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Behörden als Pressefeinde

Behörden als Pressefeinde
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Auf Basis falscher Anschuldigungen seitens Polizei und Verfassungsschutz wurde der Journalist Alfred Denzinger dabei behindert, über den Hamburger G20-Gipfel zu berichten. Knapp drei Jahre später steht fest: Das war rechtswidrig. Entschuldigen will sich das verantwortliche Bundespresseamt nicht.

Die Polizei hat ihn als "linksmotivierten Straftäter" abgespeichert, obwohl er nie als solcher verurteilt wurde. Der Verfassungsschutz stellt ihn als Sicherheitsrisko dar, weigert sich aber, Beweise dafür vorzulegen. Nun, nach einem kräftezehrenden Rechtsstreit, bleibt dem Chefredakteur der linken "Beobachter News" zwar die Genugtuung, einen juristischen Sieg gegen die Bundesrepublik errungen zu haben. Doch groß zu feiern gäbe es eigentlich nichts, meint Alfred Denzinger. Er klingt ein bisschen müde: "Es ist unglaublich, wie viel Papier in dieser Angelegenheit über mich vollgeschrieben wurde. Aber fast alles ist Unsinn."

Im Juli 2017, als sich die mächtigsten Staats- und Regierungschefs unter dem Protest Hunderttausender in Hamburg zusammenfanden, war es gar keine Frage, dass die "Beobachter News" – Untertitel "Magazin für politische Bewegung" – darüber berichten würden. Denzinger akkreditierte sich ordnungsgemäß für den Zugang zum offiziellen Medienzentrum. Und bevor ihm das Bundespresseamt (BPA) die Anmeldung bestätigte, gab es eine Personenprüfung des Fotojournalisten, der aus Stuttgart angereist kam. Hätte es gravierende Bedenken gegeben, dass Denzingers Teilnahme die Sicherheit des Weltereignisses gefährden könnte, erschiene es naheliegend, ihm die Akkreditierung gar nicht erst auszustellen. Doch es kam anders.

Nach heftigen Ausschreitungen im Vorfeld des Gipfels nahmen BPA und Bundesinnenministerium eine Neubewertung der Sicherheitslage vor – und entschieden sich, Denzinger sowie 31 KollegInnen die bereits erteilte Akkreditierung wieder zu entziehen. Er habe es "nicht verantworten können, die ernsthaften Hinweise und die dringenden Empfehlungen zu ignorieren", begründete Regierungssprecher Steffen Seibert diesen Schritt wenige Tage darauf. Welche konkreten Gefahren von den Betroffenen im Einzelnen ausgegangen sein sollen, führte er zwar nicht aus. Aber er warb dafür, "dass Sie unseren glasklaren Erklärungen Glauben schenken", schließlich hätten er selbst und KollegInnen sich zur Sache bereits "so klar geäußert, dass eigentlich kein Misstrauen berechtigt ist."

Noch in derselben Woche stellte sich jedoch heraus, dass die ernsthaften Hinweise und dringenden Empfehlungen der Sicherheitsbehörden nicht alle auf einer verlässlichen Informationsgrundlage erfolgten. So hätten nach Angaben des Innenministeriums beispielsweise "verdichtete Erkenntnisse" vorgelegen, dass es sich bei einem der Diskreditierten um einen Reichsbürger handle, der obendrein, wie aus Sicherheitskreisen zu vernehmen war, Mitglied in der rechtsextremen Gruppierung "Exilregierung Deutsches Reich" wäre. Klingt übel, stimmt aber gar nicht: Es lag eine Verwechslung vor. Diese peinliche Panne sei den Verantwortlichen "höchst unangenehm", berichtete der "Tagesspiegel". Es werde nun "selbstverständlich eine Entschuldigung gegenüber dem Betroffenen geben".

