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Hände hoch in Haigerloch

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Er ist der mächtigste Landrat der Republik. Und kaum jemand kennt ihn. Er kann den zweitgrößten volkseigenen Betrieb nach seiner Pfeife tanzen lassen. Und kaum jemand merkt es. Er heißt Heinz Seiffert und ist der heimliche Herr des drittgrößten deutschen Energiekonzerns, der EnBW.

Im Hauptberuf regiert Heinz Seiffert von Ulm aus den Landkreis Alb-Donau. Daneben ist der 61 Jahre alte CDU-Politiker und langjährige Atomlobbyist noch Vorsitzender der Oberschwäbischen Elektrizitätswerke (OEW). Mit seinem Landkreis hält er rund zehn Prozent der Aktien an der Energie Baden-Württemberg AG. Wenn man den Kaufpreis unterstellt, den das Land Baden-Württemberg 2011 dem französischen Voreigentümer EdF für knapp die Hälfte der EnBW-Aktien bezahlt hat, ist Seifferts Anteil rund eine Milliarde Euro wert. Die EnBW hatte nach der Rechnung des damaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus von 2010 einen Wert von rund zehn Milliarden Euro.

Um den Jahresabschluss des kommunalen Zweckverbands für 2012 zu beschließen, hat Seiffert einen symbolträchtigen Ort südlich von Tübingen ausgewählt: das Haigerlocher Renaissanceschloss, das einige Meter über dem legendären Atomkeller des Felsenstädtchens liegt. Hier befand sich in der Endphase des Zweiten Weltkriegs eine der Wiegen der Atombombe und der Atomindustrie, der Forschungsreaktor Haigerloch. Knapp 70 Jahre später sprechen die langjährigen Atomfreunde und Kernkraft-Profiteure der OEW über Windräder und den Verlust üppiger Geldquellen.

Als die neun Mitglieder des OEW-Verwaltungsrats am vergangenen Freitag um 12.30 Uhr im Schloss Haigerloch ihre Sitzung beginnen, ahnt in der gut 10 000 Einwohner zählenden Stadt niemand, welch mächtiger Besuch hier weilt. Die OEW wurde wenige Tage zuvor in der Lokalzeitung lediglich als möglicher Sponsor für die Sanierung der barocken Schlosskirche genannt. Keine Lokal-, keine Landes-, keine Bundespresse ist anwesend, wenn es um die Verabschiedung des Jahresabschlusses geht. Bilanzsumme: 2,8 Milliarden Euro. Damit dürfte der Zweckverband der mit Abstand reichste dieser Art in Deutschland sein. 

Selbstbewusste Kreisfürsten

Eigentümer sind die Kreise Ravensburg (22 Prozent), Alb-Donau (21), Bodensee (16) und Biberach (elf) sowie die Kreise Freudenstadt, Reutlingen, Rottweil, Sigmaringen und Zollernalb (mit Anteilen in von vier bis neun Prozent). Die Landräte dieser neun Kreise bilden den Verwaltungsrat.

Wie selbstbewusst die Kreisfürsten sind, zeigt eine kleine Begebenheit in Haigerloch. Nachdem sich Zollernalb-Landrat Günther-Martin Pauli (CDU) mit dem neuen EnBW-Vorstandvorsitzenden Frank Mastiaux vor einem Elektro-Smart hat ablichten lassen, nennt er ihn "unseren Mitarbeiter". Ist witzig gemeint, aber Pauli, der im Zweitberuf im Stuttgarter Landtag sitzt, trifft des Pudels Kern. Ohne die oberschwäbischen Landräte wäre Mastiaux heute noch Eon-Manager.

Denn die neun OEW-Landräte halten über ihren Zweckverband beziehungsweise die OEW Energie-Beteiligungs GmbH zusammen mit den anderen ebenfalls kommunalen Zweckverbänden, mit denen man traditionell eng kooperiert, einen höheren Anteil an der EnBW als das Land. Bis auf 0,4 Prozent gehört der Stromriese – ganz anders als bei Eon, RWE und Vattenfall – dem Volk, vertreten durch etliche Landkreise und Kommunen sowie dem Land Baden-Württemberg.

Baden-Württemberg hatte 2011 die EdF-Anteile zu einem stark überhöhten Preis übernommen. Ein teures Erbe der Regierung von Stefan Mappus, dem auch die OEW ihren Segen gegeben hatte oder zumindest deren Spitzenpersonal, denn die vom Volk gewählten oberschwäbischen Kreisräte durften darüber nicht abstimmen.

