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taz und "M Menschen Machen Medien"

17.000 Gründe für linken Journalismus

taz und "M Menschen Machen Medien": 17.000 Gründe für linken Journalismus
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Heute ist es wichtiger denn je, keine Angst vor neuen Wegen zu haben. Da sind sich die Chefredakteurinnen von taz und dem Verdi-Magazin M einig. Kontext war Pionierin. Doch die MitstreiterInnen im gemeinnützigen Journalismus werden mehr.

Die extreme Rechte immer im Blick

17.000 ausgedruckte Seiten Facebook-Chatprotokolle, eine Sammlung von Menschenverachtung, Rassismus und Hitlergruß-Emojis, Kontext hat sie vor drei Jahren ausgewertet. Kontext ist es zu verdanken, dass wir die demokratiefeindliche Kommunikation des Mitarbeiters zweier baden-württembergischer AfD-Landtagsabgeordneter kennen. 17.000 Belege dafür, dass die AfD nicht nur zufällig und gerade mal in  Thüringen ein Problem mit Rechtsextremismus hat. Es sind 17.000 Gründe, weshalb es unabhängigen linken Journalismus braucht.

Als der Journalismus vergangenes Jahr als systemrelevant unter Schutz gestellt wurde, sind wir in der taz damit zunächst etwas ironisch umgegangen. Die taz als systemrelevant? Dafür wurde die taz nicht gegründet. Wie soll unter diesen Vorzeichen unabhängiger Journalismus aussehen? Allerdings haben wir schnell gelernt, dass auch in der Pandemie die Gesetze der Schwerkraft gelten: Die Starken werden stärker, die Schwachen werden schwächer. Manchmal ist es gar nicht so kompliziert, die Mechanismen der Gesellschaft zu erklären. Auch in der Krise ist so vieles unbeachtet geblieben. Diejenigen, die sonst nicht zu Wort kommen, wurden wieder nicht gehört. Und die Branche der Fake News erlebt in der Pandemie derweil ihre Blütezeit.

Gerade in Baden-Württemberg mit seinem beachtlichen Querdenker-Reservoir tat und tut der kritische Blick Not. Hier hat es Kontext mit einer unangenehmen Spezies zu tun, die die Grenze zwischen schwäbischer Widerborstigkeit und rechtsextremer Verschwörungsideologie nicht mehr erkennen will. Und wenn die Pandemie vorbei ist, was wenigstens in Deutschland hoffentlich im Herbst der Fall sein sollte, ist dieser Spuk noch lange nicht Vergangenheit. Da werden gerade verdammt breite Pfade ins rechte Lager getrampelt.

Auf der anderen Seite hat die Pandemie die "Fridays for Future"-Bewegung hart ausgebremst. Die Klimakrise, die unbedingt dieses Wahljahr bestimmen müsste, war schon irgendwie da. Nur irgendwie war sie – aus guten Gründen – im öffentlichen Bewusstsein gerade nicht das wichtigste. Dabei sind die kommenden Jahre die entscheidenden. In den nächsten zehn  Jahren wird sich zeigen, ob zumindest das Zwei-Grad-Ziel noch erreichbar ist oder wir auf die ungebremste Erhitzung der Erde zusteuern. Die neuen Regierungskonstellationen in den Ländern wie im Bund könnten einen Unterschied machen, auch wenn Deutschlands Klimabilanz die Welt alleine nicht retten wird. Und in Baden-Württemberg regiert ein grüner Ministerpräsident, der manchmal nicht mehr genau weiß, wo die Grenze zwischen grüner Klimapolitik und schwarzer Interessenvertretung verläuft.

Unabhängiger linker Journalismus hat die extreme Rechte immer im Blick, auch wenn das öffentliche Interesse mal erlahmt. Die taz hat dafür eigene Rechercheteams und internationale Kooperationen gegründet. Unabhängiger linker Journalismus lässt aber auch eine grüne Regierungspartei publizistisch nicht unangetastet. Bei Kontext kann man sicher sein, dass sie auch mit den Grünen nicht immer pfleglich umgehen. Warum auch? Wer nach dem Wasserwerfereinsatz vom September 2010 gegründet wurde und zusehen muss, wie an diesem Irrsinn von Stuttgart 21 auch unter den Grünen weiter und weiter gebuddelt wird, muss sich schwertun mit der Pfleglichkeit.

Für Kontext gab es kein Vorbild, als die GründerInnen vor zehn Jahren auf Grundlage von privaten Spenden ein neues unabhängiges Medium, eine Wochenzeitung im Netz aufbauten. Ohne die Unterstützung von Leserinnen und Lesern, von Spenderinnen und Spendern würde es diesen unabhängigen Journalismus nicht geben. Wir freuen uns, dass wir wöchentlich ein kleines Stück zum Erfolg beitragen können, indem wir Kontext am Samstag der taz beilegen.

