KONTEXT:Wochenzeitung
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Kontext auf Tour – Schwäbisch Hall

Der Blick hinter die Schlagzeile

Kontext auf Tour – Schwäbisch Hall: Der Blick hinter die Schlagzeile
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Vergangene Woche im Haller "Schafstall". Die Redaktion trifft auf ein Publikum, das sich nachfragenden Journalismus wünscht. Es könnte der Beginn einer neuen Freundschaft sein.

Es ist kurz vor 20 Uhr, langsam füllt sich der "Schafstall", das selbstverwaltete Kino unweit des Kochers. Vorbei geht's am Infotisch mit dem neuen Kontext-Karikaturenband, mit den „linksgrünversifften“ Aufklebern, diversen Flyern und Postkarten, von denen viele die Handschrift von Hauskarikaturist Oliver Stenzel tragen. Daneben noch die letzte Zeitungsausgabe, in der ein langer Text über Schwäbisch Hall steht. Vorstandsmitglied Jürgen Klose ("Und jetzt der Werbeblock!") freut sich über die rege Nachfrage.

"Wir wollen wissen, was Ihnen unter den Nägeln brennt", leitet Chefredakteurin Susanne Stiefel den Abend ein. Neben ihr sitzt Kontext-Autor Dietrich Heißenbüttel, der die Geschichte über Hall geschrieben hat. Wenige Tage danach will die Redaktion den direkten Austausch und auch die Gelegenheit nutzen, ihre Arbeit den 30 Rührigen aus der Stadtgesellschaft vorzustellen.

Autor Heißenbüttel hat eine Stadt kennengelernt, die eine sehr bunte Subkultur hat, in der sich Menschen in innovativen Projekten zusammentun, Wohnungsnot und Armut im Blick haben bis hin zum globalen Süden. Sein Fazit: Hall bietet viel mehr als Bausparkasse und Würth. Mehr als die örtliche Presse, das "Haller Tagblatt", widerspiegelt?

Was Wunder, dass zwei zentrale Fragen den Abend prägen: Warum braucht es spendenfinanzierte Projekte wie Kontext und was ist Non-Profit-Journalismus?

Chefredakteurin Stiefel steigt direkt ein. Sie will wissen, welche Erfahrungen die Anwesenden mit der Lokalpresse machen. Die Antworten fallen unterschiedlich aus. Die Theaterpädagogin Jennifer Sittler sieht den Personalmangel bei der Zeitung als Problem. Sie müsse viele Texte selbst schreiben, um überhaupt "vorzukommen", sagt die Tochter von Walter Sittler und Sigrid Klausmann. Wohlgesonnener zeigt man sich in den vorderen Reihen, wo betont wird, dass sich das "Tagblatt" in den vergangenen fünf Jahren "zum Besseren" entwickelt habe. Davor sei das Blatt "noch sehr finster und unter aller Kanone" gewesen. Heute beklagten sich zum Teil Gemeinderäte, dass sie darin nicht gut genug wegkämen. Früher undenkbar.

Stiefel spannt den Bogen weiter und verweist auf die Eigentümerin "Südwestpresse", die den überlokalen Teil liefert. Wie in allen ähnlichen Verlagen wird hier gespart, insbesondere am Personal, um die Renditen wieder zu erwirtschaften. Neben der Verlegerpresse und den Öffentlich-Rechtlichen brauche es den Non-Profit-Journalismus, sagt Stiefel, um dem Kontrollauftrag der Presse nachkommen zu können. Das funktioniere freilich nur, wenn die Redaktionen nicht kaputtgespart würden. Wie etwa im Stuttgarter Pressehaus, wo 50 Redakteur:innen, ein Viertel der Belegschaft, gehen müssen.

Wer recherchiert hier mal ordentlich?

Die frühere Chefreporterin von "Sonntag Aktuell" plädiert für einen Journalismus mit Haltung, für Zeit für die Recherche, für einen genauen Blick hinter die Schlagzeile, um zu erkennen "was eigentlich los ist im Land". Dass man dafür nie genug Leute hat, nie genug Geld, ist bekannt, aber auch Anlass zum Weiterdenken. Kontext müsse wachsen, sagt Stiefel, und berichtet vom Plan, eine gemeinnützige Genossenschaft zu gründen. Ähnlich wie die taz, die Kontext samstags immer druckt und dafür eine Lizenzgebühr zahlt. Bisher wird das Projekt von rund 2.000 Spender:innen und Vereinsmitgliedern getragen.

Mit zunehmender Dauer des Abends wird das Bild der 40.000-Einwohnerstadt deutlicher. Sie sei reich, heißt es, aber bezahlbaren Wohnraum gebe es kaum. Und an das "Tabu-Thema" würde sich zu wenig herangetraut, verlautet aus dem Publikum: "Da muss man sich wirklich strecken, um jemanden zu finden, von dem man Informationen bekommt." Die Mietsituation scheint hier "keinen zu interessieren", ergänzt Jennifer Sittler.

Das Mietshäuser-Syndikat "Trauben & Rosinen" im Haller Stadtteil Hessental gilt ihnen als Beispiel einer unbefriedigenden Berichterstattung. Einer der Initiatoren vermisst die journalistischen Nachfragen, die Einordnung. Das "Tagblatt" schreibe zwar, was im Gemeinderat besprochen werde, fasse aber nicht nach. "Wer recherchiert hier mal ordentlich?", fragt er. Wie viele Mieten liegen tatsächlich unter dem Durchschnitt? Gibt es überhaupt Sozialwohnungen?

Das würde er gerne lesen. "Vielleicht ist es mit euch nun ein Beginn", sagt er, "dass mehr solche Themen aufgegriffen werden." Elf Jahre Kontext lehren, dass es so ist. Die nächsten Stationen von Kontext on Tour sollen Tübingen und Heidelberg sein.


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