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Abgekratzt!

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In einer Berliner Kneipe klebte lange ein Anti-Stuttgart-21-Aufkleber. Jetzt ist er weg. Bleibt die Frage: wer war das?

Auch im befreundeten Ausland leben Anti-S21-Aufkleber gefährlich. Fotomontage: Ingo Anhenn

In der deutschen Hauptstadt gibt es nicht nur Deutschtürken, sondern auch Berlin-Stuttgarter, Berliner mit Stuttgarter Wurzeln. Einer von ihnen versorgt sich, immer wenn er in seiner alten Heimat ist, an der Mahnwache der S-21-Gegner mit Devotionalien des Widerstandes, die er dann in seine neue Heimat mitnimmt, um sie dort zu verschenken oder sonstwie nutzbringend zu verwenden. Zum Beispiel Aufkleber mit dem Logo der Bewegung, das einem Ortsausgangsschild nachempfundene, durchgestrichene "Stuttgart 21" auf orangefarbenem Grund.

Ein solches Stück brachte er einmal in seine Stammkneipe mit, um es dem jungen Wirt zu vermachen und ihm gleichzeitig zu berichten, wie das so ist in der Hauptstadt des Protestes. Marcus, der Wirt, ist eigentlich CDU-Sympathisant, aber den schwäbischen Geschichten gegenüber durchaus aufgeschlossen und obendrein so liberal, dass er den Aufkleber außen an die Scheibe seines Lokals klebte. Vielleicht hat ihm das ja sogar den ein oder anderen Kunden zugetrieben – vielleicht aber auch weg, das weiß keiner so genau.

Kürzlich nun kam der Berlin-Stuttgarter wieder in diese Kneipe, die ganz zentral in der Nähe des Alexanderplatzes liegt. Der Anti-S-21-Kleber war weg. Wie das?, fragte er Wirt Marcus. Na, den hat doch der Mladek abgekratzt, antwortete der. Wer ist der Mladek? Na, das ist doch der ehemalige stellvertretende Chefredakteur des "Berliner Kuriers". Ja, und warum hat er ihn weggekratzt? Na, weil er sagte, so was wolle er nicht an seiner Stammkneipe haben. Und weil Wirt Marcus eben liberal ist, hat er das zugelassen.

Schau an, so kleinkariert sind sie dann also, die S-21-Befürworter, selbst 600 Kilometer weit weg vom Schauplatz entfernen sie Protestsymbole. Der "Berliner Kurier" ist ein Boulevardblatt aus dem Berliner Verlag, der wiederum zum Kölner DuMont-Schauberg-Konzern gehört, der jüngst die "Frankfurter Rundschau" pleitegehen ließ. Aufschlussreich ist auch, dass der "Berliner Kurier" ein Blatt mit DDR-Vergangenheit ist, damals "BZ am Abend" hieß und eine Art künstliche Boulevardzeitung der SED-Pressemonopolmaschinerie war. In diesem Kontext wird das Abkratzen missliebiger Parolen verständlicher. 

Der Berlin-Stuttgarter will trotzdem nicht kapitulieren, so wie die S-21-Gegner bisher auch nicht kapituliert haben. Bei seinem nächsten Aufenthalt in Stuttgart wird er sich erneut mit Symbolen bewaffnen. Zum Beispiel mit dem "Oben bleiben!"-Adventskalender, den er dem Wirt Marcus für seine Kneipe mitbringen möchte. Der müsste ihn eigentlich aufhängen, so liberal wie er ist. Und dann sind wir gespannt, ob der Mladek, und der Vollständigkeit halber sei ergänzt: Jürgen, 44, begonnen bei den "Fränkischen Nachrichten", inzwischen Redaktionsleiter beim "Nordkurier", ehemals "Freie Erde", dem SED-Organ im Bezirk Neubrandenburg und heute mehreren westdeutschen Verlagen gehörend, ob der Mladek also auch ein Türchen öffnet.

 

Das Abkratzen ist schon seit langer, langer Zeit ein Phänomen: <link http: www.kontextwochenzeitung.de newsartikel die-abkratzer external-link-new-window>hier mehr.


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1 Kommentar verfügbar

  • Infoladen Stuttgart
    am 21.11.2012
    Antworten
    Wenn der Berlin-Stuttgarter das nächste mal im Schwobaländle ist sei ihm der Infoladen im Linken Zentrum Lilo Herrmann empfohlen, dort kann er sich massenhaft mit Devotionalien des Stuttgarter Protestes und Widerstandes eindecken. Aktuell beispielsweise den Stuttgarter Kalender für ein…
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