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Freie Journalisten

Die Leiden der freien Schreiber

Freie Journalisten: Die Leiden der freien Schreiber
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Wie froh bin ich, dass ich weg bin! Diesen Seufzer des jungen Werther vom 4. Mai 1771 könnte 250 Jahre später manch freie JournalistIn ebenfalls seufzen – wenn ihm oder ihr der Ausstieg gelungen ist. Warum, zeigt der erste Ergebnisbericht einer aktuellen Studie der Ludwig-Maximilians-Universität. Und die eigene Erfahrung.

Es treffen sich zwei Studierende der Journalistik. "Was machst du?" "Ich gehe arbeiten." "Schreiben oder Geld verdienen?" Dieser Dialog ist echt und stammt von der Universität Hohenheim. Viele ZeitungsleserInnen ahnen diese Situation zumindest. "Kann man denn davon leben?" ist eine Frage, die ich in zwei Jahrzehnten Journalismus oft gefragt wurde. Meine Standardantwort kam lange aus der Biologie: "Das ist wie bei der Hummel. Sie kann physikalisch gesehen gar nicht fliegen, aber die Hummel weiß das nicht, also fliegt sie trotzdem." Wenn Leser eine ungeschönte Antwort über Zeilen- und Fotohonorare bekommen, sind sie regelmäßig entsetzt.

Wird das jetzt eine Jammernummer? Nein, ich schreibe gerne und bin damit im Beruf voll im Mainstream: Von den 1055 JournalistInnen, welche die Ludwig-Maximilians-Universität in München für ihre Studie befragt hat, sind rund 70 Prozent mit ihrem Beruf im Allgemeinen zufrieden. Anders sieht es beim Einkommen aus, denn viele können von diesem Beruf nicht leben – auch wenn sie ihn in Vollzeit betreiben. "Selber schuld, hättest du eben etwas Gescheites gelernt?" Haben die meisten: 76 Prozent der Befragten können einen Hochschulabschluss vorweisen.

Ein Minus von über 60 Prozent

An der Befragung, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde, nahmen Festangestellte und Freie teil: 39 Prozent der Antworten kamen von Festangestellten, die anderen von Freien. Diese Freien verdienen pro Monat im Schnitt fast 900 Euro netto weniger, jeweils mit Vollzeit berechnet – vor Corona. Eine enorme Einkommenskluft, die sich laut Studie ständig vergrößert.

Irgendwas mit Medien

"Irgendwas mit Medien" gehörte früher zum Standard-Berufswunsch vieler Jugendlicher. Für Volontariate gab es dreistellige Bewerberzahlen. Das ist lange vorbei. Ein Redakteur berichtete vor Corona vom Projekt "Zeitung in der Schule": Als er die Frage nach den Verdienstmöglichkeiten beantwortet hatte, hatte er das Interesse eines Großteils der Klasse verloren. Eigenanzeigen von Tageszeitungen auf der Suche nach freien Mitarbeitern führen immer wieder zu fast nichts bis nichts.  (pd)

Reicht das Einkommen aus dem Journalismus für den gesamten Lebensunterhalt? Nur 31 Prozent der Freiberufler haben das bejaht. Und während nur neun Prozent der in Vollzeit Festangestellten nebenher noch woanders arbeiten, muss jeder dritte Freie zusehen, wo er außerdem noch Geld verdienen kann. Würden die Freien ihre Arbeit als prekär einstufen? 62 Prozent der Freiberufler sagen ja: Willkommen im akademischen Prekariat. Drei von fünf JournalistInnen berichten, ihre Arbeitsbedingungen seien durch die Pandemie schlechter geworden.

Das kann ich wohl sagen: Bei mir brachten die Corona-Maßnahmen bei drei Tageszeitungen im Schnitt ein monatelanges Auftragsminus von über 60 Prozent. Die Deutsche Journalistinnen-und Journalisten-Union (DJU in Verdi) und der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) haben deshalb mit den Verlegern im Sommer 2020 eine gute Vereinbarung getroffen: Der neue Tarifvertrag brachte den Freien bei der Tageszeitung eine einmalige Corona-Ausfallzahlung, maximal ein durchschnittlicher Monatsumsatz des zweiten Halbjahres 2019. Das reichte zwar nicht, um alle Löcher zu stopfen, aber es half doch. Allerdings zahlten die Verleger nicht von sich aus, jede und jeder Freie musste das persönlich geltend machen, was ich umgehend bei drei Tageszeitungen tat. Zwei davon, der "Teckbote" und die "Nürtinger Zeitung", überwiesen die Ausfallzahlung nach etwas Bedenkzeit. Die "Esslinger Zeitung" (EZ), bei der es um den höchsten Betrag ging, sah aber laut E-Mail des damaligen Chefredakteurs Gerd Schneider keinen Anspruch. Gab es da etwa einen Pferdefuß? Es gab ihn: Verbindlich war die Ausfallzahlung nur für "arbeitnehmerähnliche Freie", für die der "12a-Tarifvertrag" gilt, für alle anderen war sie nur "empfohlen". Die Empfehlung reichte für die anständigen Verlage völlig aus – aber was ist mit den anderen?

