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Gemeinnütziger Journalismus in Konstanz

"Karla" ist bald da

Gemeinnütziger Journalismus in Konstanz: "Karla" ist bald da
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"Karla kommt!" ist einer der Werbeslogans für ein neues Medium, das in Konstanz an den Start gehen will. Die acht GründerInnen des werbefreien und gemeinnützigen Projekts haben sich viel vorgenommen. Das Crowdfunding läuft jetzt, im Sommer geht's los.

In Münster gibt es "Rums", in Nürnberg die "Relevanzreporter", in Stuttgart "Kontext" und in Konstanz am Bodensee demnächst: "Karla". Nicht Kolumna, wie die rasende Reporterin bei Benjamin Blümchen, sondern "die Freie" – "um den Gedanken der Unabhängigkeit zu transportieren", sagt Michael Lünstroth, einer der "Karla"-Gründer. Außerdem sei ein starker Frauenname doch toll, und klingen täte es im Sprachgebrauch auch ganz gut: "Heute schon Karla gelesen?"

Wo der alte, gewinnorientierte Journalismus Lücken lässt, und das ist vor allem im Lokalen der Fall, werden diese zunehmend durch gemeinnützige Medien-Projekte gefüllt. Der Anspruch, Journalismus ohne Umwege gemeinnützig zu machen, hat es sogar in den Koalitionsvertrag der Bundesregierung geschafft und wird mit einiger Wahrscheinlichkeit die Zukunft der Branche in Deutschland werden.

Für diese Zukunft könnte Konstanz ein Beispiel werden. Bisher wurde die Stadt bespielt von der Tageszeitung "Südkurier" – traditionell im Medienmonopol sozusagen – und dem kleinen, aber bissigen Online-Medium "Seemoz" um den Linken Holger Reile. Und demnächst also auch mit "Karla", einer journalistische Neugründung mit hohem Anspruch.

Die Idee für ein Lokalmedium in der Stadt am See reifte schon eine ganze Weile, erzählt Lünstroth. Die Berichterstattung des Platzhirschs "Südkurier" zur OB-Wahl vor zwei Jahren sei ein weiterer Anstoß für mehr Medienvielfalt in der Seestadt gewesen. Damals kandidierte der langjährige Konstanzer CDU-OB Uli Burchardt gegen den Stuttgarter Linken Luigi Pantisano. Der "Südkurier" schlug sich vor allem auf die Seite des CDUlers und fuhr eine waschechte Rote-Socken-Kampagne gegen seinen Kontrahenten. Ein Jahr später beglückte der "Südkurier" seine LeserInnen dann auch noch mit einer AfD-Beilage. Da war der Plan, dem etwas entgegenzusetzen, besiegelt. Mehr Medienvielfalt für Konstanz musste her, zur Verteidigung der Demokratie in einer Zeit des Niedergangs klassischer Medienformate und vor allem der Lokalpresse. Lokales ist Verlagen bundesweit mittlerweile zu teuer, die Gewinnspannen sind überschaubar. Dabei ist guter Lokaljournalismus die demokratische Grundlage einer funktionierenden Gesellschaft. Die will "Karla" in der Seestadt stärken.

Konstruktiv und lokal wollen sie sein

Die Ziele der "Karla"-MacherInnen sind hoch gesteckt. Acht GründerInnen (Thomas Buck, Birgit Niederhafner, Moritz Schneider, Michael Lünstroth, Anna Kulp, Peter Magulski, Nik Volz und Saskia Baumgartner) stecken hinter Karla, die von sich sagen: "Wir wollen keine Besserwisser:innen sein, sondern Dinge wirklich verstehen. Wir schwingen nicht den moralischen Zeigefinger, sondern wir versuchen, Lösungen aufzuzeigen, die jenseits von Ideologien liegen. Wir sind überzeugt, dass man die Welt heute nur verstehen kann, wenn man sie aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Und genau das wollen wir tun. Bei uns gibt es keine einfachen Antworten." 

"Karla" hat sich vor allem Vermittlung auf die Fahne geschrieben, und das gleich multidimensional. Zum einen die Vermittlung des Phänomens "Journalismus" an sich. Die Idee kam Lünstroth, als er ein Seminar an der Uni gab, erzählt er. Da ging es eigentlich um die Frage, wie man Fakten von Fake News unterscheidet: "Ich war einigermaßen überrascht, wie wenig die Studierenden generell über Journalismus wissen", sagt Lünstroth. "Und das waren Studierende! So viele Leute wissen nicht mehr, wie Journalismus geht, wie wir arbeiten, was eigentlich der Wert des Journalismus ist."

Deshalb will das neue Konstanzer Medium nahbarer sein als eine klassische Zeitung. Mit multimedialen Inhalten, die verschiedene Altersgruppen anspricht, es soll Veranstaltungen geben, Diskussionen, Workshops in denen interessierte KonstanzerInnen geschult werden, um selber am Projekt mitwirken zu können: "Das Publikum wird eingeladen, sich aktiv in Themen und Recherchen einzubringen, gecoacht durch die Redaktion", schreibt "Karla", es reiche heute nicht mehr aus, nur Inhalte ins Netz zu stellen, sagt Michael Lünstroth. "Da braucht es andere Formate." Vermutlich sogar freien Platz für KonstanzerInnen, die gerne selbst schreiben wollen. Auch mit der Uni vor Ort gibt es bereits eine Kooperation: Studierende können bei "Karla" Praktika machen und sich in ihrem Studium Punkte anrechnen lassen.

Lager überwinden, BürgerInnen einbinden

Vermittlungsarbeit will "Karla" zweitens auch gesellschaftlich leisten. "Der Austausch miteinander wird immer schwieriger", ist sich Lünstroth sicher. Aus einem gesellschaftlichen Miteinander sei über die vergangenen Jahre und nicht zuletzt über Corona ein verbittertes Lagerdenken geworden, ohne Chance auf Verständigung. Und das nicht nur im Großen, sondern auch im Kleinen, Stichwort Büdingen-Areal: Eines der letzten freien Seegrundstücke in Konstanz wird mit einem Luxus-Hotel bebaut. Die Gemüter seien am Siedepunkt, es gebe kaum noch die Möglichkeit einer Verständigung über dieses Thema, sagt Lünstroth. "Ich habe das Gefühl, der Lokaljournalismus findet auf diese zunehmende Spaltung keine Antwort." Journalismus sei zu oft nur noch klickgetrieben, damit Geld in die Kasse kommt, und gut geklickt wird oft, was Polarisierung noch befeuert.

"Karla" will diese Spirale zurückdrehen. Als gemeinnützige GmbH ist das Medium nicht gewinn- sondern gemeinwohlorientiert, finanziert sich durch Zuwendungen der Hertie-Stiftung, aus Crowdfundig, das gerade startet, und Abo-Verkäufen, weil "Karla" eine Bezahlschranke haben soll – die lässt sich für 8, 12 oder 20 Euro aufheben, 700 AbonnentInnen sollen im Crowdfunding gewonnen werden, bis Ende 2022 sollen es 1.000 sein.

In den ersten Wochen wird "Karla" im Turm zur Katz in der Wessenbergstraße ein Pop-Up-Büro eröffnen. Ein festes Domizil für die vermutlich zwei geplanten Festangestellten in der Stadt wird es dann geben, wenn "Karla" sich etabliert hat. Denn noch will die Mannschaft ausprobieren, ob die Stadt ein neues Medium überhaupt will – "Markttest", nennt es Michael Lünstroth. Im Juni geht's los.


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