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Die vertuschten Phantome von Heilbronn

Die vertuschten Phantome von Heilbronn
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Die Polizei hat nach dem Mord an der jungen Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn im Jahr 2007 insgesamt 14 Phantombilder erstellen lassen. Die Ermittlungsbehörden haben diese Porträts möglicher Tatverdächtiger bis heute unter Verschluss gehalten. Kontext zeigt die Bilder, weil die Redaktion der Meinung ist, dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat.

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Die Phantombilder basieren auf Angaben von Augenzeugen und zeigen Menschen, die Zeugen, Helfer oder Attentäter gewesen sein könnten. Bisher konnte die Polizei keine der Personen identifizieren. Der Wert der Phantombilder wird von den Ermittlern unterschiedlich eingeschätzt. Niemand weiß, wie genau die Erinnerung der Zeugen war und wie exakt die Wiedergabe der Erinnerungen. Ähnlichkeiten einer Person mit einem Phantombild können zufällig sein. Weitergehende Aussagen dazu können nur Spezialisten treffen. Und für die Ermittlungen ist die Polizei zuständig. Kontext weist außerdem ausdrücklich auf die Unschuldsvermutung hin, die jeder Person zusteht, gegen die, von wem auch immer, ein Verdacht ausgesprochen wird.

Die Phantombilder sind zu unterschiedlichen Zeiten erstellt worden, 2007 kurz nach dem Mord auf der Heilbronner Theresienwiese wenige Meter vom Neckar entfernt, dann 2009 und zuletzt 2011.

Ein Bild hat die Polizeibeamten besonders interessiert. Denn es wurde nach den Angaben von Martin Arnold erstellt, dem Kollegen von Michèle Kiesewetter, der an jenem 25. April 2007 ebenfalls erschossen werden sollte. Doch Arnold, der in einem parkenden Streifenwagen neben der 22-jährigen Polizistin auf dem Beifahrersitz saß, hatte Glück im Unglück. Die auf ihn abgeschossene Kugel drang oberhalb des rechten Ohrs in seinen Kopf ein und hinter dem Ohr wieder aus. Vermutlich hatte ihm eine Kopfbewegung nach rechts das Leben gerettet, denn Arnold hat den Täter im Rückspiegel kommen sehen. Das nach Arnolds Angaben erstellte Bild könnte also einen mutmaßlichen Täter zeigen.

Bis heute behaupten die Behörden, Martin Arnold könne sich an nichts mehr erinnern. In den Akten liest sich das anders: "Er hatte klare und konkrete Erinnerungen an die Situation, die er sich immer wieder vor seinem inneren Auge abrief und beschrieb", hielten die Ermittler zur Erstellung des Phantombildes mit Arnold fest. Die gegenteilige Erklärung war und ist in Wahrheit ein offizielles Täuschungsmanöver gegenüber der Öffentlichkeit. Angeblich, um den Beamten zu schützen. Das geht aus dem Übergabebericht der Staatsanwaltschaft Heilbronn an die Bundesanwaltschaft vom Januar 2012 hervor, nachdem die Karlsruher Behörde den Fall übernommen hatte. Darin heißt es: Der Presse sei immer wieder mitgeteilt worden, dass der Zeuge sich an nichts erinnern könne, weil "jedes Abweichen von der ursprünglichen Aussage, er könne sich an nichts erinnern, Spekulationen eröffnet hätte, die zu einer erheblichen und durch nichts zu rechtfertigenden Gefährdung des Lebens des Zeugen Martin Arnold hätten führen können."

Doch der zuständige Heilbronner Staatsanwalt Christoph Meyer-Manoras genehmigte die Veröffentlichung dieses Phantombilds nicht. Im NSU-Untersuchungsausschuss in Berlin wollte er sich zu den Gründen nicht äußern; er erklärte lediglich, die Veröffentlichung hätte die Persönlichkeitsrechte von Martin Arnold berührt. Auf die Kontext-Frage, wie das gemeint sei, verweigert die Staatsanwaltschaft Heilbronn bis heute jede Auskunft und verweist wie Landesinnenminister Reinhard Gall auf Generalbundesanwalt Harald Range in Karlsruhe. Doch auch dort gibt es keine Auskunft. Ranges Pressesprecher teilt mit: "Zu den Hintergründen der Entscheidungen anderer Behörden kann die Bundesanwaltschaft naturgemäß keine Stellung nehmen."

