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Hochglanz im Pressehaus

Collien packt aus

Hochglanz im Pressehaus: Collien packt aus
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Spätestens seit dem letzten "Stuttgarter Zeitung Magazin" weiß man, wer Collien Ulmen-Fernandes ist. Eine schöne Frau in Markenkleidern, hinter der sich radikale Kritik am Kapitalismus verbirgt. Das sollte der Presserat bedenken, wenn er einmal die Vermischung von Reklame und Redaktion geißelt.

Was ist denn mit dem Deutschen Presserat los? Verpasst dem "Zeit-Magazin", also dem Adel unter den Hochglanzblättern, eine Rüge! Spricht von Schleichwerbung und einem schweren Verstoß gegen das "Gebot zur strikten Trennung von Werbung und redaktionellen Inhalten"!  Bloß weil in Ausgabe 41/20 unter der Überschrift "Zu Hause ist es am schönsten" tapfer das Thema Homeoffice angegangen und dazu eben auch die passende Möblierung ins Bild gerückt wurde. Diese Rüge musste das "Zeit-Magazin" sogar abdrucken – und hat es tatsächlich getan, wenn auch angemessen lupenklein und ganz hinten.

Dabei übersieht der Presserat in seiner Begründung, dass "ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen den Artikeln und den in den Bildunterschriften der beigestellten Illustrationen aufgeführten Einrichtungsgegenständen" sehr wohl besteht. Nein, wir reden hier gar nicht von finanziellen Bezügen, sondern von einem subtileren Zusammenhang. Gerade in der scheinbaren Aufhebung von Werbung und redaktionellem Inhalt, die ja geradezu Wesensgrund dieser Magazine ist (und den notleidenden Verlegern ein klein wenig monetären Trost spenden soll), versteckt sich nämlich radikale Kritik am Kapitalismus in all seinen Erscheinungsformen.

Das neue "Stuttgarter Zeitung Magazin" vom 30. April mag dafür beleghaft als Beispiel genommen werden. Schlicht und einfach "Collien" steht auf dem Cover, in schwarzen Fünf-Zentimeter-Lettern auf zitronengelbem Grund, und darüber lehnt sich Collien Ulmen-Fernandes in einem Max-Mara-Mantel und einem geblümten Andrew-GN-Kleid zurück und schaut uns sehr ernst an. Sie hat nämlich was vor, verkündet die Bildunterschrift: "Collien Ulmen-Fernandes packt aus." Ihre Armbänder sind übrigens von Hermes, die Strümpfe von Falke. Bevor die 1981 in Hamburg geborene Collien Ulmen-Fernandes, die mit 15 zu Hause auszog, um als Model, Musikerin oder Moderatorin für "Viva", "Bravo TV", "The Dome", "Fashion Zone" oder "Fit for Fun" zu arbeiten, und außerdem für … äh, wo waren wir?

Voll reflektiert: Dior vorführen und denunzieren

Ach ja, bevor also Collien Ulmen-Fernandes im "Stuttgarter Zeitung Magazin" endlich auspackt, wird sie noch auf acht Seiten sieben Mal eingepackt. Und zwar, in chronologischer Reihenfolge, von Boss, Max & Co., Polo Ralph Lauren, Emporio Armani, Joop, Red Valentino, Dior, Zara, Sandro, Marc Cain, Tony Burch, Tom Rebl und Isabel Marant. Mehrfachverpackungen, etwa von Red Valentino oder Marc Cain, werden hier nicht extra erwähnt, den Schmuck haben, außer Hermes, noch Tiffany & Co. und Dior zugeblinkt, einmal firmieren die Ohrringe als "privat", genauso wie ein Paar Leggings. Und? Haben Sie gemerkt, wie der Kapitalismus bei dieser Aufzählung vor Furcht zusammenzuckt? Immer noch nicht?

Nun denn! Es wird ja einerseits schon am Anfang dieser im Berliner Schlosshotel aufgenommenen Fotostrecke groß überschriftelt, welches Accessoir, Pardon, welches Attribut Collien Ulmen-Fernandes auszeichnet, nämlich: "voll reflektiert". Es steht da auch noch: "Was eher wenige wissen: Sie kämpft auch als Aktivistin für Gerechtigkeit." Und was vielleicht noch weniger wissen: Collien Ulmen-Fernandes hat 2015 in Kambodscha die TV-Reportage "Hoher Preis für billige Kleidung" gedreht und danach noch erklärt, dass auch "ziemlich alle großen Labels" in diesen Sweatshops produzieren ließen. Wenn sie jetzt also solche Labels vorführt, dann ist das eine Hochglanzdenunziation derselben!

Denn es wird von diesen Labels ja weiter ausgebeutet, und weil im "Stuttgarter Zeitung Magazin" für Beispiele wahrscheinlich kein Platz mehr war, helfen wir gern mit einigen neueren Links aus:  

https://www.reuters.com/article/us-italy-luxury-workshops-idUSKBN1XS27V

https://www.bbc.com/news/world-asia-54960346

https://www.theguardian.com/global-development/2018/jan/04/workers-held-captive-indian-mills-supplying-hugo-boss

https://www.nytimes.com/2018/09/20/fashion/italy-luxury-shadow-economy.html

https://www.fastcompany.com/90279693/did-a-slave-make-your-sneakers-the-answer-is-probably

https://goodonyou.eco/how-ethical-is-dior/


Collien Ulmen-Fernandes' Modenschau macht aber auch nicht halt vor Kritik an Geschlechterrollen, sie hat 2018 schließlich die TV-Doku "No more Boys and Girls" gedreht und dabei untersucht, inwiefern das Verhalten Erwachsener oder die Auswahl der Kleider dazu beitragen, dass schon Kinder konservative Rollenbilder übernehmen. Und so sind ihre nun präsentierten gehäkelten Kleidchen mit Rüschenkragen, ihre weißen Spitzenteilchen mit Puffärmeln oder ihre rosafarbenen Stücklein – einmal Joop-Mantel, einmal Max & Co. Schleifenbluse – eine fulminante Anklage jener Tradition, die Frauen in tradierte Farben und Muster zwängen will.

