KONTEXT:Wochenzeitung
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Wenn Vielfalt Wurst ist

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Winfried Kretschmann wäre die ideale Werbeikone für die Zeitungsverleger. Keiner spricht so gut über sie, obwohl es dafür keinen Grund gibt. Fehlt nur noch, dass er sie zum Sturmgeschütz der Demokratie erklärt.

Die Idee fanden alle super. Der Spaßmacher Harald Schmidt, der sie hatte. Die Staatskanzlei, die den Hauptdarsteller stellen durfte, und die "Stuttgarter Zeitung", die exklusiv in den Geheimplan eingeweiht war: Kretschmann taucht als Überraschungsgast in der Show "Echt Schmidt" auf. Und damit auch kein wichtiges Wort verloren geht oder gar verfälscht wird, protokolliert ein Titelautor des Blattes die Plauderei via Smartphone, was dann als verschriftetes "Gipfelgespräch im Stuttgarter Staatstheater" Eingang in die Zeitung findet. Und alles ist so stimmig, dass des Ministerpräsidenten Pressewächter vor der Veröffentlichung nicht mal drüber lesen müssen. Man kennt sich, man versteht sich.

Keine Woche später, am 6. November 2019, sehen alle ZeitungsleserInnen in Baden-Württemberg blau. "Die beste Zeit für guten Journalismus ist jetzt" steht auf 48 Titelseiten, von der "Backnanger Kreiszeitung" über die Stuttgarter Organe bis zum "Zollern-Alb-Kurier". Ausgedacht haben sich das die südwestdeutschen Verleger, und für den Fall, dass sich einem der Sinn des Satzes nicht sofort erschließt, verweisen sie, in Gestalt ihrer Chefredakteure, auf den Ernst der Lage: Hetze, Lügen, Propaganda allerorten, nur nicht bei ihnen. Wer die Wahrheit will, möge zu ihren Blättern greifen, in denen die Meinungsfreiheit und damit die Demokratie verteidigt wird. Das klingt fast wie ein Hilferuf.

Die "Ludwigsburger Kreiszeitung" bleibt der Kampagne fern

In Anbetracht der wirtschaftlichen Sorgen und Nöte, mit denen sich die Zeitungseigner herum plagen, ist der Appell nachvollziehbar, bezogen auf ihre Glaubwürdigkeit finden ihn selbst Nahesteher ziemlich großmäulig. "In einer Zeit, in der viele Menschen uns Journalisten äußerst kritisch beäugen", betont die Chefredakteurin der "Ludwigsburger Kreiszeitung" (LKZ), Ulrike Trampus, gegenüber Kontext, "kann ich doch nicht sagen: wir sind diejenigen, die wissen, wie alles funktioniert" (hier ihr komplettes Statement). Sie fehlt bei den Unterzeichnern, und damit auch die LKZ, die so etwas wie ein gallisches Dorf im Reich der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH) ist. Ihr Asterix heißt Gerhard Ulmer, ist der geschäftsführende Gesellschafter und immer auf der Hut vor Möhringer Überfällen.

Einen Tag nach der Blau-Aktion freut sich Winfried Kretschmann. Sehr sogar. Auf dem Medienkongress der Landesregierung in den Stuttgarter Wagenhallen sagt er, die Kampagne sei ein "starkes Signal" in einer Zeit, in welcher der Qualitätsjournalismus "mit einem Meer von Halbwahrheiten, Lügen und Verzerrungen" konkurrieren müsse. Die präsidiale Einschätzung nährt sich auch aus der eigenen Empirie. Der 71-Jährige liest als bekennender Papierraschler zuerst die "Schwäbische Zeitung", dann die "Stuttgarter Zeitung" (StZ) und schließlich die FAZ, und rühmt sie alle, wenn wieder einmal Jubiläum ist. Gerne auch mit einem Zitat von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der die Zeitungslektüre als "Morgengebet der bürgerlichen Gesellschaft" bezeichnet hat.

Wenn er dann noch bekundet, dass solcher Qualitätsjournalismus "konstitutiv für die Demokratie" ist, strahlt der Präsident des Südwestdeutschen Zeitungsverlegerverbandes, Valdo Lehari jr., wie ein Weihnachtsbaum mit einer neuen Kugel am Ast, weil er der Auffassung ist, dass eine Gesellschaft ohne freie Presse gar nicht funktionieren kann. Das hat er glasklar im Blick. "Wenn der Einzelhandel wegfällt", warnt er, "fallen auch die Lokalzeitungen weg". Was dann passiert, wollen wir uns gar nicht ausmalen. Lehari gehört der "Reutlinger Generalanzeiger" (GEA), der ungern Mindesthonorare zahlt.

Nun ist Letzeres natürlich kein Thema auf einem Medienkongress, dem laut Staatskanzlei die Crème de la Crème beiwohnt und dem die Aufgabe obliegt, die großen Linien im Boden der Branche zu ziehen, welche durch eine hohe Disruption gekennzeichnet ist. Sprich, es wackelt. Da geht es eher um Facebook und Youtube, wie sie den Verlegern das Wasser abgraben, die wiederum sauber mit den Zuckerbergs kooperieren. Da warnt der eine vor einer "Weltuntergangsstimmung" (SWR-Intendant Gniffke), plädiert der andere für "Anti-Hysterie" (Philosoph Nida-Rümelin), konstatiert der nächste eine "Wissens- und Wahrheitskrise" (Medienprofessor Pörksen), der Vierte verteidigt seinen Abschied von Twitter (Politiker Habeck), schließlich sei Kretschmann auch ohne Zwitschern populärster Politiker geworden, und der Fünfte meint, die Presse unterscheide sich nicht von "klassischen Industrien" (StZ-Chefredakteur Dorfs), die Kunst läge eben in der "Monetarisierung", aber da sei er viel optimistischer als noch vor einem halben Jahr. (Der neue SWMH-CEO Christian Wegner, der leider verhindert war, hat immerhin 100 Millionen Euro in Aussicht gestellt).