Staatsanwalt Christoph Meyer-Manoras hatte sich übrigens auch geweigert, bei Yahoo ein Rechtshilfegesuch einzulegen, um die E-Mails der ermordeten Polizistin Kiesewetter für die Ermittlungen sichern zu können. Erklärung: "Ich finde nicht, dass die privaten E-Mails von Frau Kiesewetter interessant gewesen wären." Ob sie inzwischen vollständig gelöscht oder in der Daten-"Cloud" noch erhalten sind, ist unter IT-Kennern umstritten.

Die Phantombilder, die nach dem Mord gefertigt wurden, zeigen ausschließlich Männer. Sie dürften bei der Fahndung schon deshalb eine untergeordnete Rolle gespielt haben, weil die Ermittler zwei Jahre lang die vermeintlich heiße DNA-Spur einer unbekannten Frau verfolgt hatten.

Im Februar 2009 übernahm das baden-württembergische Landeskriminalamt (LKA) dann den Fall. Kurz darauf erwies sich die DNA-Spur als Riesenpleite. Die Wattestäbchen zur Aufnahme von DNA-Spuren waren mit der DNA jener Frau kontaminiert, die sie bei der Herstellerfirma verpackt hatte.

Nun bekamen die Phantombilder wieder Bedeutung. Zumal sich nach der Veröffentlichung der Ermittlungspanne ein neuer Zeuge meldete. Er berichtete, dass er kurz nach der Tat wenige 100 Meter südlich des Tatorts zwei Männern und einer Frau begegnet sei. Einer der Männer habe sich im Neckar seine blutverschmierten Hände abgewaschen.

Hintergrund: Die Mörder könnten sich an ihren Opfern mit Blut beschmiert haben, als sie den beiden Polizisten nach dem Mordanschlag die Dienstwaffen entwendet hatten.

Auch die neuen Phantombilder (Phantombilder Nr 1 und 2), die auf den Angaben des neuen Zeugen fußten, wurden nicht veröffentlicht.

Dennoch haben die Ermittler weiterhin mit den Phantombildern gearbeitet. Noch im Mai 2011 ließen sie von einer Zeugin, die unmittelbar nach der Tat an der Heilbronner Theresienwiese einen blutverschmierten Mann in ein Auto einsteigen sah, ein zweites Mal ein Phantombild erstellen (Bild 3 und 4).

Alle Ermittler im Mordfall Kiesewetter schlossen nach Informationen von Kontext einen ausländerfeindlichen oder rechtsextremistischen Hintergrund aus. Dabei hätten die Namen der drei untergetauchten Neonazis Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe auch in Baden-Württemberg bekannt sein müssen. Kontext hat jetzt erfahren, dass aber zumindest die mit dem Mord in Heilbronn befassten LKA-Beamten in Stuttgart nie über die – angebliche – Zielfahndung der Thüringer Kollegen nach den drei Jenaer Neonazis informiert worden waren, die angeblich 1998 ausgelöst worden war.

Im NSU-Untersuchungsausschuss gab es dazu widersprüchliche Aussagen. Während der damalige Thüringer LKA-Chef Egon Luthard erklärte, er habe die Zielfandung nach dem Trio schriftlich angewiesen, sprach ein maßgeblicher Thüringer Zielfahnder nur von einer "mündlichen" Anweisung. Das wäre eine weitere schlimme Panne bei der Behörde in Thüringen, denn üblicherweise werden alle Landeskriminalämter sowie das Bundeskriminalamt über Zielfahndungen in Kenntnis gesetzt.

In den Akten findet sich ein Zielfahndungsbeschluss dann erst für das Jahr 2000. Fraglich bleibt, warum die zuständigen LKA-Ermittler in Stuttgart auch von diesem Beschluss anscheinend nichts wussten.

Als die NSU-Mordserie dann nach dem Tod von Mundlos und Böhnhardt im November 2011 bekannt wurde, hätten die Phantombilder wertvolle Hinweise liefern können. Doch kein einziges zeigt Mundlos, Böhnhardt oder Zschäpe. Zu diesem Urteil kommt die Staatsanwaltschaft Heilbronn im erwähnten Übergabebericht an die Bundesanwaltschaft. Polizei und Justiz haben diesen Befund aber bisher nicht veröffentlicht.

