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Schlagzeilen des Unsinns

Sachen gibt's

Schlagzeilen des Unsinns: Sachen gibt's
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Oh du schönes Sommerloch, erfreust uns immer wieder aufs Neue. Dieses Jahr hoch im Kurs: der Schnitz-Hitler aus Weil im Schönbuch, ein vermeintliches Wollmammut im Fluss und ein Baggerfahrer mit ordentlich Wut in der Schaufel.

Zwei Jungs aus Lahr-Reichenbach im Badischen haben vor kurzem den Fund ihres Lebens gemacht. Es war Mitte Juni, Joél und Milan Krüger, acht und fünf Jahre alt, waren mitsamt Familie bei den Großeltern frühstücken, berichtete vergangenen Woche die "Badische Zeitung". Hernach, das gehört wohl zum Familien-Programm, war Schatzsuche am Flüsschen Schutter angesagt – hübsche Steine oder alte Münzen, doch plötzlich steckte da – ein Riesenknochen! Prachtvolle 1 Meter 80, hängengeblieben an einer Brücke. Der Onkel half, das Teil aus dem Wasser zu bergen, es wurde zu den Großeltern getragen, begutachtet, die Mutter meldete den Knochenfund dem Lahrer Stadtmuseum, das seinerseits auf das Landesamt für Denkmalpflege in Freiburg verwies, die Abteilung Operative Archäologie hatte schon einen Besuch der Fundstelle angekündigt, der Knochen himself sollte nach Konstanz verschickt werden, um weiter untersucht zu werden.

"'Das ist vermutlich ein Teil der Rippe eines Mammuts', hat laut der Finder-Familie ein Vertreter des Landesamtes für Denkmalpflege nach der ersten Begutachtung gemeint, genauer "eines Mammuthus primigenius oder eines Palaeoloxodon antiquus", berichtet die "Badische" und zeigt Fotos der beiden sehr stolzen kleinen Finder und eins der vierten Klasse der Grundschule Reichenbach beim ehrfurchtsvollen Bestaunen des grandiosen Funds. Ein Mammut! Womöglich noch ein Wollmammut!

Und dann das. Nach Veröffentlichung der tollen Geschichte in der Zeitung meldete sich ein Ehepaar zu Wort: Möglicherweise handle es sich beim Riesenknochen aus dem Fluss um den Knochen eines Wals. Ach so. Moment, was? Wie zum Geier kommt ein Walknochen in die Schutter? Das weiß bisher keiner so genau, berichtet die "Badische" und vermutete, der Wal sei möglicherweise vielleicht via Überschwemmung in den Fluss gelangt. Jedenfalls aber handle es sich um ein Mitbringsel von einem Skandinavien-Trip des besagten Ehepaars. Und nicht um die Rippe eines Mammuts.

Sachen gibt's.

Auch in Blumberg im Schwarzwald übrigens. Die "Schwäbische Zeitung" musste sogar die Kommentarfunktion ausschalten. "Aufgrund der Vielzahl an Kommentaren können wir derzeit keine gründliche Moderation mehr gewährleisten", steht unterm Text über den Bauunternehmer, der mit der Schaufel seines Kettenbaggers ein gerade frisch fertiges Wohnhaus (30 Wohnungen) demoliert. Grund: Zorn über ausstehende Zahlungen seiner Auftraggeber. Nachdem er mit der Baggerschaufel bewundernswert sauber alle Balkone zerhackstückt und in filigraner Kleinarbeit Fenster entglast hatte, habe er sich einfach ins Auto gesetzt und sei davon gefahren, schreibt der "Tagesspiegel" mit gewisser Empörung. Im Netz kursiert ein Video vom Vorfall. Drunter hat ein "Theo gegen den Rotz der Welt" sehr passend und mit Herz- und Geballte-Faust-Emoji "Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will. Ein echter Arbeiter mit Rückgrat", gepostet.