Für die Arbeitnehmerähnlichkeit muss ein Freier mindestens ein Drittel seiner Honorare regelmäßig von einer Redaktion bekommen und dies anmelden. Dann wird er nach Tarif bezahlt. Das bedeutet bei einer Auflage bis zu 25.000 Exemplaren mindestens 69 Cent pro Zeile, bei einer Auflage bis zu 50.000 Exemplaren mindestens 83 Cent. Zudem bekommt er einen gewissen Kündigungsschutz. Das ist die Theorie, die Praxis geht aber anders: Wer Tarif will, bekommt in den allermeisten Fällen keine Aufträge mehr. Die klare Ansage eines leitenden EZ-Redakteurs klingt mir auch nach Jahren noch in den Ohren: "Das ist klar, wer das bei uns will, fliegt sofort raus." Also habe ich lieber verzichtet.

Bloß kein Präzedenzfall

Jetzt wollte ich das nicht mehr, also habe ich mit der Ausfallzahlung zugleich die Arbeitnehmerähnlichkeit geltend gemacht. Ergebnis: Die Redaktion hat sich im Januar 2021 von mir getrennt, nach 19 Jahren. Immerhin ging ich mit einer gewissen Abfindung. Denn bevor der EZ-Geschäftsführer Andreas Heinkel in Sachen "Arbeitnehmerähnlichkeit" einen Präzedenzfall schuf, hat er lieber eine erweiterte Corona-Ausfallzahlung geleistet. Ist der Rauswurf zu bedauern? Angesichts der fehlenden Zukunftsperspektiven nur bedingt. Die Hoffnung, dass die Verleger für die angeblich erwünschte Qualität irgendwann einmal angemessen bezahlen, ist – nicht nur bei mir – gering: 93 Prozent derer, die sich in der LMU-Studie dem Prekariat zugeordnet haben, erwarten, dass das auch in Zukunft so bleibt.

Denn auch wenn Zeitungsverleger öffentlich gerne von Qualitätsjournalismus reden, bezahlen wollen sie dafür nicht. Qualität kostet Zeit. Nehmen wir eine Gemeinderatssitzung, die schon mal drei Stunden dauern kann. Hinzu kommen Hin- und Rückfahrt, eventuell anschließende Telefonate und dann das Schreiben des Artikels. Womöglich kommt zeitraubendes Kürzen hinzu. Das alles summiert sich schnell auf fünf bis sechs Stunden. Nehmen wir an, danach sind 120 Druckzeilen im Blatt – was viel wäre: Für diese gibt es bei der EZ aktuell je 72 Cent, beim "Teckboten" 55 Cent, bei der Nürtinger Zeitung 52 Cent und bei der NWZ in Göppingen 46 Cent. Wir reden also über ein Honorar zwischen rund 55 und 86 Euro. Rechenaufgabe: Was kommt da für ein Stundensatz heraus, und würde sich ein Klempner dafür auf den Weg machen? Damit das jetzt keiner mit dem Stundensatz eines Angestellten vergleicht: Es geht um Stundensätze, von denen neben Steuern und Sozialversicherung auch die Betriebsausgaben abgehen, und bei Krankheit oder Urlaub verdienen Freie gar nichts.

Meine Gesprächspartner wundern sich manchmal, wie viel Zeit ich mir für sie nehme: "Sie sind ja nicht gleich wieder weg." Ja, ich finde, das bin ich ihnen und ihrem Engagement schuldig, aber was das für meinen Stundensatz bedeutet, rechne ich oft lieber nicht nach. Doch irgendwann geht es halt nicht mehr. "Wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit": Dieser Satz passt in die Kirche, sollte aber nicht für Honorare gelten. Von manchen Auftraggebern bekomme ich noch immer Honorarsätze, die schon bei der Einführung des Euro galten. Leider haben die "Gemeinsamen Vergütungsregeln" nicht die erhoffte Hilfe gebracht.

