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Süddeutsche Zeitung

"Wir sind doch kein Fastfood-Laden"

Süddeutsche Zeitung: "Wir sind doch kein Fastfood-Laden"
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Lange hat sich die SWMH nicht an die "Süddeutsche Zeitung" gewagt. Jetzt wird geholzt. Zehn Prozent der RedakteurInnen sollen gehen. Für die schwäbischen Sparfüchse war das Blatt schon immer zu üppig ausgestattet.

Spötter sagen gerne, die Südwestdeutsche Medienholding (SWMH) gebe es gar nicht. Niemand kenne den größten deutschen Tageszeitungskonzern, weil er selbst schweige, und seine Regionalblätter ("Stuttgarter Zeitung", "Lausitzer Rundschau", "Schwarzwälder Bote") im Medienzirkus eine eher untergeordnete Rolle spielten. Mit dem Kauf der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) anno 2008, für stolze 700 Millionen Euro, hat sich das geändert. Fortan war das Stuttgarter Firmengeflecht ein Objekt auf dem Radar, das sich einerseits immer noch unsichtbar machen wollte, andererseits aber so stolz war auf sein Flaggschiff aus München, dass die Existenz nicht mehr zu verheimlichen war. Spätestens mit den "Panama Papers" seien die Manager aus ihren Anzügen geplatzt, heißt es.

Das hat die SWMH jetzt allerdings nicht daran gehindert, auch bei ihrem Weltblatt das zu tun, was sie bei ihren 15 Tageszeitungen, die von Offenburg im Westen bis nach Suhl im Osten Deutschlands reichen, schon immer getan hat: sparen, sparen, sparen. Bis zu 50 Stellen sollen in der Redaktion wegfallen, das sind zehn Prozent der Belegschaft, so viel wie nie in der Geschichte der "Süddeutschen". Im Rahmen eines "Freiwilligenprogramms" (SWMH-Sprech) können die SZ-KollegInnen auf eine Abfindung hoffen, die maximal 134 000 Euro (50 Prozent nimmt der Fiskus) beträgt, und noch über eine Turboprämie (30 000 Euro) aufgestockt werden kann, wenn bis Ende Oktober der Schreibtisch geräumt wird.

Das Management feiert 150 000 Digitalabonnenten

Die Begründung ist branchenüblich: Die Anzeigenerlöse seien weiter eingebrochen, die Verluste im Printbereich weiter gestiegen, Druckaufträge großteils storniert. Genaue Umsatzzahlen nennt SZ-Geschäftsführer Stefan Hilscher nicht, er lässt bei der Verkündung am 15. September nur durchblicken, dass die JournalistInnen froh sein könnten, nicht mit Schlimmeren konfrontiert zu werden. Wütende Wirtschaftsredakteure fragen nach, erfolglos. "Wir sind doch kein Fastfood-Laden", schimpft ein renommierter Autor, es fällt das Wort vom "Isarkiesel", zu dem die SWMH den "Diamanten" SZ mache, es ist die Rede von einer "beschissenen Stimmung", in der die Redaktion den großen Sprung in die Transformation schaffen soll. Viele kämen bereits jetzt auf dem Zahnfleisch daher, berichten KollegInnen, die sich im Spagat zwischen Print und Digital immer weiter dehnen müssen. Derweil feiert das SWMH-Management den 150.000sten Digitalabonnenten der "Süddeutschen Zeitung", vorneweg CEO Christian Wegner, der 2018 vom Kommerzkanal ProSiebenSat 1 gekommen ist.

Dort war der promovierte Betriebswirt, Jahrgang 1974, mit der Vermittlungsagentur "Parship" erfolgreich, freilich ohne Kenntnisse der Zeitungsbranche, woran sich seitdem, so der Vorsitzende des SWMH-Konzernbetriebsrats, Harald Pürzel, nichts geändert habe. Was Wegner auszeichne, sagt er, sei Rationalisieren, Leute rausschmeißen, Seilschaften bilden und "Kampfduzen". Seit seinem Amtsantritt gibt es in der Chefetage keine Krawatten und Nachnamen mehr. Als jüngsten Coup feierte er die Akquise der Online-Plattform "7mind", die Meditation, Achtsamkeit und Klangschalen im Programm hat.  

