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Verleger und Döpfner

Der Sound der Sonntagspredigt

Verleger und Döpfner: Der Sound der Sonntagspredigt
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Überraschung: Die Verleger von badischen Zeitungen schießen gegen Mathias Döpfner, ihren obersten Lobbyisten. Dass sie sich dabei selbst über den Schellenkönig loben, ist weniger erstaunlich, macht sie aber auch nicht überzeugender. Eine Bestandsaufnahme.

Vor zwei Jahren hatten die baden-württembergischen Verleger eine Idee. Der Journalismus müsse Gesicht zeigen, befanden sie und räumten am 6. November 2019 ihre Titelseiten frei, um zu versichern, dass sie unablässig für die Wahrheit und gegen die Lüge kämpften. Das sei in Zeiten von Fake News, Hetze und Rechtspopulismus besonders wichtig, meinte ihr Vorsitzender beim Verband Südwestdeutscher Zeitungsverleger (VSZV), Valdo Lehari jr., der von den Seinen als "leidenschaftlicher Kämpfer" für Pressefreiheit und Meinungsvielfalt gepriesen wird.

Die VSZV-Anzeigen waren in fahlem Blau gehalten, unterschrieben auch von ihren Chefredakteuren und getragen vom Anspruch, der Demokratie zu dienen. Unabhängig, objektiv, kritisch. Einen Gastbeitrag ("Wo Glaubwürdigkeit wächst") hatte Wolfgang Schäuble (CDU) beigesteuert. Der Friedensaktivist Jürgen Grässlin war damals nicht der einzige, der weniger begeistert als "zutiefst enttäuscht" war.

Zwei Jahre später schreibt ihr aller Präsident, Mathias Döpfner vom Bundesverband der Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) und Vorstandsvorsitzender des Axel-Springer-Verlags, die meisten Journalisten in Deutschland seien zu "Propaganda-Assistenten" des "neuen DDR-Obrigkeitsstaats" geworden – und keiner der Südwestverleger protestiert. Eine Frontalattacke des eigenen obersten Lobbyisten und kein Widerwort? Auch keines von Lehari, dem Stellvertreter Döpfners und Eigentümer des "Reutlinger Generalanzeigers"? Verwundert ob des kollektiven Schweigens hat Kontext bei nahezu allen nachgefragt und keine Antwort bekommen.

Rebmann hat den Stein ins Rollen gebracht

Doch halt: Richard Rebmann, der Herausgeber des "Schwarzwälder Boten", hat sich per Mail gemeldet.  Am 24. Oktober, mit ungewöhnlich scharfen Worten. Döpfner habe der Branche einen "Bärendienst" erwiesen, schimpfte der ehemalige Chef der Südwestdeutschen Medienholding ("Süddeutsche Zeitung", StZN), er habe radikalen, rechten Kräften Vorschub geleistet, die von einer gelenkten Presse ausgingen.

Die Nachricht verbreitete sich rasch über die Republik. Dafür sorgten Medienportale wie "Bildblog", "turi 2", Boris Rosenkranz von "Übermedien", das "Altpapier" vom MDR sowie der Branchendienst "Kress", dem auch noch aufgefallen war, dass Rebmann seine Kritik ausgerechnet bei Kontext öffentlich gemacht hat. Das entbehre nicht einer gewissen Ironie, schreibt "Kress", hier sei er in der Vergangenheit doch "regelmäßig heftig attackiert" worden. Stimmt.

Aus der rechten Ecke meldete sich "Tichys Einblick", welcher Kontext als Teil einer linken Jagdgesellschaft sah, die Döpfner sagt und Springer meint, den es zu enteignen gelte, als "Wiederauflage längst vergangener Revolutionschöre". Rebmanns Antwort habe den "historischen Hass" der 68er auf Springer befeuert, ihre These vom "Hort der Volksverhetzung" bestätigt, und dabei wäre es viel gescheiter gewesen, zu fragen, warum elf von 13 Medienhäusern nicht geantwortet haben. Es gebe selbst unter Journalisten schweigende Mehrheiten, die sich nicht mit jeder "losgelösten Schmutzkampagne" gemein machen wollten, vermutet die Zeitschrift, die konservativ genannt werden kann, wenn man nett ist.

Am 29. Oktober erscheint ein Rebmann-Interview in der "Süddeutschen Zeitung" (SZ), was nicht einer gewissen Pikanterie entbehrt. Der 63-jährige Jurist war lange BDZV-Vizepräsident, sitzt im Herausgeberrat der SZ, deren Geschäftsführer Christian Wegner zu jenen Managern gehört, die einen Kommentar zu Döpfner ablehnen. Rebmann betont, er kenne niemanden, der sagt: "Halb so wild", und er verlangt eine "glaubhafte Distanzierung" von Döpfner. Und er sagt noch etwas: Dass den Medien "eh oft vorgeworfen" werde, sie seien nicht mehr unabhängig. Stimmt.