OEW-Chef Seiffert verteidigte den von Mappus vereinbarten Kaufpreis in Höhe von 4,7 Milliarden Euro noch im vergangenen Jahr als angemessen. Nach einem Gutachten lag er aber um mindestens 840 Millionen Euro zu hoch. Finanzminister Nils Schmid (SPD) spricht sogar von zwei Milliarden. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft Stuttgart wegen Verdachts auf Untreue gegen Mappus, der den EnBW-Deal am Landtag vorbei in einer Nacht-und-Nebel-Aktion durchgezogen hatte. Verfassungswidrig, wie der Staatsgerichtshof in Baden-Württemberg später urteilte, denn Mappus hätte bei einer Entscheidung dieser Tragweite vorher das Parlament fragen müssen.

Kritik an der Geheimpolitik

Auch die OEW-Spitze schert sich nicht um die gewählten Volksvertreter der neun Kreistage. Das galt schon für Kurt Widmaier (CDU), den Ravensburger Landrat und früheren OEW-Chef, und das gilt für seinen Nachfolger Seiffert. Ohne den Segen der beiden hätte Mappus, der sie bereits Anfang Dezember 2010 über seinen Coup informiert hatte, die EdF-Anteile nicht kaufen können. Denn die OEW hatte ein Vorkaufsrecht, auf das sie zugunsten des Landes verzichtet hatte. Außerdem hätten die Landräte das Recht gehabt, ihren Anteil oder Teile davon zu den gleichen (extrem günstigen) Konditionen an das Land zu verkaufen, zu denen Mappus die EdF-Anteile erworben hat. Damit wäre über die neun Kreise und ihren vielen Gemeinden ein beispielloser Geldsegen hereingebrochen. Allein die Kreise Alb-Donau und Ravensburg hätten jeweils eine Milliarde Euro einstecken können. Damit wäre aber der Kreditbedarf der Landesregierung auf knapp zehn Milliarden Euro gestiegen und der Milliardencoup gescheitert.

Einige kommunale Volksvertreter wollen sich die Geheimpolitik ihrer Kreisfürsten seither nicht mehr gefallen lassen. So Otwin Brucker, der Vorsitzende der Freien-Wähler-Fraktion im Landkreis Reutlingen. Der frühere Bürgermeister und Präsident des Baden-Württembergischen Gemeindetags fordert, dass künftig "definitiv vermieden wird", dass Entscheidungen von grundsätzlicher und für die Landkreise relevanter Bedeutung "hinter verschlossenen Türen getroffen werden". 

Wie mächtig die OEW zusammen mit den kleineren Zweckverbänden sein kann, bewiesen Seiffert & Co nach der Regierungsübernahme von Grün-Rot. Um ihrem gebeutelten Strom-, Gas- und Wasser-Konzern unter die Arme zu greifen, verlangte die Loge der Landräte von Winfried Kretschmann eine Kapitalerhöhung von 400 Millionen Euro. Der grüne Ministerpräsident forderte zwar, als Voraussetzung, eine schlüssige Strategie der EnBW für die Energiewende, aber nach langem Hin und Her flossen die geforderten Millionen an Steuergeldern dann doch in die Konzernkassen. Obwohl der damalige EnBW-Chef Hans-Peter Villis noch immer keine Wendestrategie vorlegen konnte. Auch die OEW beziehungsweise deren Beteiligungs GmbH erhöhten ihren Anteil um 400 Millionen Euro. Bürgen muss der Zweckverband.

Vom Atom-Saulus zum Windkraft-Paulus

Wer ist nun dieser einflussreiche Heinz Seiffert, der seit gut einem Jahr der OEW vorsteht und seit etlichen Jahren zusammen mit Kurt Widmaier – mittlerweile Seifferts Stellvertreter – und dem Sigmaringer Dirk Gaerte das Führungstrio des Zweckverbandes bildet? Seine politische Karriere beginnt Seiffert in Ehingen, wo er zwölf Jahre als Kämmerer die Kasse der Stadt verwaltet. Die Gewerbesteuer sprudelt üppig, denn die Stadt beherbergt die Zentrale (und das luxuriöse Anwesen) des Drogeriekönigs Anton Schlecker. Später wird Seiffert Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Ulm und bringt es bis zum finanzpolitischen Sprecher der Unionsfraktion in Berlin. 2005 geht der Hobbymusiker und frühere Freizeitkicker dann zurück in die Provinz und lässt sich zum Landrat des Alb-Donau-Kreises küren. Seine Nachfolgerin im Bundestag heißt Annette Schavan, bis zu ihrer Plagiatsaffäre Forschungsministerin.

