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Musterland des Gehörtwerdens?

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Baden-Württemberg soll das Musterland der Bürgerbeteiligung werden, verkündeten Ministerpräsident Winfried Kretschmann und sein Vize Nils Schmid (SPD). Der grüne MP erklärte "die Politik des Gehörtwerdens" zu seiner Leitidee. Doch was tun, wenn das Volk seine Meinung ändert? Wenn es sich mal für, mal gegen Stuttgart 21 ausspricht, wie jetzt bei der von Kontext und taz beauftragten Umfrage?

Die Volksabstimmung zu Stuttgart 21 ist kein Gottesurteil, erklärte der Verfassungsrechtler Joachim Wieland. Das Volk habe abgestimmt vor der Prämisse, dass sich der Höchstbetrag für den Bau des Bahnprojekts innerhalb der Grenze von 4,5 Milliarden Euro halten würde. Da diese Grenze erheblich überstiegen werde, sei die Volksabstimmung nicht mehr verbindlich und Winfried Kretschmann frei, den Vertrag mit der Bahn zu kündigen.

Kretschmann allerdings fühlt sich nach wie vor an das Votum des Volkes aus dem Jahr 2011 gebunden, erklärt der Grüne seit Bekanntwerden der Kostenexplosion Mitte Dezember 2012. Zugeben musste er inzwischen allerdings, dass die Landesregierung juristisch nicht daran festhalten muss. Doch aus politischen Gründen bleibe er bei seiner Meinung. Der Koalitionspartner SPD ohnehin. Auch Fraktionschef Claus Schmiedel beruft sich dabei gerne auf das Wahlvolk. So frohlockte der S-21-Lobbyist vor gut zwei Wochen, als der private Nachrichtensender N 24 mitteilte, 62 Prozent der Baden-Württemberger wollten, dass Stuttgart 21 gebaut werde.

CDU: Bürgerwillen umsetzen

Die CDU-Landtagsabgeordnete Nicole Razavi sagte, die Umfrage sei ein Appell an alle, "den Bürgerwillen umzusetzen". Und Stuttgart-21-Projektsprecher Wolfgang Dietrich erklärte, die Bürger "dringen darauf, das Projekt zügig zu verwirklichen".

Doch die S-21-Anhänger hatten die Umfrage nicht genau gelesen. Und so gingen die Schüsse nach hinten los. Tatsächlich hatte TNS Emnid 1000 Frauen und Männer nach dem umstrittenen Bahnprojekt befragt, aber nicht in Stuttgart oder Baden-Württemberg, sondern in ganz Deutschland. Darunter waren gerade mal etwa 125 Bürger aus dem Südweststaat. Bei dieser kleinen Fallzahl ist eine seriöse Aussage nicht möglich. Im Übrigen wurde nach dem "Weiterbau" von S 21 gefragt. Das könnte dem Unwissenden signalisieren, das Projekt sei schon viel zu weit gediehen, um es noch zu stoppen, sodass eine Fortsetzung nur konsequent wäre.

Zumindest S-21-Sprecher Dietrich hätte es besser wissen müssen. Denn die Bahn hatte beim Institut für Meinungsforschung in Leipzig selbst eine Umfrage in Auftrag gegeben, doch das Ergebnis nicht veröffentlicht.

Das neue Umfrageergebnis erinnert an die Werte aus dem Jahr 2010. Damals hatte Forsa im Auftrag des "Sterns" ebenfalls eine Ablehnung für S 21 ermittelt. Auf die Frage, ob sie für das Großprojekt seien, antworteten in der Umfrage 51 Prozent mit "nein" und 26 Prozent mit "ja". 23 Prozent waren unentschieden.

Meinungsumschwung nach Bekanntwerden des Missmanagements

Umfragewerte nach dem 12. Dezember 2012, also nach dem offiziellen Zugeständnis des Bahnvorstands, dass die Kosten von 4,5 auf 6,8 Milliarden Euro gestiegen sind, sind unbekannt. Es liegen nur die problematischen N-24-Zahlen vom 8. Februar vor. Unterstellt, dass es damals zumindest noch eine leichte Mehrheit für S 21 gab, müsste dies erklärt werden. Tatsächlich kannte die Bevölkerung das Missmanagement der Bahn AG zum Zeitpunkt der N-24-Umfrage noch nicht. Erst in den Tagen danach haben alle Medien die Enthüllungen der "Stuttgarter Zeitung", die auf einer Einschätzung des Verkehrsministeriums basierten, aufgegriffen und darüber zum Teil ausführlich berichtet. So könnte der Meinungsumschwung genau in diesen Tagen erfolgt sein.

Man darf gespannt sein, wie die Politiker des "Gehörtwerdens" mit den neuen Zahlen umgehen werden. Gestärkt werden sie dabei übrigens auch in ihrer Ablehnung weiterer Landeszuschüsse für S 21. 55 Prozent der Bürger lehnen das ab. Damit dürfte das Staatsministerium mit seiner Strategie Schwierigkeiten bekommen, zumindest für den Filderabschnitt weitere Steuergelder zur Verfügung zu stellen. Die grüne Basis lehnt dies nach wie vor ab.

 

Dieser Artikel ist am 24. Februar 2013 erschienen.

 

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4 Kommentare verfügbar

  • Horst Ricken
    am 04.03.2013
    Antworten
    Die Volksabstimmung hat seinerzeit ein klares Votum für Stuttgart 21
    gebracht. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn wer zum
    Ausdruck bringen wollte, dass er/sie gegen Stuttgart 21 ist, musste auf
    dem Stimmzettel sein/ihr Kreuzchen bei "ja" machen. Absurd. Es war wohl
    eher eine…
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