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Pressemonopol im Südwesten

Was für eine Hybris

Pressemonopol im Südwesten: Was für eine Hybris
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Die "Südwest Presse" verspricht Premium-Journalismus für die neu gekauften Zeitungen aus Stuttgart, Esslingen, Oberndorf und Böblingen. Das zu glauben wird schwer. Besonders für Journalist:innen, die wieder bluten müssen, und die Leserschaft, die ihre Zeitungen nicht wiedererkennen wird.

"Unser Ziel ist es, journalistische Qualität und Innovationskraft zu verbinden, um unseren Leserinnen und Lesern auch künftig erstklassige Inhalte zu bieten." Andreas Simmet, Geschäftsführer "Südwest Presse"

Einer geplagten Chronistenseele sei die Vorbemerkung erlaubt: was für eine Hybris. Andreas Simmet, der Chief Executive Officer (CEO) eines kreuzbraven Provinzblatts, bisher nicht als Protagonist von Premium-Publizistik aufgefallen, verspricht "auch künftig erstklassige Inhalte" für alle Zeitungen, die er jüngst erworben hat. Also für die "Stuttgarter Zeitung" (StZ), die "Stuttgarter Nachrichten" (StN), die "Eßlinger Zeitung", den "Schwarzwälder Boten" und die "Böblinger Kreiszeitung". Simmet, 59, verkündet dies in einer Pressemitteilung vom 31. Oktober 2025. Wie er das bewerkstelligen will, soll im Nachfolgenden versuchsweise erläutert werden.

Zunächst aber sei eine weitere Frage gestattet. Warum sagt der gelernte Ingenieur nicht einfach: Wir kaufen und verkaufen alles, womit Geld zu verdienen ist. Mein Job ist es, meinen Verleger glücklich zu machen, nachdem er nicht mehr Fußball- und Tischtennispräsident ist. Das Qualitätsgesülze hat mir die PR-Abteilung aufgeschrieben.

Ob es nun schlau war, zum Zweck der Vermögensvermehrung sich alle die genannten Organe einzuverleiben, wird sich weisen. Zumindest preisgünstig war's. 60 Millionen Euro sind ein echtes Schnäppchen. Die "Eßlinger Zeitung" war vor acht Jahren allein fast so viel wert.

Generell gilt, dass der Kauf dem Dogma kapitalistischen Wirtschaftens folgt, nur noch durch Wachstum überleben zu können. Ausgepackt wird das übliche BWL-Besteck: Synergien heben, Strukturen verschlanken, Kosten sparen, vulgo Leute rausschmeißen. Da handeln Zeitungsfürsten wie Schraubenfabrikanten.

Dieses Geschäft kennt Simmet. Als CEO der "Neuen Pressegesellschaft Ulm" (NPG), zu der neben der "Südwest Presse" (SWP) 20 weitere Titel gehören, ist er als hemdsärmeliger Akquisiteur unterwegs und macht dabei auch vor Säulenheiligen des Gewerbes nicht halt. Valdo Lehari jr. ist so einer. Warum ihm kein Anzeigenblatt ins Revier pflanzen? Auch wenn der Reutlinger Verleger ("Generalanzeiger") ein Lobbyist hohen Grades ist. Mit besten Kontakten zur Politik. Aber: Sein GEA hat eine Auflage von 30.000, Tendenz fallend. Simmets Blätter bewegen sich auf eine Million zu, und die Politik schweigt zu einem Deal, der einen Monopolisten in zwei Dritteln Baden-Württembergs etabliert. Da hält Lehari jr. lieber die Füße still. Er könnte der nächste Übernahmekandidat sein.

Bestatter Dorfs wird Doppel-Chefredakteur

Doch weiter im Pressetext: Nachdem die Übernahme der Stuttgarter Blätter auf Managementebene geregelt sei, lässt Simmet mitteilen, sei jetzt auch die Redaktionsstruktur neu aufgestellt. Er meint die Hierarchie der Führungskräfte. Zwei erstklassige Beispiele:

Joachim Dorfs, Jahrgang 1964, StZ-Chefredakteur seit 2008, wird zusätzlich noch Erster bei den "Stuttgarter Nachrichten". Qualifiziert ist er als Bestatter der gedruckten Zeitung, weil er ihr Sterben frühzeitig vorausgesehen ("das Bedrucken toter Bäume ist out") und aktiv begleitet hat. Lieblos zusammengeschustert, mit Agenturtexten zugepflastert, inaktuell (VfB-Spiele!) und teuer (monatlich 67,90 Euro) – das ist die "Stuttgarter Zeitung" heute. In seiner Amtszeit hat es der ehemalige "Handelsblatt"-Redakteur geschafft, vier Sparrunden durchzuziehen, eine Redaktion zum Torso und eine führende Landeszeitung zur lokal begrenzten Wundertüte zu machen. Als doppelter Verlegerversteher könnte es Dorfs bis zur Rente schaffen, vor allem, wenn er, wie zu hören ist, die rustikalen Kutscher von der Donau als starke Typen preist.

