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Außergerichtliche Opposition

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Klagefreudige Medienkanzleien versuchen im Auftrag von Rechtsextremisten, kritische Berichterstattung zu verhindern. Sogar wenn diese rechtlich zulässig wäre. Wenn's schief geht, sind Nazis und schießwütige Kommunalpolitiker nach einer gescheiterten Intervention jedoch bekannter als je zuvor.

Zum Jahreswechsel dominierte insbesondere die Kontroverse um einen rotzfrechen Kinderchor den öffentlichen Diskurs. Stichflammenartig loderte kurz noch die zwischenzeitlich wieder versandete Debatte um Tempolimits auf deutschen Autobahnen auf, außerdem sagte Dieter Nuhr irgendwas. Vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit wurde, zumindest in diesem Zeitfenster, dem Umstand zu Teil, dass ein Kölner CDU-Politiker in der Nacht auf den 29. Dezember auf einen jungen Menschen mit Migrationshintergrund geschossen haben soll. Im WDR schildert ein Augenzeuge den Vorgang wie folgt: "Der Mann kam mit einer Waffe aus dem Haus und brüllte 'Haut ab, ihr Kanacken, ihr Dreckspack'. Da haben wir zurück geschimpft. Der Mann stand in seinem Garten und hat uns aufgefordert, über die Mauer zu kommen. Dann hätte er einen Grund, auf uns zu schießen. Dann gab es Streit mit Worten. Dann hat er plötzlich geschossen." Die Staatsanwaltschaft prüft nun, ob ein rassistisches Motiv vorliegt.

Der 72-jährige Verdächtigte, der sich auf Anfrage von Kontext nicht zum Fall äußern wollte, ist laut Medienberichten schon öfter mit rechten Kommentaren in den sozialen Medien aufgefallen, hat sich dort auch positiv auf die AfD bezogen und sitzt für die CDU in einer Kölner Bezirksversammlung. Sein Mandat lässt er inzwischen ruhen.

Auch zulässige Berichte verhindern?

Für Journalisten gestaltete sich die Berichterstattung in dieser Angelegenheit zunächst schwierig, wie Helmut Frangenberg, der den Fall für den "Kölner Stadtanzeiger" recherchierte, im "Deutschlandfunk" schildert. Demnach habe es die Redaktion mit vielen Akteuren zu tun gehabt, die "gleich wenig oder nichts sagen", der Mann lasse sich zudem von einer Strafverteidigerin vertreten: "Und dann ist wie vom heiteren Himmel gefallen eine bekannte Kölner Medienanwaltskanzlei mit eingestiegen, wo wir nicht so genau wissen, wie die ins Spiel kommt."

Bekannt ist die Kanzlei unter anderem, weil sie auch prominente Mandate aus der Neurechten Szene und von Neonazis übernimmt. Laut ihrem Chef sei "vollkommen klar, dass einige [seiner Mandanten] außerhalb der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen", er verweist aber auf den Rechtsstaat, der auch für solche Personen eine anwaltliche Vertretung vorsieht. Ein Mitarbeiter der Kanzlei, der in seiner Twitter-Biographie auf die Festellung wert legt, Mitglied der Grünen zu sein, bezeichnet es als ihre Aufgabe und Tätigkeit als Anwalt, "negative Berichterstattung so weit wie möglich einzuschränken und dabei sehr oft sogar eigentlich zulässige Berichte zu verhindern". Die breite Aufregung darüber nennt er "schon bizarr".

Bei den Grünen wiederum hört sich das anders an. Auf Rückfrage erläutert Margit Stumpp, die medienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, dass zwar "jede Person und jede Organisation, unabhängig von der Gesinnung, ein Recht auf eine juristische Verteidigung und ein rechtsstaatliches Verfahren" habe. Sie betont gegenüber Kontext allerdings ebenfalls, dass es "leider viel zu häufig unberechtigte Abmahnungen und Drohungen von Rechtsanwälten gegen Journalist*innen und Verlage" gebe: "Ich halte es für unzulässig, wenn wirtschaftliche oder staatliche Organisationen der journalistischen Sorgfaltspflicht entsprechende Berichterstattung verhindern wollen, obwohl ein berechtigtes öffentliches Interesse an der Veröffentlichung dieser Informationen besteht." Bedroht sei die Pressefreiheit insbesondere, "wenn eine solche Abmahnpraxis seitens finanzstarker Kläger*innen zum Ziel hat, Journalist*innen oder Medienorganisationen in den finanziellen Ruin zu treiben".

Ein zweischneidiges Schwert

Viele Redaktionen meiden juristische Auseinandersetzung allein schon wegen der Kostenrisiken, die jeder Rechtsstreit mit sich bringen kann. Doch lange nicht immer geht das Kalkül, kritische Berichte verhindern zu wollen, auf. Manchmal wird sogar das Gegenteil der eigentlichen Absicht erreicht – und ein Mandant wird nicht vor Öffentlichkeit geschützt, sondern durch anwaltliche Aktivitäten überhaupt erst bekannt.

Womöglich war es im Fall des Kölner Kommunalpolitikers erst das juristische Vorgehen gegen eine Namensnennung, das dazu führte, dass dem Verdächtigten eine bis dahin ungewohnte Prominenz zuteil wurde: "Der Nachname eines bislang unbekannten Kölner Lokalpolitikers steht heute auf Platz 1 der meistgenannten Hashtags auf Twitter", berichtete der "Deutschlandfunk" am 9. Januar – also elf Tage nachdem geschossen wurde. 

Was war passiert? Ebenfalls am 9. Januar twitterte Paul Ziemiak, Generalsekretär der CDU, er wünsche dem Opfer aus Köln eine baldige Genesung, und nannte in diesem Zusammenhang auch den Nachnamen des verdächtigten Parteifreunds. Daraufhin schaltete sich der Chef der bekannten Medienanwaltskanzlei ein, und forderte öffentlich die Löschung des Tweets.

Doch dabei könnten der Kölner Lokalpolitiker und seine juristischen Berater einen Mechanismus unterschätzt haben: Wenn jemand so vehement seine Identität verbergen will, lockt er all diejenigen herbei, die da besonders genau nachforschen. Ein aufmerksames Netzwerk, eine Art außergerichtliche Opposition, sorgte anschließend erst recht für die Verbreitung eines Namens, der durch die Intervention ja eigentlich anonym bleiben sollte.


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