Gemeinsame Vergütungsregeln

Im Februar 2010 traten bei den Tageszeitungen die "Gemeinsamen Vergütungsregeln" in Kraft. Sie setzten den gesetzlichen Anspruch auf "angemessene Vergütung" um, dafür hatten DJU in Verdi und DJV in sieben Jahren und rund 50 Verhandlungsrunden mit den zuerst völlig verhandlungsunwilligen Verlegern dicke Bretter gebohrt. Damit war quasi ein gesetzlicher Mindestlohn geschaffen. Im Jahr 2013 wurden per Schlichterspruch, weil die Tarifpartner zu keiner Einigung kamen, auch Sätze für Fotos beschlossen. Viele Redaktionen hielten sich nicht an die "Gemeinsamen Vergütungsregeln" und die Sätze wurden in der Folge nie erhöht. Dass die Regeln oft nur auf dem Papier standen, hat auch der Gesetzgeber gemerkt und zum 1. März 2017 im Urheberrecht nachgebessert. Den Verlegern drohte damit, die "angemessene Vergütung" tatsächlich bezahlen zu müssen. Folge: Der BDZV (Bund Deutscher Zeitungsverleger) hat die "Gemeinsamen Vergütungsregeln" Ende Februar 2017 gekündigt.  (pd)

 

Etwa die Hälfte der bei der LMU-Umfrage Befragten lebt in Großstädten, auf dem platten Land ist die Situation noch schlimmer als im Ballungsraum. Die „Landauer Zeitung“, ein Lokalblatt im niederbayerischen Landkreis Dingolfing-Landau, hatte eine treue Autorin mit 0,14 Euro pro Zeile und fünf Euro pro Foto abgespeist. Nun hat ihr das Oberlandesgericht Nürnberg für mehr als 1600 Text- und 1700 Bildbeiträge eine Nachhonorierung von mehr als 66 000 Euro zugesprochen. Die theoretische Möglichkeit, Texte und Fotos noch weiteren Redaktionen zur Zweitverwertung anzubieten, nutzt Freien nichts, wenn es in der Region nur (noch) eine einzige Zeitung gibt. Oder wenn die "Esslinger Zeitung" von der SWMH übernommen wird und an die EZ gelieferte Texte nun auch in anderen Blättern des Konzerns erscheinen dürfen – natürlich ohne Extrahonorar. Das Ergebnis ist Einheitsbrei statt Vielfalt, wie jüngst der SWR mit Bezug auf die SWMH, den Verlag der Stuttgarter Zeitungsnachrichten, schilderte (ab Minute 21).

Überregional wird’s nicht besser

Doch wie ist das, wenn jemand nicht für das Kleinkleckersdorfer Tagblatt, sondern für ein richtig großes, selbst ernanntes "Qualitätsmedium" schreibt? Der Kölner Journalist Uwe Herzog beschreibt den aktuellen Fall eines Artikels mit 13.000 Textzeichen, das sind grob sieben Manuskriptseiten, geliefert für das "Redaktionswerk Deutschland" (RND): Der Artikel, den die verantwortliche Redakteurin als "starke Story" beschrieb, wurde vom RND groß gefahren. "Im Honorar spiegelte sich diese Begeisterung leider nicht wieder", sagt Herzog, der Autor bekam für sehr viel Recherche die vereinbarten 200 Euro.

Die LMU-Studie wurde von den Journalistengewerkschaften DJU und DJV sowie von den Freischreibern unterstützt. Die DJU hat die Ergebnisse als "alarmierend" bezeichnet. Das Fazit der DJU-Bundesgeschäftsführerin Monique Hofmann: "Wenn Verlage diejenigen, die den Großteil ihrer Seiten füllen, unter Missachtung jeglicher Vergütungsregeln so unterirdisch bezahlen, dass sie nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt zu sichern, geschweige denn eine Familie zu gründen, dann ist das verantwortungslos." Der Gesetzgeber müsse dringend handeln.

Was, falls er es nicht tut? Dann werden wohl immer mehr freie Journalisten in PR und Öffentlichkeitsarbeit abwandern. PR ist für Freie zwar verpönt, weil es die Unabhängigkeit gefährdet, aber oft überlebensnotwendig – da besser bezahlt.

Hoffentlich wird der Sommer schön, damit die Hummeln wieder fliegen.


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3 Kommentare verfügbar

  • Carina
    am 30.12.2022
    Antworten
    Nach fast 20 Jahren als Freie habe ich meinen Idealismus nun endgültig abgelegt und mir einen anderen Job gesucht. Allein durch die wirtschaftliche Sicherheit fühle ich mich erleichtert wie nie. Ich empfehle, die jetzigen Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu nutzen, wo an allen Ecken und Enden Leute…
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