Horrorstorys aus der Münchhausendatei

Auf eine Entschuldigung wartet Alfred Denzinger noch heute. "Ich lege keinerlei Wert drauf. Aber es wundert mich, dass die Behörden keinerlei Wert drauf legen." Immerhin hätten sie auch in seinem Fall die Pressefreiheit auf der Grundlage falscher und verleumderischer Informationen eingeschränkt. Dass es sich dabei um ein illegales Vorgehen handelte, ist inzwischen gerichtsfest geklärt. "Im Namen des Volkes" stellte das Berliner Verwaltungsgericht im April 2020 fest, "dass der Entzug der Akkreditierung des Klägers [Denzinger] zum G20-Gipfel in Hamburg 2017 durch die Beklagte [Bundesrepublik] rechtswidrig war. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens."

Mit einer "Münchhausendatei" seien ihm allerlei "wahnwitzige Horrorstorys" angedichtet worden, ärgert sich Denzinger. "Die Rede war unter anderem von Körperverletzung, Sachbeschädigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Hausfriedensbruch, die ich angeblich in den Jahren vor dem Gipfel begangen hätte. Allesamt nachweislich frei erfunden." Tatsächlich war schon lange vor dem G20-Gipfel, dem Entzug der erteilten Akkreditierungen und den juristischen Auseinandersetzungen in der Folge öffentlich bekannt, dass das baden-württembergische Landeskriminalamt (LKA) Alfred Denzinger als "Straftäter linksmotiviert" etikettiert, obwohl er keiner ist (Kontext berichtete darüber im Februar 2017). Wie ein Sprecher des LKAs gegenüber Kontext bestätigte, braucht es keine Verurteilung durch ein Gericht, um sich einen solchen Vermerk einzufangen. "Da reicht ein Tatverdacht." Es handle sich um "Einträge für Polizeiarbeit, nicht für die Justiz."

In der Regel erfahren Betroffene nichts davon, was über sie in polizeilichen Datenbanken gespeichert wird. Selbst wenn es zu Freisprüchen kommt oder Verfahren eingestellt werden, gibt es keine Garantie, dass diese entlastenden Informationen Einzug in die allenfalls sporadisch gepflegten Datensätze finden. "Weder das Bundeskriminalamt noch die Polizeien der Länder speichern Daten unbescholtener Bürger", behauptete zwar BKA-Präsident Holger Münch im September 2017 und beschuldigte Medien, in ihrer Berichterstattung ein "ein völlig falsches Bild" zu zeichnen. Doch seine Aussage entspricht nachweislich nicht den Tatsachen, wie unter anderem der "Faktenfinder" der "Tagesschau" anschaulich dokumentiert: "Es ist leicht, schon bei einem Anfangsverdacht in die Verbunddateien rein zu kommen – es ist fast unmöglich, wieder rauszukommen. Und weil das nicht Ausnahme, sondern die Regel ist, rechnen Experten tatsächlich mit massenhaft rechtswidrig gespeicherter Daten."

An Demo gegen Nazis teilnehmen: verdächtig

Was den Fall Denzinger angeht - da war nicht nur die Polizei Stichwortgeber für das Märchen vom gefährlichen Linksextremisten. Auch der Verfassungsschutz steuerte seinen Teil dazu bei. So beruft sich die prominente Kanzlei Redeker Sellner Dahs, die die Bundesregierung im Rechtsstreit gegen den staatlich verleumdeten Fotojournalisten vertrat, auf "weitere sicherheitsrelevante Erkenntnisse", die der baden-württembergische Geheimdienst gesammelt hat. So habe Denzinger im "Jahr 2013 an einer linksgerichteten Gegendemonstration teilgenommen. Überdies lagen weitere nachrichtendienstliche Erkenntnisse zum Kläger vor, die gegenwärtig jedoch noch nicht beweisbar waren."

