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Ziemlich beste Bohrer

Ziemlich beste Bohrer
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Die Schlagbohrmaschine sei sein Lieblingsgerät, sagt Heimwerker Winfried Kretschmann im Interview mit dem Monatsmagazin "Cicero". Da hat er etwas gemeinsam mit dem Tiefbohrer Martin Herrenknecht. Der lässt die größten Bohrmaschinen der Welt bauen – zum Tunnelbohren, auch für Stuttgart 21. Und noch etwas haben die beiden Männer gemeinsam, das Gefühl für Macht. "Ziemlich beste Freunde" also? Und wenn ja, wer schiebt dann wen? Wer ist Herr, und wer ist Knecht?

Was da wohl besprochen wurde? Martin Herrenknecht, rechts, scheint zur Stille zu mahnen. Foto: Martin Storz

In der vergangenen Woche hat der Mann mit dem grauen Bürstenhaarschnitt den kantigen Kapitalisten an seinem Firmensitz im badischen Schwanau erstmals besucht, wenige Tage nach Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), der dem Tiefbohrer ein schönes Geschenk mitbringen konnte. Am Tag zuvor hatte der Aufsichtsrat der staatlichen Bahn AG für den Bau eines unterirdischen Bahnknotens in Stuttgart gestimmt.

"Ich nehme Rücksicht, sonst verliere ich die Macht", erklärt der erste grüne Ministerpräsident der Welt den Unterschied zwischen dem Politiker Kretschmann und einer Denkerin wie Hannah Arendt. Herrenknecht drückt sich weniger diplomatisch aus, wenn es um seine Macht (und sein Geld) geht. Ganz offen kann er erzählen, wie er einst einen Landrat mit dem Gewehr in der Hand von der Dringlichkeit des Baus einer Fabrikhalle "überzeugt" habe.

Herrenknecht geht es um seine Macht als Unternehmer, um die Macht und die Freiheit, weltweit riesige Tunnelbohrmaschinen verkaufen und damit sein Kapital vermehren zu können. Herrenknecht steht für Globalisierung und für die Geldmacht. Kretschmann hat politische Macht, zumindest die, die ihm die Geldmacht in einer postdemokratischen Welt übrig lässt.

Mit Angela Merkel keine Probleme

Das gilt auch für die Kanzlerin, die in Deutschland etwa so populär ist wie Kretschmann in Baden-Württemberg. Mit ihr habe er "keine Probleme", sagt der grüne Landeschef (aus Rücksicht). Angelegt hat er sich in der vergangenen Woche dagegen mit Angela Merkels Verkehrsminister Peter Ramsauer. Der CSU-Mann stellte via "Bild"-Zeitung höhere Fahrkartenpreise in Aussicht, wenn Baden-Württemberg sich weigere, einen Teil der Kostenexplosion von Stuttgart 21 zu übernehmen. Kretschmann, der sonst so bedächtige Langsamsprecher, nannte die Drohung "einfach dreist". Wieder konnte er beim Wahlvolk im Südwesten damit Punkte sammeln, obgleich Ramsauer nicht das Problem ist. Der Bayer tat in Sachen Stuttgart 21 immer nur das, was seine Kanzlerin wollte.

"Ich nehme Rücksicht, sonst verliere ich die Macht." Diesen Kretschmann-Satz werden die Funktionäre der grünen Partei noch häufig diskutieren. Nicht wegen der Machtfrage. Da sind sie sich Parteifunktionäre fast immer einig. Sondern wegen des Maßes der Rücksicht. So wird intern kolportiert, die SPD lasse die Koalition platzen, wenn sich die Grünen zu S 21 nicht weiter so unterwürfig verhielten wie seither. Das glaubt aber kaum jemand an der Parteibasis. Denn gut ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl, die Rot-Grün gewinnen will, könne sich die abgewirtschaftete Südwest-SPD einen Bruch nie und nimmer leisten. Das würde schon die Bundespartei verhindern. Und wenn sich die beiden Verliererparteien in Baden-Württemberg, die CDU und die SPD, zusammentäten, würden die Grünen ihr sensationelles Wahlergebnis aus dem Jahr 2011 erst recht toppen.

Der Ministerpräsident als Leidensmann

Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen den Machtmenschen Winfried Kretschmann und Angela Merkel (oder Helmut Schmidt): Der Grüne leidet und "kommuniziert" – so nennt man das in der Werbesprache – dieses Leiden so gut, dass es glaubhaft wirkt. "Ich habe schon manchmal Angst", bekannte er im "Cicero"-Interview, "dass gestanzte Phrasen aus dem Kretschmann kommen. Das Amt biegt einen da." Und wieder punktet er beim Wähler.

Auch wenn er für sich in Anspruch nimmt, noch Visionen zu haben, geht es dem Politiker Winfried Kretschmann vor allem um die Macht. Das mussten in den knapp zwei Jahren seiner Amtszeit auch viele Grüne und viele Stuttgart-21-Gegner lernen, die ihn 2011 an die Macht brachten und am Wahlabend ausgelassen eine "Mappschiedsparty" feierten, um das Ende der Ära Mappus zu begießen. Der Kater ließ nicht lange auf sich warten, und für manche dauert er noch heute an.

Auch daran kann Kretschmann leiden, wenn es sein muss. Und trotzdem hat er gut lachen, denn in Sachen Stuttgart 21 kann er machtpolitisch gesehen nur gewinnen. Kippt das Milliardenprojekt, konnte und kann er immer sagen, er habe ja davor gewarnt. Wird gebaut, dann nimmt der 1,93-Meter-Mann das schwere Kreuz der Volksabstimmung oder das eines Aufsichtsratsbeschlusses der Bahn AG auf sich und erklärt, wie in der vergangenen Woche im Landtag und einen Tag vor seinem Herrenknecht-Besuch: "Stuttgart 21 wird gebaut." Nur am Kostendeckel für das Land wolle er festhalten.

Auch das honorieren die meisten Bürger – zumindest, wenn sie nicht in Stuttgart wohnen, wo der Protest nicht nachlässt. Doch die Landeshauptstadt stellt gerade mal fünf Prozent der Wähler. Und selbst wenn die Grünen ihre drei Direktmandate in Stuttgart verlören, Kretschmann weiß, dass er auf dem Land weit mehr gewinnen kann, die Stimmen vieler langjähriger Anhänger der CDU und der SPD.

Damit könnte der grüne Landesvater bei der Landtagswahl 2016 seinen Vorsprung vor dem etwas kleineren und blasseren Koalitionspartner noch ausbauen. Auch wenn der Alt-68er mit kurzzeitigem Berufsverbot dann 68 Jahre alt sein wird. Vielleicht wird ihm sein neuer Bohrmaschinenfreund Herrenknecht bis dahin sogar mit einer kleinen Parteispende beehren, was der erfolgreiche Unternehmer bisher kategorisch abgelehnt hat.

 


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2 Kommentare verfügbar

  • rudi r.
    am 16.03.2013
    Antworten
    Die Sonntagsfrage. Die Landtagswahl vor zwei Jahren war für mich eine Hoffnungswahl - natürlich wegen S 21, aber nicht nur. Zuvor gab es doch immer nur die Wahl des kleineren Übels. Wenn ich mir aber die Arbeit dieser Regierung bis heute ansehe und insbesondere die des Herrn Kretschmann, komme ich…
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