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Die AfD und der "Südkurier"

Werte im Ausverkauf

Die AfD und der "Südkurier": Werte im Ausverkauf
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Für 15.000 Euro druckt und verteilt der "Südkurier" eine AfD-Wahlzeitung voller Halbwahrheiten und Faktenverdrehungen als Beilage der eigenen Tageszeitung. Hinterher lobt sich der Verlag für seine Überparteilichkeit. Die Geschichte eines Versagens.

Es gibt nicht viele Gesetzmäßigkeiten auf Twitter, aber eine geht so: Wer ins Visier des ZDF-Moderators Jan Böhmermann mit seinen 2,2 Millionen Followern gerät, der kann sich auf einen ordentlichen Shitstorm gefasst machen. Das weiß man jetzt auch bei der in Konstanz erscheinenden Tageszeitung "Südkurier". Am vergangenen Mittwoch um 11.34 Uhr twitterte Böhmermann: "Die rechtsextreme Fake-News-Beilage des Südkurier heute – gestaltet wie ein redaktionelles Extrablatt. Print ist nicht tot, sondern einfach nur bewusstlos."

An jenem Tag hatte die Tageszeitung ihren Ausgaben in Konstanz und in Radolfzell sowie dem ebenfalls im Verlag erscheinenden Anzeigenblatt "Konstanzer Anzeiger" eine zehnseitige AfD-Wahlzeitung beigelegt. Gedruckt wurde sie im Südkurier-Tochterunternehmen Druckerei Konstanz. Auflagenhöhe: 89.000 Exemplare. Ein Teil davon erschien auch im "Singener Wochenblatt". Dort ist der "Südkurier" einer von drei Gesellschaftern und hält eine Beteiligung von knapp 25 Prozent.

Nach dem Böhmermann-Tweet ging das Thema viral durch die Decke, bekam Tausende Likes, am Ende berichteten auch "Der Spiegel" und die Branchenportale Meedia und Kress über den Fall. Der ZDF-Satiriker bezog sich dabei auf einen Tweet des Autors dieses Textes, das ein Foto des "Südkurier" neben der ähnlich anmutenden AfD-Wahlwerbung zeigte.

Genau das war das Problem an der Sache: Formal kam der Zehnseiter wie eine redaktionelle Beilage daher. Der flüchtige Leser konnte das für eine Beilage der Lokalzeitung halten. 15.193 Euro hatte der für die Beilage verantwortliche AfD-Landtagswahlkandidat Thorsten Otterbach nach eigenen Angaben dafür bezahlt. Finanziert über Partei und nicht näher benannte Spender. Branchenkenner nennen den Preis günstig, aber nicht unanständig.

Halbwahrheiten und obskure Sichtweisen

Die Inhalte der Beilage waren wie man es gewohnt ist von der AfD: Eine Mischung aus Halbwahrheiten, Faktenverdrehungen und obskuren Sichtweisen. Die deutsche Corona-Politik wird geprügelt, der britische Premier Boris Johnson bekommt Lob für seine Impferfolge, ohne zu erwähnen, dass Großbritannien das Land in Europa ist, das besonders viele Corona-Tote zu beklagen hat. Zunehmend autokratische Staaten wie Ungarn und Polen bezeichnet der für die Beilage verantwortliche Landtagswahlkandidat Thorsten Otterbach als "demokratisch gewählte Regierungen mit abweichender Arbeitsweise".

Besonders irreführend war allerdings der Umgang mit den offiziellen Sterbezahlen des Statistischen Bundesamtes. Otterbach referierte in einem Text die korrekten Zahlen, brachte sie aber in einen falschen Kontext. "Man kann von der Sterbefallzahl nicht einfach auf die grundsätzliche Gefährlichkeit des Virus schließen", sagte ein Sprecher des Statistischen Bundesamtes auf Nachfrage. Genau das tat die AfD-Beilage aber.

Um vermeintlich zu belegen, wie unnötig die Corona-Maßnahmen seien, verwies die Beilage auf die Zahl der Sterbefälle. Diese sei von 2019 auf 2020 geringer gestiegen als in den Jahren zuvor. Das stimmte zwar, aber dass das auch an all den Corona-Maßnahmen lag, die zum Schutz der Gesundheit getroffen wurden, erwähnte der AfD-Mann nicht. Das klassische Präventions-Paradox. "Das ist in etwa so als würden sie sagen: Anschnallen im Auto ist nicht nötig, ich bin schon einmal unangeschnallt gefahren und da ist nichts passiert", erklärt der Sprecher des Statistischen Bundesamts.

Entsprechend groß war der auf die Beilage folgende Entrüstungssturm. Schon vor dem Böhmermann-Tweet gab es einen wachsenden lokalen Shitstorm in den sozialen Medien. Viele Leser des "Südkurier" fragten sich: Wenn eine Zeitung dazu beiträgt, solchen Unsinn zu verbreiten – wie soll ich ihr jemals wieder vertrauen können?