Nach dem Reaktorunfall in Fukushima, dem Regierungswechsel in Stuttgart und nachdem Angela Merkel die Energiewende ausgerufen hat, sind auch die EnBW- und OEW-Karten neu gemischt. Aus dem Atom-Saulus Seiffert wird nun ein Windkraft-Paulus. Doch der CDU-Landrat lässt sich von Kretschmann und seinen Leuten nichts vormachen. Klar, dass "die Oberschwäbischen Elektrizitätswerke und das Land Baden-Württemberg auf Augenhöhe an einem Strang ziehen", wenn es um den volkseigenen Betrieb EnBW geht, sagt Seiffert selbstbewusst, in Anspielung auf eine von Kretschmanns Lieblingsformeln. Und mit Augenhöhe meint er, dass er auf den Bürstenschnitt des Ministerpräsidenten herabblicken kann.

Resultat: Die Zusammenarbeit verlaufe "intern sehr ordentlich und geschäftsmäßig", freut sich Seiffert 2012 im Gespräch mit der "Stuttgarter Zeitung". Im Aufsichtsrat sei "Verlässlichkeit gegeben." Gemeint sind damit vor allem Kretschmanns Stellvertreter Nils Schmid sowie die Staatministerin Silke Krebs (Grüne); beide vertreten das Land im EnBW-Aufsichtsrat.

Zukunft der EnBW weiter unklar

Nach der Sitzung des OEW-Verwaltungsrats eröffnet Seiffert am vergangenen Freitag um 15 Uhr im Preußensaal des Schlosses die Verbandversammlung, der 18 stimmberechtigte Mitglieder angehören. Erst kurz vor 18 Uhr wird die Öffentlichkeit zugelassen, für die vier Stühle bereitstehen. Nach einer Viertelstunde ist alles vorbei. Ohne Diskussion wird der Jahresabschluss 2012 verabschiedet. Einstimmig, wie es sich für einen volkseigenen Betrieb gehört. Die Ausschüttung: 40 Millionen Euro wie für das schlimme EnBW-Verlustjahr 2011. Finanziert wiederum aus den Rücklagen.

"Wie können wir den Einbruch in der Stromerzeugung kompensieren", wollten Landräte wie Heiko Schmid (Biberach) vom neuen EnBW-Chef zuvor in der nichtöffentlichen Sitzung wissen. "Eine perfekte Performance" habe Frank Mastiaux geboten, sagt Schmid im Anschluss an die Sitzung und lächelt. Doch viele Fragen blieben offen. Zum Beispiel das Verhältnis zu den Stadtwerken, die die EnBW seit Jahren mit allen Regeln der Kunst bekämpft, wenn sie dem Krösus die Konzessionen streitig machen. Schmids Kollegen Seiffert, Widmaier und Gaerte hatten das wenig aussagekräftige Mastiaux-Konzept – mehr Windräder – bereits im EnBW-Aufsichtsrat abgesegnet.

Seiffert erklärt, auf die Zukunftsprognosen des VEB OEW angesprochen, lediglich, er gehe davon aus, dass der Konzern 2013 wie 2012 wieder einen vermutlich mageren Gewinn machen werde. Man lebe eben in einer "schwierigen Zeit". Und OEW-Geschäftsführerin Barbara Endriss ergänzt vielsagend: "Es wird auch davon abhängen, wie es nach der Bundestagswahl politisch weitergeht."

Früher goldene Bilanzen

Früher hatte der Energiekonzern mit Hauptsitz in Karlsruhe goldene Zahlen geschrieben. Ein Geldsegen für die oberschwäbischen Landräte. Ihre Landkreise profitierten nicht nur über die jährlichen Ausschüttungen, sondern auch über die Förderung von "Kunst und Kultur". Knapp eine Million Euro waren es allein im Jahr 2012. Und Seiffert und die anderen OEW-Landräte hatten nicht einmal Probleme mit renitenten Atomkraftgegnern, denn keines der EnBW-Kernkraftwerke – Neckarwestheim, Philippsburg und Obrigheim (inzwischen abgeschaltet) – steht auf ihrem Territorium.

Zusammen mit dem früheren EnBW-Großeigentümer EdF hatten sich die OEW-Landräte bis zuletzt gegen den Ausstieg aus der Kernenergie gewehrt, den die rot-grüne Bundesregierung und die Energiewirtschaft im Jahr 2000 beschlossen hatten. Kein Energiekonzern in Deutschland war und ist so abhängig vom Atomstrom wie die EnBW.


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1 Kommentar verfügbar

  • energie0711
    am 29.06.2013
    Antworten
    Ein sehr interessanter Artikel mit vielen Hintergrundinformationen über die wahren Machtstrukturen, die sowohl hier in Stuttgart Einfluß haben auf unsere Wasser- und Energieversorgung als auch auf die Umsetzung der Energiewende im ganzen Land.
    Eine gute Lektüre, die man auch unseren Gemeinderäten…
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