Johanna Bruckner, Jahrgang 1984, vormals bei der "Süddeutschen Zeitung", Hoffnungsträgerin für alle, die im Digitalen auch Qualität erkennen wollen, trat 2024 ihren Dienst im Möhringer Pressehaus an, wo sie bald in die Chefredaktion einrückte. Von ihr geblieben ist die Verzwergung zum boulevardesken Lokaljournalismus, den sie nach Kräften forcierte. Es blühten Geschichten aus der Welt des schwäbischen Liebeslebens auf, etwa anlässlich einer "Sexpositiv-Party", bei der man sich vor fünf Matratzen in einer Schlange aufstellen musste. Wegen der Ordnung. Der Text vom 30. Oktober sei zuerst in der "Südwest Presse" erschienen, lautete der Schluss. Als Willkommensgruß sozusagen. Bruckner wechselt zum Jahresbeginn nach Berlin, wo sie den Digitalbereich für die NPG-Gruppe als Chefredakteurin befeuern soll.

Dort in der Hauptstadt haben die Ulmer ihren Mantel-Dienstleister sitzen, die "Neue Berliner Redaktionsgesellschaft", in der zwölf Spitzenkräfte nach eigener Einschätzung "Premium-Qualität" abliefern. Gerne auch ganze Seiten für die "Südwest Presse" und die "Schwäbische Zeitung", aber auch für die "Märkische Oderzeitung" oder "Lausitzer Rundschau". Seit Kurzem hilft das Berliner Büro der beiden Stuttgarter Blätter mit. Es steht bereits auf der Payroll der NPG.

Ein Mantel für alle – vom Bodensee bis Brandenburg

Und so wird kommen, was Experten wie der Zeitungsforscher Horst Röper vor Monaten in Kontext prophezeit hat: ein Mantel für alle. Man könnte auch von einem Einheitsbrei von nationaler Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport sprechen oder netter vom Mainstream, der sich vom Bodensee bis nach Brandenburg zieht. 

Die Zentralredaktion wird in der Stadt mit dem zweithöchsten Kirchturm der Welt stehen, unter dem die NPG derzeit ein schmuckes Hauptquartier errichtet. Chef aller Chefredakteure – und damit einer der wichtigsten in der Republik – wird Ulrich Becker, was hätte schlimmer werden können. Der Kölner, Jahrgang 1963, seit 2012 SWP-Frontmann, war früher mal bei "Bild", "Bunte" und "Bravo", ist aber seitdem älter und ruhiger geworden. Einer, der geerdet genug ist, dem Publikum nicht das Blaue vom Himmel herunter zu versprechen. Er glaubt, es werde ein "Mehr an Themen" geben.

Was aber wird aus all' den Kolleginnen und Kollegen in den noch bestehenden Mantelredaktionen? Allein in Stuttgart werden 60 Betroffene gezählt, unter ihnen namentlich bekannte Autoren wie Andreas Müller, Reiner Ruf, Franz Feyder und Armin Käfer, die der StZ und den StN ein eigenes Profil geben sollten, als sie 2015 fusionierten. Sie wissen alle nicht, was aus ihnen wird. Was wird aus der Landesredaktion, die sofort durch das Stuttgarter SWP-Büro ersetzt werden könnte, in dem bereits fünf baden-württembergische Zeitungen untergeschlüpft sind. Was macht der journalistische Nachwuchs im ganzen Land, dem gesagt wird, dass keine Volontär:innen und Praktikant:innen mehr eingestellt, Zusagen zurückgezogen werden? Kein Kommentar zu allem. Man habe sich darauf geeinigt, mit einer Stimme zu sprechen, schreibt uns Becker. Er sei sie nicht.

30 oder 35 – wie viele müssen gehen?

Also zurück zur Abteilung Simmet. In deren Kreisen werde die Zahl 30 bis 35 genannt, die raus müssten, erzählen Insider – das entspräche der Hälfte der noch vorhandenen Mantelredaktion. Die Geschäftsleitung dementiert. Solche Pläne bestünden "momentan" nicht, lässt sie den Betriebsrat wissen, so weit sei man noch nicht. Wenn sie so etwas sagen, die Manager, lächelten sie verwirrt bis amüsiert, berichten Beschäftigte. Offenbar sind sie solche Fragen nicht gewohnt – wie so manches andere auch nicht.