"Bild" hat zur heißen Geschichte wie immer ausgiebig recherchiert und präsentiert "Mieterin Anna Müller (37)", blond, traurig kuckend, Zahnmedizinische Fachangestellte: "Und hier wollte ich in zwei Wochen einziehen!" lautet der Titel. Geht aber nicht, weil ja das ganze Haus in einem, "unglaublichen Wutanfall", in einer "wahnsinnigen Bagger-Attacke" schlimm "kaputtgebaggert" wurde. Nun wird gegen den Mann mit dem Wutanfall wegen Zerstörung von Bauwerken nach Paragraf 305 Strafgesetzbuch ermittelt.

Auch schön war, um mal bei "Bild" zu bleiben, der "Friedhofs-Zoff um diesen Holz-Hitler" in Weil im Schönbuch. Dort tauchte plötzlich, so berichtete (fortlaufend, war eine lange Geschichte) der "Böblinger Bote", eine geschnitzte Grabstele auf dem Friedhof Hägnach auf, die – ohne Witz – zumindest obenrum durchaus Hitler-Ähnlichkeit hatte. Untenrum war's eher ein Fußballer, aber "durch die 'Frisur' der Holzfigur, den angedeuteten Oberlippenbart und vor allem auch die Nummer 88 auf dem Trikot sind Bezüge zu Adolf Hitler unverkennbar", schreibt die Zeitung. (Die 8 steht in der rechten Szenen für den 8. Buchstaben im Alphabet, die Doppel-Acht für den Hitlergruß "Heil Hitler").

Zunächst mal wurde Grabschändung vermutete, die Figur im Beisein der Polizei und wegen "Gefahr im Verzug" umgehend entfernt und "vorerst im Bauhof der Gemeinde zwischengelagert". Die Kripo schaltete sich ein, der Staatsschutz ermittelte wegen des Verdachts des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und begann umgehend "die Motivationslage herauszuarbeiten". Der geschnitzte vermeintliche Diktator hatte es zwischenzeitlich nicht nur bundesweit, sondern international in die Medien geschafft ("Times","Toronto Sun").

Im Netz wurde wild spekuliert: Vielleicht ist die 88 ja auch ein Geburtsdatum, das Sterbejahr, das Alter des Toten? Die Polizei ermittelte und konnte recht schnell jedwede Theorie wiederlegen: Nein, nix von alledem, die Zeitung titelte: "Polizei macht deutlich: Die Zahl 88 steht nicht für ein Geburtsdatum". Wenig später dann plötzlich – Entwarnung! Die 88, sie stehe für die Hausnummer des Verstorbenen, ließ die Anwältin des Sohns des Verstorbenen ausrichten. Oliver E., mittlerweile "völlig entnervt" von der Aufregung, wollte "dem Vater ein besonderes Denkmal" setzen – statt Holzkreuz halt Holzfigur, "etwas Fröhliches", gefertigt von Kettensägenschnitzer Vincent K. aus Kirchentellinsfurt. Das Schnitzwerk stelle auch eben diesen Vater dar, einen begeisterten Fußballfan und Schreiner, und ganz sicher nicht Hitler. "Zudem", zitiert die Zeitung den Sohn, "trage die Figur keinen Oberlippenbart – die Nase werfe einen Schatten, den einige Betrachter als Andeutung eines Hitlerbarts falsch interpretiert hätten."

Die Ermittlungen wurden eingestellt.

Was bleibt ist die Erkenntnis, dass zumindest Weil im Schönbuch auf dem rechten Augen sehr gut sieht. "Für mich gab es keine Sekunde Zweifel, dass man handeln muss", zitiert die Zeitung den Weiler Bürgermeister Wolfgang Lahl. Und weil das nicht selbstverständlich ist, gibt's von uns für die Schnitz-Hitler-Entfernungs-Aktion einen dicken erhobenen Daumen. Allerdings nicht in der Sonne, nicht, dass der noch einen Schatten wirft ...


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