Selbst das Traumschiff ist nicht traumafrei

Und das ist noch nicht alles, es kommt noch der als Interview verkleidete Collien-Ulmen-Fernandes-Auspackteil, in dem die Fragen, wenn nicht eh selber gestellt, eine implizite Antwortvermutung von hundert Prozent und mehr ausweisen. Weil sie inzwischen auf dem "Traumschiff" angeheuert hat, will also das Magazin wissen – und weiß es natürlich schon –, wie oft Collien Ulmen-Fernandes während der Dreharbeiten gefragt wurde: "Und wer ist bei Ihrem Kind?" Die mit "häufig" beantwortete Frage trifft auch deshalb die richtige Antworterin, weil von der nach Drucklegung des Magazins, also rechtzeitig für die Einschaltquote, gerade die Scheinfrage-Doku "Rabenmütter oder Super Moms?" gesendet wurde.

Es ist aber nicht so, dass Collien Ulmen-Fernandes so taff ist, dass sie selber Ungerechtigkeit nicht mehr spürt. Weil nämlich "männlichen Kollegen vor Ort" die "Wer ist beim Kind"-Frage nicht gestellt wurde, gibt sie ihre Befindlichkeit preis: "Ich merke, wie mich das belastet." Sozusagen ein Traumschiff-Trauma. Dass Collien Ulmen-Fernandes – man kann diesen Namen gar nicht oft genug ausschreiben! – in der TV-Sendung "Late Night Berlin" gestanden hat, dass sie ihren Führerschein nur ihrem Prominentenbonus verdankt, sprich: dem Autogramm für den Prüfer, hat mit der Geschlechterungerechtigkeit übrigens rein gar nichts zu tun.

Aber zurück aufs Traumschiff: Im Interview sagt Collien Ulmen-Fernandes, da gehe es jetzt fortschrittlicher zu, denn: "Ich bin die erste Figur im festen Cast, die einen Migrationshintergrund hat." Es ist natürlich noch eine Menge zu tun, bis auch das Traumschiff zum quotierten Abbild deutscher Wirklichkeit geworden ist, aber ein bisschen mehr nähert es sich mit Collien Ulmen-Fernandes' tatkräftiger Hilfe doch an, zumal sie ja auch noch, was sie bescheiden verschweigt, den Anteil der Multimillionärinnen erhöht und diesen sogar ein bisschen – wie soll man sagen? – überquotiert hat. Das mit der Multimillionärin erfahren wir übrigens auch aus diesem Interview. Collien Ulmen-Fernandes wurde mal von einem TV-Koch übel angegangen, der ihr, nachdem sie 2012 in einer TV-Pokerrunde ausgeschieden war, mitleidig erklärt hat: "Ist ja nicht schlimm, dein Mann verdient ja gut." Dabei war Collien Ulmen-Fernandes zu dem Zeitpunkt, wie sie empört sagt, "selbst längst Multimillionärin".

Aber um ein Opfer der Verhältnisse zu werden, ist es eben nie zu früh. (Ihrer Tochter bringt Collien Ulmen-Fernandes deshalb bei, dass Geld "nicht grenzenlos verfügbar ist", und hat sie auch mal vor die Wahl gestellt: Autoscooter oder Eis und Pommes.) Doch sind wir zuversichtlich, dass Collien Ulmen-Fernandes ihren Kampf um die Gerechtigkeit in der Welt nicht aufgeben wird. An so vielen Orten ist dieser Kampf zu führen! Die bekennende Vielreiserin hat deshalb, so ein gerade von uns erfundenes Gerücht, ihren ökologischen Fußabdruck dem World Wildlife Fund gespendet. Der füllt ihn mit Schmelzwasser auf, sodass am Ende ein gigantisches Spaßbad für die letzten Eisbären entsteht.

Ach, es gäbe noch so viel über Collien Ulmen-Fernandes zu berichten, das Schlusswort sei aber ausnahmsweise einem Mann gegönnt, nämlich dem Chefredakteur José Redondo-Vega, der für ihren wunderbaren Auftritt in einem wohl auch für den Presserat vorbildhaften Magazin mitverantwortlich war: "Liebe Leserin. Lieber Leser, schön, Sie wieder an dieser Stelle begrüßen zu dürfen – wir haben es uns alle verdient."


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4 Kommentare verfügbar

  • Gaston
    am 16.05.2021
    Antworten
    Ich möchte Herrn Koppold an dieser Stelle meine uneingeschränkte Bewunderung für seinen Artikel aussprechen. Das habe ich schon nach der Rezension dieses StutZ-Magazins vom letzten Juni genauso empfunden. Damals hab ich den Stuss noch angelesen, dann aber gleich entsorgt. Die jetzige Ausgabe habe…
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