Journalist:innen streiken zum Beispiel aus Solidarität für jene, die schlechter bezahlt werden, wie diesen Oktober im Pressehaus geschehen. Der Geschäftsleitung fällt nichts anderes ein, als mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu drohen. Der Betriebsrat empört sich über diesen "Angriff auf das Streikrecht", sieht ein "Fundament für eine sozial gerechte Gesellschaft" in Gefahr und die Belegschaft im Kulturschock. Früher seien wenigstens Respekt und Verständnis erkennbar gewesen, heißt es, heute nur noch Brutalität und Rücksichtslosigkeit.

In diesem Zusammenhang fällt immer wieder der Name Johannes Weberling. Der gebürtige Biberacher, Professor für Medienrecht, Jurist und Spezialist für Tarifflucht und Outsourcing, gilt als knallharter Arbeitgebervertreter. Jetzt eben für NPG-Simmet. Auf der Seite der Arbeitnehmer wird er als "Dampframme" wahrgenommen. Weberling habe offensichtlich "wenig Skrupel", geltendes Recht "mit viel Fantasie aus- oder umzudeuten", schildern Gewerkschafter, die bei den Tarifverhandlungen mit der NPG zugegen waren. Sein Hang zur "großen Rede" setze eine hohe Leidensfähigkeit beim Auditorium voraus.

Fazit: Wären Elefanten nicht so empfindsame Wesen – Simmets Truppe gäbe ein prächtiges Bild im Porzellanladen in der Plieninger Straße 150 ab, wo das Stuttgarter Pressehaus residiert. 

Gute Nachricht: Reisinger gegen rechts

Einer, der sich das nicht mehr antun wollte, ist Christoph Reisinger, Chefredakteur der "Stuttgarter Nachrichten" seit 2012. Er hat es vorgezogen zu gehen. Der 63-Jährige gilt als konservativ-liberal, ist promovierter Historiker, Oberstleutnant der Reserve, verheiratet, katholisch und gebürtiger Leutkircher. Diese Kurzbiographie ist wichtig, weil er zum Jahresbeginn als Chefredakteur bei der "Schwäbischen Zeitung" in Ravensburg antritt – welche mächtig in Verschiss geraten ist.

Wir erinnern uns: Im Sommer 2024 wird bundesweit über einen "Rechtsruck" und eine "AfD-Affinität" berichtet. Kuriose Interviews mit Max Krah & Konsorten füllen Seiten, Chefredakteur Gabriel Kords, aus Meck-Pomm eingeflogen, will die Brandmauer zur AfD fallen sehen. Der Ruck nach rechts wird bei der "Zeitung für christliche Kultur und Politik" als "Öffnung des Meinungskorridors" verkauft und kommt beim liberalen Publikum ganz schlecht an. Die Drohungen, die Abos zu kündigen, nehmen zu. Kords kehrt zurück zum Schweriner "Nordkurier", der zum Portfolio der Schwäbischen gehört. Reisingers Job ist klar: zurück zu journalistischem Anstand.

In Stuttgart, das ist ihm bewusst, ist kein Platz mehr für ihn. Das gedruckte Wort wird hier behandelt, als hätte es Lepra. Allein Online zählt, und hier das Schnelle, das Bauchfixierte, das scheinbar Skandalöse und das zutiefst Menschliche, das Blutdruck und Klickzahlen in die Höhe treibt. Er, der Old-School-Printler, fremdelt mit den digitalen Seelenkruschtlern, er war für die Papierausgaben von "Stuttgarter Zeitung" und "Stuttgarter Nachrichten" zuständig. "Er hat sich angestrengt" – das soll bleiben von ihm, hat er einmal in einem Kontext-Interview gesagt.

PS: Schön wäre es gewesen, über diese Dinge mit den neuen Eigentümern zu reden. Aber sie lassen um Verständnis bitten, dass sie "zu internen Prozessen generell keine Auskunft geben, solange diese nicht offiziell von uns kommuniziert wurden". Da freuen wir uns doch auf die nächste Pressemitteilung, in der wieder "erstklassige Inhalte" verkündet werden.

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1 Kommentar verfügbar

  • Stefan Thomas
    vor 6 Stunden
    Antworten
    wer hier neuerdings alles als journalistische Qualität verkauft wird:

    als Reiner Ruf, der wirklich für dich selbst denkt, wäre ich empört mit Armin Käfer und Andreas Müller in einem Atemzug genannt zu werden....
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