Die Antwort darauf fiel recht eindeutig aus: Leute posteten auf Facebook und Instagram Bilder von zerknüllten oder in die Mülltonne versenkten Zeitungen, sie teilten Aufnahmen von Abo-Kündigungsschreiben und riefen dazu auf, es ihnen nachzumachen, eine Antifa-Gruppe warf in der Nacht Farbbeutel auf die Fassade des Medienhauses. Nun ja.

Eine verlegerische Bankrotterklärung

Jan Böhmermanns Tweet katapultierte die Debatte schließlich in die nationalen Schlagzeilen. Plötzlich sprach man deutschlandweit über den "Südkurier". Als Beispiel für eine verlegerische Bankrotterklärung.

Wer verstehen will, wie so ein Fehler in einem Haus passieren kann, in dem zig Leute sitzen, deren Tagesgeschäft es sein sollte, Fakten von Fakes zu unterscheiden, der muss wissen, dass solche Beilagen nicht von der Redaktion, sondern von der Anzeigenabteilung bearbeitet werden. Weil sie auf Kundenwunsch entstehen und nicht aus journalistischem Interesse. Die Redaktion spielt, wenn überhaupt, eine nachgeordnete Rolle. Eine ernsthafte Prüfung der Inhalte findet so gut wie nicht statt. Das ist in vielen Verlagen gängige Praxis.

Anja Pasquay, Pressesprecherin des Verlegerverbandes BDZV, erklärt es so: "Zu prüfen wäre allenfalls, ob ein 'grober, unschwer zu erkennender Verstoß' vorliegt. Zum Beispiel bei volksverhetzenden Inhalten wäre ein Abdruck unzulässig. Der Inhalt muss so offensichtlich 'vom Gewohnten abweichen', dass es jedem Anzeigenmitarbeiter auffällt."

Andererseits: Nur weil man etwas nicht zwingend machen muss, kann man es aus Sorgfaltsgründen ja dennoch tun. Gerade wenn man es mit einem Kunden wie der AfD zu tun hat, die nun nicht unbedingt für ihre Faktentreue bekannt ist. Wann und wie die Redaktion von der AfD-Beilage erfuhr, wollte das Unternehmen auf Nachfrage nicht beantworten.

Aus der Redaktion selbst hört man Verschiedenes. Die Stimmung sei geteilt zwischen jenen, die die Linie des Verlages unterstützten und jenen, die die AfD-Beilage für einen Fehler halten. Öffentlich äußern will sich aber kaum jemand. Lediglich die Politikredakteurin Mirjam Moll schrieb auf Twitter, sie distanziere sich als Privatperson von der Beilage. Ansonsten kamen vor allem Kommentare von ehemaligen Beschäftigten. Martin Jungfer, ehemaliger Online-Chef der Zeitung, schrieb auf Twitter: "Für nicht einmal 15.000 Euro kann man also einen gewissen Teil der journalistischen Haltung einer Lokalzeitung kaufen. Sieh an!" Und Bastian Brauns, ehemaliger Autor des Blattes und nun Politikredakteur bei Cicero, twitterte: "Bitter, was hier aus dem 'Südkurier' zu werden scheint."

AfD – ein Kunde wie jeder andere. Wirklich?

Das Unternehmen selbst brauchte eine ganze Weile, bis es auf all den Aufruhr reagierte. Medienanfragen beantwortete es mit einer gleichlautenden Pauschalantwort, die auf den Gleichbehandlungsgrundsatz und die Überparteilichkeit der Zeitung abhob: "Der Inhalt von Wahlwerbung spiegelt nicht die Haltung unseres Verlags wider. Die Beilage ist nicht Teil der Berichterstattung des 'Südkurier'. Der Absender dieser Beilage ist eindeutig erkennbar, durch ein eigenes Impressum gekennzeichnet, und klar vom redaktionellen Teil getrennt. Das gehört zu unseren Grundsätzen für die Veröffentlichung von Wahlwerbung. Eine Demokratie hat viele Stimmen und Meinungen. Einige davon sind schwer zu ertragen. Was in unserer politischen Landschaft legitimiert ist und was nicht, darüber wachen unsere Staatsorgane", erklärte Unternehmenssprecher Christian Wulf. Mehr wollte der Verlag nicht dazu sagen. Konkrete Nachfragen zum Statement ließ das Unternehmen unbeantwortet.

Die Lage des Verlages wurde auch nicht richtig besser durch einen Hinweis, den die Zeitung am Erscheinungstag der AfD-Beilage auf seine Titelseite druckte. Die Verantwortung der Inhalte liege bei der AfD, hieß es, die Beilage sei nicht Teil der Berichterstattung des "Südkurier". Das las sich so, als sei das AfD-Pamphlet irgendwie unabwendbar über den Verlag gekommen, als sei der Zeitung beinahe zu Druck und Verteilung verpflichtet. Dem ist freilich nicht so.