Solange Wegner sie in Ruhe gelassen hat, nur in Stuttgart und anderswo geholzt hat, ist die SZ-Redaktion ihrer Wege gegangen. Mit Chefredakteur Kurt Kister (63) an der Spitze, dessen Verehrung des verlegerischen Führungspersonals sich in engen Grenzen bewegt hat. Vor ihm hatten sie Angst, er ist seit Juli raus aus dem Amt, nur noch als Autor tätig. In der Redaktion heißt es, Kister habe sich in den Kämpfen mit den Kaufleuten aufgerieben.  

Einfach zu viele Sekretärinnen bei der SZ

Zusammen mit Corona hat sich so ein günstiger Zeitpunkt ergeben, um auch in München umzusetzen, was sich Wegners Vorgänger nicht getraut haben. Ein rabiater Stellenabbau, verbunden mit dem Hinweis, dass der Verlag nur so "zukunftsfest" aufzustellen sei, vorzeigbar bei den Gesellschaftern, die schon immer der Meinung waren, dass die SZ mehr Sekretärinnen habe als Redakteure. Jene Gesellschafter sind eine Reihe von württembergischen Verlegern ("Südwestpresse", "Schwarzwälder Bote", "Heilbronner Stimme"), die den Cent dreimal umdrehen, bevor sie ihn ausgeben, plus der Mehrheitseigner aus Ludwigshafen, die Schaub-Gruppe ("Die Rheinpfalz"), die ebenfalls große Kostendisziplin – und Helmut Kohl als Freund vorweisen konnte. Für den Kanzler war das Regionalblatt die Lieblingszeitung.  

Das ist natürlich nicht die Kragenweite einer national bedeutenden Redaktion. Aber ihr Korsett, das sie jetzt schmerzhaft spürt. Stramm gezogen von einem CEO, der, so Betriebsratschef Pürzel, mit Vorliebe junge Betriebswirtinnen einstelle, die dann an Rotstiftprogrammen arbeiteten. Als wär’s eine Schraubenfabrik.

SWMH-Sprecher Martin Gritzbach bleibt da ganz cool. Den Stellenabbau hätten sie bereits im Oktober 2019 per Pressemitteilung kommuniziert, lässt er auf Kontext-Anfrage wissen, dann sei Corona dazwischen gekommen, und jetzt müsse das "Effizienzprogramm" zur "langfristigen wirtschaftlichen Konsolidierung"  der "Süddeutschen Zeitung" beitragen. Also keine Aufregung, alles längst angekündigt. Herzliche Grüße.

Gewerkschafter Pürzel ist die BWL-Rhetorik vertraut, wenn auch nicht sympathisch. Der 55-Jährige, seit 2006 Vorsitzender des konzernweiten Betriebsrats, hat noch eine Idee von Presse, die mehr ist als die tendenzielle Steigerung der Profitrate. In München hat das sogar noch funktioniert, solange die Zeitung höchstprofitabel war, Anzeigen drei Wochen lang nicht gedruckt werden konnten, weil die Rotationen am Limit waren, und die bayerischen Gesellschafter viel Geld "auf den Kopf hauen" konnten, weil es einfach da war. Für die Redaktion waren es verhältnismäßig goldene Zeiten.

Schwäbische Verleger sind weniger genussfreudig, stecken ihr Geld lieber in Häuser und halten ihre Redaktionen klein. Das ist günschtiger, muss aber nicht bedeuten, dass sie am eigenen Auto sparen. Auch die Daimler-/Audi-Modelle auf dem Hof der Süddeutschen könnten zu einer Art Kulturschock beigetragen beziehungsweise den begründeten Verdacht ausgelöst haben, vor einer "feindlichen Übernahme" zu stehen. Gewerkschafter Pürzel jedenfalls hatte ihn. Und weil er als Konzernbetriebsrat die Managerriege der SWMH kennt, erschien ihm die Prognose schlüssig, dass die Sonderrolle der "Süddeutschen Zeitung" ein Ende haben und vom Prinzip "gleichberechtigte Misshandlung" abgelöst werde. Gedauert hat es nur bei der Redaktion. Auch dank eines starken Redaktionsstatuts, glaubt Pürzel, und eines Chefredakteurs, der seine KollegInnen ermuntert habe, die Integrität der SZ "gegen die Schwaben" zu verteidigen.