Zweifel an der Täterschaft der beiden NSU-Männer

Wurden die Bilder nicht veröffentlicht, weil sie die Anklagekonstruktion im Münchner NSU-Prozess in Frage stellen könnten? Die Bundesanwaltschaft behauptet jedenfalls, Kiesewetter sei von Mundlos erschossen, Arnold von Böhnhardt lebensgefährlich verletzt worden. Weil die angeblichen Täter tot sind, sehe sie keine Veranlassung, die Phantombilder in den Prozess einzuführen.

Als Indizien für Täterschaft der beiden Männer gelten die beiden Heilbronner Tatwaffen, Pistolen der Marken Tokarev und Radom, die sich laut Ermittler im Schutt des teilweise abgebrannten Zwickauer Hauses fanden, in dem das NSU-Trio eine Wohnung gemietet hatte. Auch die Dienstwaffen des Polizistenpaars Kiesewetter und Arnold sollen bei Mundlos und Böhnhardt gefunden worden sein. Wo, ist allerdings unklar. Die Staatsanwaltschaft Heilbronn nennt als Fundort einmal das Wohnmobil, in dem die Männern 2011 starben, an anderer Stelle die Wohnung in Zwickau.

Zweifel an der Täterschaft der beiden NSU-Männer sind dennoch angebracht. Denn Böhnhardt war Linkshänder, was Fragen zum Schusskanal aufwirft. In einem anderen Fall sah die Karlsruher Behörde den Besitz der Tatwaffe übrigens nicht als ausreichendes Indiz für die Täterschaft: dem der RAF-Frau und Verfassungsschutzinformantin Verena Becker beim Attentat auf Generalbundesanwalt Siegfried Buback 1977.

Weitere Zweifel ergeben sich aus den Erkenntnissen der Sonderkomission Parkplatz beim LKA. Unter Berücksichtigung aller glaubwürdigen Zeugenaussagen, so Soko-Leiter Axel Mögelin vor dem NSU-Ausschuss in Berlin, könnten vier bis sechs Personen an der Tat beteiligt gewesen sein.

Und die könnten ebenfalls aus dem Umfeld des NSU stammen. Brisant ist deshalb ein Artikel, den das "Haller Tagblatt" kürzlich veröffentlich hat und in dem die Möglichkeit angedeutet wird, dass zwei auf den Phantombildern abgebildete Personen Ähnlichkeiten mit Leuten aus der rechtsextremistischen Szene im Landkreis Schwäbisch Hall haben könnten, dem Nachbarkreis von Heilbronn.

"Der Polizistenmord von Heilbronn ist ein Rätsel", gesteht Landesinnenminister Reinhold Gall auch sechs Jahre nach der Tat. Der Sozialdemokrat, der rund 20 Minuten vom Tatort wohnt, setzte deshalb Anfang des Jahres die Ermittlungsgruppe Umfeld ein. Sie soll "polizeiliche Strukturermittlungen zum möglichen Umfeld des NSU in Baden-Württemberg" durchführen, sich aber "nicht mit dem Komplex NSU befassen, da dieser in die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft fällt". Doch der Minister könne "bisher nicht absehen, wann und welche Ergebnisse zu erwarten sind", teilt sein Sprecher mit.

Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses

Viele Fragen werden auch im Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses in Berlin offen bleiben, der Anfang September der Öffentlichkeit vorgelegt und im Bundestag diskutiert werden soll.

Der Mordfall in Heilbronn könnte eine Schlüsselrolle im gesamten NSU-Komplex spielen, weil er sich von den neun anderen Morden fundamental unterscheidet, aber eben doch ein Zusammenhang besteht. Deshalb dürfen die Phantombilder nicht weiter der Öffentlichkeit vorenthalten werden. Kontext veröffentlicht alle 14. Wir haben keine Auswahl vorgenommen. Die Beschreibungen der einzelnen Bilder basieren auf den Angaben der Polizei.


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21 Kommentare verfügbar

  • Rainer Stieber, 2. Vorsitzender KONTEXT: e.V.
    am 17.10.2013
    Antworten
    Grundsätzlich ist zu der Arbeit von KONTEXT zu sagen, dass wir uns in unserer Satzung dem ganzheitlichen Journalismus verpflichten. Dies bedeutet, dass wir über die Themen informieren und Öffentlichkeit herstellen wollen, die kritisch zu sehen sind, mit einem entsprechenden Anspruch an Qualität.…
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