Das zaubert selbst seinem Vorgänger und Sparfuchs Richard Rebmann ein Lächeln ins Gesicht, bevor er noch vor dem Mittagessen entschwindet. Im trauten Kreis vor den Wagenhallen soll er fröhlich erzählt haben, dass ihm nachgetrauert werde.

Währenddessen lehnt Rudi Hoogvliet an einem der Tische, an denen wahlweise Rinderbraten an Rübchen-Gemüse, Kässpätzle oder Serviettenknödel mit Waldpilzen verspeist werden können. Der Regierungssprecher, der auch, wie er sagt, für Medienpolitik zuständig ist, hat vor drei Jahren begonnen, den Kongress zu planen. Jetzt ist er zufrieden. "Die dpa hat schon eine News rausgehauen", verrät er. "Kretschmann warnt vor Nachrichtenwüsten", titelt die Agentur, was insoweit stimmt, als er einen Vergleich mit den USA wagte, wo der Korruption Vorschub geleistet werde, weil in den zeitungslosen Regionen "niemand mehr die handelnden Akteure kontrolliert" (die ganze Rede ist hier zu lesen).

Blöd, wenn überall SWP oder SWMH drüber stehen würde

Die Meldung hat selbstverständlich ihren Niederschlag in den baden-württembergischen Blättern gefunden. Und sonst? Sonst blieb es wenigen KollegInnen vorbehalten, über die Veranstaltung zu berichten. Eigene Beiträge veröffentlichte der "Südkurier", dem die freie Presse als "Bollwerk der Demokratie" unersetzlich dünkte (sie erschienen auch im "Mannheimer Morgen"); außerdem der "Reutlinger General-Anzeiger", der die "zukunftsweisende Weichenstellung" lobte, und die StZN, die eine "Sehnsucht nach Anstand" verspürte. Den größten Wirkungsgrad erzielte allerdings Roland Muschel, der gemeinsame Korrespondent von "Südwestpresse", "Badische Zeitung" (BZ) und "Rhein-Neckar-Zeitung" (RNZ). Wenn wir richtig gezählt haben, ist sein Text über die "bundesweit einmalige Veranstaltung" in mindestens sechs Kopfblättern der "Südwestpresse" gestanden, von der "Gmünder Tagespost" bis zum "Schwäbischen Tagblatt", die BZ und RNZ nicht mitgerechnet.

Psychologisch gesehen sei das in Ordnung, glauben Fachleute. Hier sei von einer gefühlten Pressevielfalt zu sprechen, die auf der emotionalen Bindung an den Namen der Zeitung gründe. Da würde es stören, wenn überall "Südwestpresse" oder SWMH drüber stünde.

Das müssen die Führungspersönlichkeiten in den Zeitungshäusern berücksichtigen, wenn sie weiter einkaufen. Also immer sagen, das Heimatblatt bleibe unabhängig, heiße wie immer, auch wenn es eine Räuberpistole ist. Sie seien aufgefordert, erzählt etwa Joachim Dorfs seinen Zuhörern, "immer effizienter" zu arbeiten, Doppelstrukturen wie mehrere Redaktionen in Esslingen und Böblingen (wo die SWMH die Blätter aufgekauft hat) abzubauen, um in "digitale Kompetenzen investieren" zu können. Und damit auch hier keine Missverständnisse entstehen: "Qualität bringt nichts, wenn sie den Leser nicht findet". Die Debatte um die milliardenteure Oper beispielsweise, vergiss es. "Da performed die Website nicht".

Ja dann, was tun? Ganz am Ende des Tages diskutieren junge Menschen mit SWR-Hauptabteilungsleiter Clemens Bratzler, der mit seinen 47 Jahren zu den jüngsten Führungskräften gezählt haben dürfte. Ihm gegenüber sitzt Tilo Jung, 34, der Erfinder des politischen Interview-Formats "jung & naiv". Der "freie Chefredakteur", wie er sich selbst nennt, nervt in der Bundespressekonferenz (BPK) seit 2014 mit Fragen, die sehr unterschiedlich wahrgenommen werden. Die Profis, die schon immer gefragt haben, finden sie frech. Die Normalos, die die BPK schon immer langweilig gefunden haben, finden sie toll. Seine Interviews sind lang, manchmal dauern sie eineinhalb Stunden – und hunderttausende schauen auf Youtube zu. Wie erklärt er sich den Erfolg? "Ich bin kein Teil des Systems", sagt er und grinst, "Kommerz und guter Journalismus schließen sich aus". Eigentlich ganz einfach.


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2 Kommentare verfügbar

  • Karl Heinz Siber
    am 13.11.2019
    Antworten
    Toll, dass wir einen solchen Sunnyboy als MP haben, einen durch und durch (selbst)zufriedenen Menschen, der bei niemandem aneckt und sich entsprechend hoher Beliebtheit quer durch das gesellschaftliche Spektrum erfreut. Zwar macht er bei manchen Themen einen absolut ahnungslosen Eindruck, aber zeigt…
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