Eine Menge Erfahrung in dieser Gleichbehandlung bringt Uwe Kreft mit. Er ist bei Verdi für den Standort Stuttgart zuständig und schlägt sich seit Jahren mit den Erbsenzählern aus dem obersten (aufwändig renovierten) Stockwerk im Möhringer Pressehaus herum. Zuletzt in Sachen Kurzarbeitergeld, das die SWMH selbstverständlich beantragte und kaum aufstocken wollte. "Brutal" seien die Verhandlungen gewesen, berichtete Kreft im April dieses Jahres (Kontext berichtete), die Geschäftsleitung habe gedroht, Personal zu entlassen, falls der Betriebsrat der Kurzarbeit nicht zustimme. Bei der MHS-digital seien die Kündigungen bereits auf dem Tisch gelegen.

Gibt es das Pressehaus bald nicht mehr?

Da ist beruhigend zu lesen, dass wenigstens die Chefredaktion der Fusionszeitung STZN in vertrauensvollen Gesprächen mit dem Betriebsrat erreichen will, dass "die Liquidität unserer Unternehmensgruppe" sichergestellt wird. Leicht ist auch ihr Geschäft nicht, wenn ständig Zeitungen gekauft, Redaktionen geschlossen, freie MitarbeiterInnen auf Null gesetzt und Abfindungsprogramme durchgezogen werden müssen. Und dann hat man auch noch eine Ausgabe zum 75. Geburtstag hinzulegen, die der Leserschaft versichert, weiterhin eine richtig gute Zeitung zu bekommen. Eine, die auch Winfried Kretschmann weiterhin mit viel Freude liest.

Allerdings erhebt sich zum Schluss die Frage, in welchen Mauern diese Zeitung künftig gemacht wird. Laut Konzernbetriebsrat ist der weltweit tätige Maklerkonzern Jones Lang LaSalle beauftragt, Komplett- oder Teilverkäufe der SWMH-Immobilien zu prüfen. Zur Debatte stehen das Grundstück an der Plieninger Straße 150, das man behalten und neu bebauen könne, aber auch der Verkauf an einen Investor, der ein Gebäude errichtet, das zurückgemietet werden könnte. Dasselbe gilt für das Gelände an der Münchner Hultschiner Straße 8, wo der 103 Meter hohe SZ-Turm steht, der bereits verkauft ist. Im Dezember 2007 war’s, kurz vor der Übernahme durch die SWMH im Übrigen, was deren damaligen Geschäftsführer Richard Rebmann zu der schwäbisch-sarkastischen Bemerkung veranlasste: "Das Hochhaus ist bereits verveschpert". Schlecht für ihn und seine Schwaben. Der Turm ist heute 244 Millionen Euro wert.  

Betriebsrat Pürzel weiß nicht so recht, ob er lachen oder weinen soll, ob der kaufmännischen Weitsicht des Münchner Managements. Rebmann habe wenigstens noch an seine Kinder und Enkel gedacht, sagt er, Leute wie Wegner zögen mit ihrer Seilschaft nur eine Station weiter.


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5 Kommentare verfügbar

  • Peter Hermann
    am 24.09.2020
    Antworten
    Eine Zeitung, deren hypersensibler Kußmund-Chefredakteur einen Autor wie Ruprecht Skasa-Weiß vom Hof jagt, weil der sich erdreistet als (quasi olfaktorisches) Weihnachtsrätsel-Thema den "Furz" zu wählen, muß sich doch nicht wundern, wenn die Abonnenten sich verdünnisieren. Es reicht ein kurzer Blick…
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