Das soll sich nicht ändern. Die taz ist gerade auf dem Weg der Transformation. Wir entwickeln neue Wege, um den kritischen Journalismus in die Zukunft zu tragen. Irgendwann, einen Termin haben wir noch nicht bestimmt, wird dabei das tägliche Papier durch die tägliche App abgelöst. Das machen wir nicht, weil wir Papier, weil wir das gedruckte Produkt für überflüssig halten. Doch das Leseverhalten ändert sich, wenn auch nicht bei allen. Nun sind wir an der Entwicklung einer neuen, einer stärkeren, einer bundesweit dickeren Wochenzeitung. Dabei ist eines gesetzt: Kontext bleibt ein Teil davon.

Jetzt gerade, wo ich dieses Grußwort schreibe und ins Nachdenken über Baden-Württemberg versunken bin, kommt die Meldung, dass sich Winfried Kretschmann und seine Grünen doch lieber wieder mit der Union zusammentun wollen. Der Job von Kontext ist nicht erledigt.


Barbara Junge gehört zur dreiköpfigen Chefredaktion der taz mit besonderem Blick auf Baden-Württemberg. Sie ist gebürtige Stuttgarterin.

 

Mit satirischem Witz gespickt

"Die Kontext Wochenzeitung – ein erfolgreiches Beispiel für spendenfinanzierten und gemeinnützigen Journalismus" titelte "M Menschen Machen Medien" bereits zum fünfjährigen Bestehen in einem Artikel des medienpolitischen Verdi-Magazins. Nun ist Kontext, einst im April 2011 als gemeinnütziger Verein gestartet, doppelt so alt oder auch so jung – je nach Betrachtung. "Altmodisch in die Zukunft", beschrieb Mitbegründerin Susanne Stiefel den Ansatz der journalistischen Arbeit der Kontext-Gründer damals für die wöchentliche Erscheinungsweise im schnelllebigen Internet. Nicht schnelle Klicks wolle man erzielen, sondern das genaue Gegenteil: die Entschleunigung. Nur dann gelänge ein "Qualitätsjournalismus", hieß es. Das ist gelungen, denken wir. Es ist gewinnbringend, "Kontext" zu lesen. Lockere, teils mit satirischem Witz gespickte Titel reizen zum Lesen und Stöbern auf der Kontext-Website.

Das Projekt gehört zu den Pionieren neuer Formate unabhängigen Journalismus, die gegenüber dem Mainstream eigene kritische Akzente setzen und den Finger in Wunden legen. "Schmerzhaft" Getroffene greifen zu juristischen Keulen wie etwa die AfD, weil Kontext im Zusammenhang mit rassistischen, menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Äußerungen 2018 "Ross und Reiter" genannt hat. Für die Verteidigung der Pressefreiheit ging es bis nach Karlsruhe.

Spürbar beim Lesen der Beiträge ist das Engagement für das, was Journalismus ausmacht: die Suche nach den wahren Fakten hinter den scheinbaren Offensichtlichkeiten, das immer wieder Nachhaken und Dranbleiben an Themen trotz Gegenwind. Somit bereichert Kontext den Journalismus sowohl in und um Stuttgart als auch in der gesamten Republik. Auch wir bei "Menschen machen Medien" profitieren davon. Immer wieder verweisen wir gern auf gute und kritische Kontext-Geschichten wie etwa in Herkels Corona-Wochenrückblick im April vorigen Jahres. Verlinkt wird auf "Die Kasse klingelt" von Kontext-Mitbegründer Josef-Otto Freudenreich, der mal eine andere Facette der Corona-Pandemie aufzeigt.

Kontext macht Mut für die Zukunft des Journalismus. Belegt sie doch eindrucksvoll, dass eine durch Spenden getragene Zeitung – etwa durch Stiftungen und Spenden von MitstreiterInnen – unabhängig und qualitätsvoll journalistisch agieren kann. Wir wünschen den Journalistinnen und Journalisten der Kontext:Wochenzeitung weiterhin Stehvermögen und allzeit einen kritischen Blick hinter den Vorhang des gesellschaftlichen Geschehens. Zehn Jahre Qualitätsjournalismus machen zuversichtlich für die Zukunft und Hoffnung auf weitere Formate dieser Fasson.


Monique Hofmann, Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in Verdi, und Karin Wenk, Chefredakteurin des medienpolitischen Verdi-Magazins "M Menschen Machen Medien".


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