Konkret ging es bei dem erwähnten Vorfall im April 2013 um eine antifaschistische Mahnwache, die an den Brandanschlag von Winterbach erinnerte, bei dem ein einschlägig vorbestrafter Neonazi eine Gruppe junger Migranten angriff, die nur durch Glück überlebten. "Was an einer Teilnahme am Protest gegen rassistische Gewalt verdächtig sein soll, erschließt sich mir nicht", kommentiert Denzinger. Er wüsste gerne, welche Informationen der Verfassungsschutz noch so über ihn gespeichert hat. Der aber verweigert den Einblick in die Akten mit der fragwürdigen Begründung: "Sie haben kein berechtigtes Interesse." Auch dagegen will Denzinger nun gerichtlich vorgehen, mit mutmaßlich ganz guten Aussichten.

Seinen Erfolg gegen die Bundesrepublik wertet die Journalistengewerkschaft dju als "weiteren wichtigen Erfolg für die Pressefreiheit". Bereits im vergangenen November erstritten zwei diskreditierte Kollegen ein Präzedenzurteil beim Verwaltungsgericht Berlin. Die "Süddeutsche Zeitung" fasst die Argumentation der Bundesrepublik folgendermaßen zusammen: "Vom Verfassungsschutz habe es geheißen, dass eine Nähe zu linksextremen Gruppierungen bestehe. Das habe man in der Situation wegen des Zeitdrucks nicht konkret überprüfen können." Auch im Fall Denzinger scheint in den Augen der Beklagten eher zweitrangig zu sein, ob die Informationen über den Betroffenen zutreffend sind oder nicht. Die Kanzlei Redeker Sellner Dahs, die auch schon Helmut Kohl, Oberst Georg Klein oder das ZDF in der Erdogan-Böhmermann-Affäre vertreten hat, schreibt: "Aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht war ein sofortiger Entzug der Akkreditierung des Klägers alternativlos geboten."

Hätte sich diese Sichtweise vor Gericht durchgesetzt, würde das den Geheimdiensten in der Praxis die Möglichkeit eröffnen, mit unbelegten und sogar nachweislich falschen Informationen die Pressefreiheit bei staatlichen Veranstaltungen auszuhebeln – was so schon passiert ist, wie das rechtswidrige Vorgehen beim Entzug der G20-Akkreditierungen verdeutlicht. Die Gerichtsurteile dienen hier als Leitlinien des Legitimen. Doch was Hamburg angeht, ist der Schaden geschehen. Und bereits 2008, als die G8 in Heiligendamm tagten, wurde einer Reporterin der Zugang laut richterlichem Urteil rechtswidrig verweigert. Wie lässt sich also verhindern, dass es in der Zukunft zu einer erneuten Wiederholung des Skandals kommt?

Das Bundespresseamt verweist auf Anfrage von Kontext darauf, dass es Anfang 2018 einen Akkreditierungsbeauftragten eingesetzt habe: "Er steht seitdem bei entsprechenden Veranstaltungen als Ansprechpartner für die Journalisten vor Ort in Belangen der Akkreditierung zur Verfügung." Inwieweit nun "die gerichtlichen Vorgaben neue Verfahrensschritte erforderlich machen, bedarf einer weitergehenden Überprüfung." Die Frage, ob das Presseamt eine Entschuldigung bei den zu Unrecht vom Akkreditierungsentzug Betroffenen für angebracht hält, bleibt offen. Eine Regierungssprecherin, die namentlich nicht genannt werden möchte, antwortet ausweichend: "Wir haben die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Berlin mit Respekt zur Kenntnis genommen." Immerhin.


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4 Kommentare verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 09.05.2020
    Antworten
    Entschuldigen wollen sich die Verantwortlichen Amtspersonen also nicht. Warum sollten sie, solange sie keine Konsequenzen zu erwarten haben – es gibt _keine gelebte_ Dienstaufsicht!

    Es schrieb unser B-W Innenminister Heribert Rech in seinem Vorwort zu
    diesen Opferschutzbroschüren:
    „Eine…
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