb aber deutsche Regeln gelten. Sie nennt den langjährigen Justiz- und Innensenator Ehrhart Körting, geboren und geblieben in Berlin, als einen ihrer politischen Ziehväter, von dem sie vieles gelernt habe. Für eines fehlte ihm die eigene praktische Anschauung: für den erfolgreichen Wellenritt zwischen zwei Kulturen. Sprachlich zum Beispiel, und das ist keineswegs das kleinste der Probleme. 

Öney spricht ein formal fehlerfreies, ausdifferenziertes Deutsch, hat aber zu wenig Empfinden dafür, wie ihre Worte aufgenommen werden (können). Die Tochter eines Lehrerpaares – "mein Vater ist ein linker Nonkonformist" – flucht auf Türkisch. Leute, die öfters in der ersten Muttersprache mit ihr diskutieren, beschreiben ihre Wortwahl als teilweise derb und drastisch und fügen an, dass das in Ankara oder Istanbul unter Politiker nicht weiter auffällt. Wer aber am Neckar ohnehin unter besonderer Beobachtung steht, würde sich mit einer Portion Vorsicht und Besonnenheit viel Ärger ersparen.

Mindestens zweimal hat sie sich im Zusammenhang mit der NSU-Mordserie über den "tiefen Staat" ausgelassen – in der Türkei das Codewort für unappetitliche Verbindungen zwischen Politik, Polizei, Geheimdiensten und Machtgruppen. Die CDU-Fraktion, allen voran ihr ausländerpolitischer Sprecher Bernhard Lasotta, unterstellte unverzüglich, die gebürtige Ostanatolierin wolle damit bei ihrem türkischen Publikum bestimmte Assoziationen wecken, und legte eine mehrseitige Materialsammlung zu den "integrationsfeindlichen Äußerungen" vor. Anstatt offensiv das Gemeinte zu erläutern, ruderte die Gescholtene zurück – und versprach mehr Präzision im Ausdruck. Das war vor gut einem Jahr.

Viele wollen die Integrationsministerin absichtlich missverstehen

Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte der SPD-Führung klar sein müssen, dass die Ministerin Unterstützung nötig hat. Bisher blieb sie aus. Dabei steht SPD-Landeschef Nils Schmid doppelt in ihrer Schuld: Er hat sie aus ihrem Berlin geholt – "so ein Angebot konnte sie doch nicht ablehnen", sagt einer, der sie gut kennt –, und weil er mit Wirtschaft und Finanzen unbedingt zwei Ministerien unter seinen eigenen Hut bringen wollte, musste ein neues her, mit magerster finanzieller und personeller Ausstattung und geringem Ansehen. Zu solchen Handicaps kommt, dass die Chefin sich schnell den Ruf erwirbt, schon mal reichlich rüde mit dem eigenen Team umzugehen. Viele wollen sie allerdings auch missverstehen. Sie habe ihren Wechsel nicht zuletzt der Quote zu verdanken, sagt sie einmal schnörkellos – Quotenfrau, rufen prompt einige aus der FDP mit gespielter Empörung. Integration als politische Querschnittsaufgabe hätte nicht unbedingt ein eigenes Ressort gebraucht, sagt sie ein andermal. Ministerin hält eigenes Ministerium für überflüssig, schallt es ihr aus der CDU entgegen.

Kabinettskollegen helfen selten, sind mit eigenen Problemen hinlänglich ausgelastet. Wenn andere Ressorts Flyer oder Unterlagen ins Türkische übersetzt haben wollen, berichtet ein Mitarbeiter, dann werde der Kontakt gesucht, ansonsten herrsche weitestgehend Funkstille. Mitgedacht wird das in Sonntagsreden so gerne erwähnte Haus kaum. Jüngstes Beispiel: die aktuelle Jugendstudie Baden-Württemberg, der zufolge fast eine Viertelmillion der Zwölf- bis 18-Jährigen im Land bilingual aufwachsen, ein großer Teil mit Deutsch und Türkisch. Kultusminister Andreas Stoch (SPD) lässt die Gelegenheit, Öney in diesem Zusammenhang ins Spiel zu bringen, ungenutzt verstreichen. Andere Genossen agieren ähnlich, der Innenminister Reinhold Gall, Fraktionschef Claus Schmiedel oder Schmid selbst. "Der Einzige, der wirklich hinter ihr steht", sagt einer aus der SPD-Fraktion, "ist der Ministerpräsident." Aber der habe viel zu viel um die Ohren, um ihr ernsthaft strategisch unter die Arme greifen zu können.