Badische Medien im Gleichschritt

Einen Tag später geschieht etwas Unerwartetes. Die Verleger der "Badischen Zeitung" (BZ), Wolfgang Poppen, und der "Badischen Neuesten Nachrichten" (BNN), Klaus Michael Baur, melden sich zu Wort. Im eigenen Organ mit identischen Texten und unterschiedlichen Überschriften. Während sich der BZ-Mann seinen Chefredakteur Thomas Fricker als Mitunterzeichner dazu holt und titelt: "Badische Zeitung distanziert sich von Verleger-Präsident Döpfner", braucht der BNN-Kollege keinen Helfer. Er ist Verleger und Chefredakteur in Personalunion, seit diesem Jahr auch Herr über das "Badische Tagblatt" (BT), und er wählt die Überschrift: "BNN und BT stehen für unabhängigen und kritischen Journalismus". Nachzulesen sogar vor der Bezahlschranke.

Gemeinsam stimmen Baur/Poppen/Fricker in den Sound viel geübter Sonntagspredigten ein: Die Freiheit der Berichterstattung ist ein hohes Gut, die freie Presse ist konstituierend für den Rechtsstaat, von den Journalistinnen und Journalisten werden diese Aufgaben "vorbildlich erfüllt", die Verlage stellen sich schützend vor ihr Personal, das engagiert, nachforschend und aktuell berichtet, dabei oftmals Repressalien und Gefahren ausgesetzt ist. Dies in Zweifel zu ziehen, wie von Döpfner getan, sei "unangemessen und falsch". In einem Kommentar unter dem BZ-Text vermerkt ein Leser, das hätte auch im "Postillon" stehen können.

Das ist natürlich übertrieben, weil die "Badische Zeitung" kein Satireblatt ist, sondern sich der Liberalität eines Ralf Dahrendorf verpflichtet fühlt, mit dessen Namen sie einen angesehenen Preis auslobt. Da geht es tatsächlich um kritischen Journalismus, den Verleger Poppen gerne würdigt, auch in seiner Funktion als Vizepräsident im Verlegerverband. Aber das ist nicht der Alltag, der sich um viel profanere Dinge dreht, auch beim Monopolblatt in Freiburg. Sparen, zu wenig Personal, zu viel Arbeit, zu wenig Zeit, um das unter der Woche zu tun, was sonntags unter Verwendung von Formeln erzählt wird, die einem Teppichhändler alle Ehre machen würden. In den Lokalausgaben im Schwarzwald bleibt oft nur der Hofbericht, von dem LeserInnen sagen, den hätte auch gleich der Bürgermeister selbst verfassen können. Passieren kann es freilich auch, dass sich eine AfD-Beilage im Portfolio des Badischen Verlags wiederfindet (Kontext berichtete).

Die Realität in den Verlagen kennt keinen Sonntag

In Reutlingen beim Generalanzeiger "GEA", wo Lehari jr. das Regiment führt, fällt es dem Personal bisweilen schwer, seine Aufgaben vorbildlich zu erfüllen. Trotz der "schützenden Hand", die der "heimatverbundene Kosmopolit" über "benachteiligte Menschen" hält, wie der Chefredakteur seinen Verleger beschreibt. Mit dem freien Kollegen, dem zwei Euro fuffzig pro Foto zu wenig waren (Kontext berichtete), hat Lehari nie gesprochen. Das Gericht hat ihm ein paar tausend Euro Nachzahlung zugesprochen, Aufträge hat er danach nicht mehr bekommen. 

In Oberndorf, wo Richard Rebmann regiert, hat die Belegschaft des "Schwarzwälder Boten" 96 Tage lang gestreikt (Kontext berichtete). So lange wie nirgendwo anders in einem deutschen Medienbetrieb. Gegen wegrationalisierte Arbeitsplätze, Lohnkürzungen, Tarifflucht, und was man sonst als Journalistenmensch heutzutage alles ertragen muss. Auch die Stuttgarter KollegInnen können ein Lied davon singen.

Darüber erfährt die Öffentlichkeit wenig. Viel schöner ist doch, sich zum Diener der Demokratie zu erklären, als den schnöden Kaufmann zu offenbaren, für den nur der Warenwert zählt. So betrachtet hat sich seit der "Gesicht-zeigen"-Kampagne der Verleger von 2019 nichts geändert. Auf Anfrage lässt ihr Verband wissen, dass es nach Döpfners Entschuldigung ("bedauere zutiefst") keine weitere Erklärung geben werde.


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1 Kommentar verfügbar

  • Philipp Horn
    am 03.11.2021
    Antworten
    Also ich fand den Beitrag, für die BNN, gut.Auch wenn er etwas spät kam & auch der dazugehörige Bericht,über die Vorgänge bei Springer , hätte früher erscheinen können.Aber besser spät, als nie.
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