"Ein vorzeiten tatsächlich diskutierter 'Kontrahierungszwang' für Einzeitungskreise oder Monopolisten besteht jedenfalls nicht", erklärt Anja Pasquay vom BDZV. Es herrscht also grundsätzliche Vertragsfreiheit. Anders als der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein privates Zeitungsunternehmen nicht verpflichtet, Wahlwerbung von jeder nicht verbotenen Partei zu publizieren. Wer mit der AfD Geschäfte macht, entscheidet sich aus freien Stücken dafür.

Pasquay sagt aber auch: "Rechtlich gesehen ist die AfD ein Kunde wie jeder andere auch." Der Verband mische sich in die wirtschaftlichen Belange der Unternehmen nicht ein. Tatsächlich ist es ja nicht das erste Mal, dass ein Verlag in die Schlagzeilen gerät, weil er Beilagen mit bedenklichen Inhalten druckt und verteilt. Auch die Badische Zeitung und das Stuttgarter Pressehaus waren damit in der Vergangenheit schon aufgefallen. Kontext berichtete.

Der "Südkurier" hat Vertrauen verspielt

Beim Deutschen Journalisten Verband (DJV) sieht man diese Entwicklung mit Sorgen. "Wir finden es grundsätzlich bedenklich, wenn solche Inhalte in Gestalt einer Zeitung daher kommen und über Verlage gedruckt und verteilt werden. Das schadet dem Vertrauen in Medien", sagt Gregor Schwarz, Geschäftsführer des baden-württembergischen Landesverbandes des DJV. Andererseits sehe er aber auch das Dilemma, in dem die Zeitungen steckten: "Drucken sie die Beilage nicht, setzen sie sich schnell dem Vorwurf aus, nicht überparteilich zu sein. Da wird man dann schnell als 'Systemmedium' gebrandmarkt aus entsprechenden Kreisen", sagt Schwarz.

Er sieht auch noch ein anderes Argument, das die Verlage zur Annahme solcher Aufträge drängen könnte – die wirtschaftliche Lage. "Corona hat nach Aussage der Verleger für massive Anzeigeneinbrüche in der Branche gesorgt, in klammen Zeiten ist der eine oder andere Verlag vielleicht auch dankbar für jede Einnahme", so der DJV-Geschäftsführer. Wenn das wirklich so ist und Verlage aus wirtschaftlichen Gründen weniger wählerisch bei der Wahl ihrer Geschäftspartner sind, muss man sich ernsthaft Sorgen um die Branche und die Demokratie machen. "Letztlich", so Gregor Schwarz, "ist die AfD eine demokratisch gewählte Partei." Damit müsse man sich auseinandersetzen.

Vielleicht ist das der Kern der gesamten Geschichte: die Frage, ob die AfD wirklich eine normale Partei ist wie jede andere. Kann eine Partei, die hetzt, spaltet und regelmäßig die Grenzen des Sagbaren verschiebt und somit zur Verrohung der Gesellschaft beiträgt, behandelt werden wie jede andere? Die Sache ist ja die: Auch eine demokratisch gewählte Partei kann eine Bande von Anti-Demokraten, Faschisten und Nazis sein. Da muss man nur mal im Geschichtsbuch blättern.

Drei Tage nach dem Shitstorm wendete sich der "Südkurier" doch noch an die eigenen LeserInnen. Man habe die Kritik zur Kenntnis genommen. Bleibe aber dabei, dass an der Überparteilichkeit nicht zu rütteln sei und folglich alle demokratisch gewählten Parteien gleich zu behandeln seien. Aber ein bisschen was ändern soll sich doch: "Wir haben bereits entschieden, dass wir zukünftig jegliche Form presseähnlicher Parteiwerbung wie Zeitungsbeilagen und PR-Anzeigen nicht mehr zulassen", hieß es in der Stellungnahme der Geschäftsführung.

Man muss kein allzu großer Prophet sein, um zu sagen: Das wird nicht reichen, um das verspielte Vertrauen zurückzugewinnen.
 

Michael Lünstroth, Autor dieses Textes, war von 2006 bis 2016 Redakteur beim "Südkurier". Heute ist er Redaktionsleiter des Schweizer Kulturportals thurgaukultur.ch und freier Autor für verschiedene Medien, unter anderem bei Kontext.


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5 Kommentare verfügbar

  • Gustav Hoch
    am 26.03.2021
    Antworten
    Ich habe die Skandierer der AfD im Ohr: "Lügenpresse". Nun kommt Kontext von der anderen Seite "Lügenpresse". Welche Ironie.
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