Mitarbeiter durchsuchen das Internet nach unvorsichtigen Äußerungen

Was bitter nötig wäre. Die Erwartungen in interessierten Kreisen sind anhaltend groß, auch mit sehr konkreten Auswirkungen. Gerade campieren drei Dutzend Flüchtlinge aus Gemeinschaftsunterkünften im Main-Tauber-Kreis vor dem Ministerium in der Stuttgarter Innenstadt. Sie beklagen unter anderem die schlechte medizinische Versorgung und dass sie sich ihr Essen nicht selber kaufen dürfen. Öney hat schon vor Monaten grundnsätzlich Abhilfe geschaffen und die Umstellung von Sach- auf Geldmittel ermöglicht. Mehrere Städte und Kreise vollzogen die Liberalisierung nach, Hardliner unter den Verantwortlichen vor Ort wollen da allerdings nicht mitmachen. Der Protest der Flüchtlinge landet im Ministerium, samt der Drohung, in den Hungerstreik zu treten. Jetzt ist ein Vor-Ort-Termin vereinbart.

Ohnehin kann das Ministerium auf viele Initiativen verweisen: von der raschen Abschaffung des umstrittenen Gesprächsleitfadens bis zur Einbürgerungserleichterung, vom Runden Tisch Islam bis zum Unterbringungsgesetz, vom Doppelpass bis zu den Integrationsorten im Land. Bilkay Öney reist, sie diskutiert, sie wirbt. Und immer folgt derselbe Mechanismus, der sich in zum Teil unflätigsten Internet-Debatten entlädt: Was den einen zu weit geht – heimischen Rechtskonservativen, Teilen von CDU und FDP, solchen, die auf eine grundsätzlich Schwächung von Grün-Rot durch Beschädigung der Ministerin hoffen –, das erscheint anderen als zögerlich und halbherzig. Türken oder Muslime sind enttäuscht, gerade die Aleviten, die von ihr als Glaubensschwester erfolglos Bevorzugung erwarten.

Und da das Internet bekanntlich nichts vergisst, sind allerorten Spürhunde unterwegs. Selbst das Ministerium ist einschlägig unterwegs, um Schaden abzuwenden. Kürzlich fiel einem Mitarbeiter – wieder einmal – ein nie geführtes Interview im Netz auf, zusammengebaut aus Versatzstücken, das Öney in den Mund legt, sie sehe sich als Ministerin der Türken. Auf die strenge Nachfrage räumt der Autor ein, natürlich sei das nie gesagt worden, aber sein Publikum wolle es lesen. Und die Opposition sieht ihr Vorurteil bestätigt, alle anderen Einwanderer, von EU-Bürgern bis zu Spätaussiedlern, würden von dieser Ministerin vernachlässigt im Vergleich zu den Türken. Längst also eine Lose-lose-Situation, in der die eigentliche Herausforderung – mehr als ein Viertel der in Baden-Württemberg lebenden Menschen haben den viel zitierten Migrationshintergrund – mit all ihren Verästelungen aus dem Fokus zu geraten droht. "Integration ist eine Frage von Wollen, Können und Dürfen", sagt die Ministerin. Bestehen wird sie nur, wenn dieses Dreieck auch als Basis ihrer eigenen Politik seine Stabilität bekommt.


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3 Kommentare verfügbar

  • Volk
    am 05.09.2013
    Antworten
    Die Auffassung einzellner fehlplazierter Volksvertreter - wie Bernhard Lasotta und der Fraktionschef Peter Hauk - repräsentieren ein wahrhaftiges Armutszeugnis für Deutschland. Gebe es noch die "Hexenverbrennung" wäre Öney längst auf dem Scheiteraufen gelandet. Frau Öney sollte keinesfalls auf die…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 12 Stunden
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