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Dunkelmänner ans Licht

Dunkelmänner ans Licht
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Die linke Wochenzeitung "Falter" war als einziges österreichisches Medium in die Veröffentlichung des Ibiza-Videos eingebunden, das die ÖVP-FPÖ-Regierung stürzte. Chefredakteur Florian Klenk (46) gehört zu den wenigen, die es ganz gesehen haben, alle sieben Stunden. Im Gespräch mit Kontext sagt Klenk, der Job von JournalistInnen sei es, das Licht aufzudrehen, "wenn Dunkelmänner bei Wodka und Red Bull die Republik verraten".

Wie Kontext ist der Wiener "Falter" ein Gewächs des Widerstands. In langen 32 Jahren mauserte sich die alternative Stadt- zu einer renommierten Wochenzeitung und ist neuerdings gern vergriffen in Österreichs Trafiken (zu Deutsch: Kioske).

Herr Klenk, was können JournalistInnen leisten bei einem Groß-Skandal wie dem, was auf dem Ibiza-Video zu sehen und zu hören ist?

Sie müssen solche Missstände beharrlich aufdecken und nicht nachlassen, sondern nachfassen. Wir müssen das Licht aufdrehen, wenn die Dunkelmänner im Finsteren bei Wodka und Red Bull die Republik verraten.

Sie haben die sieben Stunden und zwei Minuten ganz gesehen. Wie gehen Sie damit um, dass Sie Dinge wissen, deren Veröffentlichung nicht nur Österreich abermals massiv erschüttern könnte?

Alle Szenen, die Österreich massiv erschüttern, haben wir gezeigt. Der Rest des Videos ist more of the same. Ich muss daher die Öffentlichkeit enttäuschen. Aber vielleicht gibt es ja noch andere Videos, die ich nicht einsehen konnte.

Da schwingt so etwas wie Hoffnung mit: Florian Klenk, der Jurist mit der Doktorarbeit über "Pressefreiheit und Unschuldsvermutung", war in den heißen Tagen der Veröffentlichung der Video-Sequenzen, über welche die rechtskonservative Regierung aus ÖVP und FPÖ stürzte, gefragter Gesprächspartner in TV-Sendungen zur Primetime. Gerade tourt er durch die Alpenrepublik, referiert vor vollen Häusern über die Bedeutung eines seriösen und unabhängigen Journalismus in den Zeiten von Echokammern. Die spielen in Österreich eine noch größere Rolle als in Deutschland oder in anderen europäischen Ländern. Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und sein Ex-Vize Heinz Christian Strache (FPÖ) bringen es gemeinsam auf nicht weniger als 1,5 Millionen Facebook-AbonnentInnen.

Was bedeutet die ausgeprägt starke, von PolitikerInnen selber gesteuerte Präsenz im Netz?

In den vergangenen 25 Jahren hat sich der Medienkonsum und damit der Journalismus so radikal verändert, dass wir noch gar nicht wissen, was das für die Demokratie bedeutet. Ich bin Journalist geworden, weil ich eine neugierige Nase bin und Interesse an der Gesellschaft habe. Und ich habe eine klare Vorstellung von unseren Aufgaben. Bei der Recherche haben alle Journalisten ihre ideologische Brille abzunehmen, beim Sammeln von Fakten müssen wir präzise vorgehen wie Chirurgen. Man kann aber keinem Menschen, auch Journalisten nicht, übelnehmen, dass sie gesellschaftliche Positionen haben und die vertreten - für Humanismus im Strafvollzug, für Umweltschutz, gegen Korruption. Sonst wären wir Mikrofonständer. Journalisten haben sich immer eingesetzt. Viktor Adler (der Gründer der Sozialdemokratischen Partei Österreichs, Anm. d. Red.) hat sich als Arzt bei den Ziegelarbeitern in Wien eingeschlossen, um über deren elende Verhältnisse zu berichten und natürlich um sie zu verändern. Deshalb werden Sozialreportagen geschrieben. Aber die Daten und Akten müssen immer dem Motto der Watergate-Aufklärer gehorchen und die beste verfügbare Version der Wahrheit sein - the best obtainable version oft the truth.

Wer profitiert am meisten von der Entwicklung in den sozialen Medien?

Die Rechtspopulisten haben Social Media sehr früh zu nutzen gewusst. Ihre Politik der Emotionalisierung passt haargenau in die Logik der Social-Media-Giganten, die von Aufmerksamkeit und Empörung leben. Die gemäßigt bürgerlichen und linksliberalen Kräfte haben offenbar auf die Kraft des besseren Arguments gesetzt. Das ist zwar redlich, übersieht aber, dass Politik auch über Emotion funktioniert. Und Emotionen sind der Treibstoff der sozialen Medien.

Klenk hat, wie einige andere JournalistInnen nicht nur in Wien, etwa seit einem Jahr gewusst, dass ein Video mit beträchtlicher Sprengkraft gedreht wurde. Nach eigenen Angaben hat er mit einer Person gesprochen, die ihm glaubhaft Inhalte berichtete und darüber, dass keine Regierung die Veröffentlichung werde überleben können. Über die bisher gezeigten gut sieben Minuten hinaus ist inzwischen einiges Weitere publik geworden, etwa dass Strache Journalisten als "die größten Huren auf dem Planeten" bezeichnet hat. Oder wie er sich 2017 und noch in der Opposition ausmalte, Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) und den Parteichef seines späteren Regierungspartners ÖVP, Sebastian Kurz, gegeneinander auszuspielen: "Würde es uns gelingen, von einer Seite Fotos zu organisieren, die wir übers Ausland spielen, würde die andere Seite glauben, die andere war's, und der atomare Krieg geht los."

Zudem sind Gerüchte im Umlauf, wie vor laufender Kamera offen über homoerotische Neigungen oder Drogenkonsum maßgeblicher Akteure in der österreichischen Politik geredet wurde. In seinem Rücktrittsstatement übermittelt Strache offenbar mit Absicht eine sehr spezielle Botschaft an und über Kurz: "Ich stehe nicht an, alle jene um Entschuldigung zu bitten, die ich (…) mit meinen unbedachten Äußerungen auch gekränkt und beleidigt haben, auch den jetzigen Bundeskanzler, über den ich damals auch ungeprüfte, ja schmutzige Gerüchte auch besprochen und gestreut habe."

Viel ist die Rede davon, dass es über die gezeigten Sequenzen hinaus eher um Privates gehen und dies deshalb unter Verschluss bleiben soll. Das ist sowohl Ihre Position als auch jene von "Spiegel" und "Süddeutscher Zeitung". Ist in solch einem Fall, wenn ein Land gewissermaßen verscherbelt werden soll, nicht alles politisch?

Selbstverständlich. Strache behauptet immer wieder, es sei ein privater Abend gewesen. Es mag sein, dass er sich in privaten Räumen getroffen hat und privat wähnte. Die besprochenen Themen waren aber von großem öffentlichem Interesse. Er bot Staatsaufträge in der Bauwirtschaft an, sollte sich die angebliche russische Oligarchennichte als Eigentümerin der Kronenzeitung für ihn publizistisch einsetzen. Er sprach also über seine Amtsführung als Vizekanzler. Und das kann natürlich nie Teil seines Privatlebens sein, sondern es ist höchst politisch.

Und warum müssen dann die Grenzen zwischen Intim- und Privatsphäre trotzdem so eng gezogen werden?

Ganz einfach: weil sonst der Journalismus kaputt geht. Wir decken keine Bettdecken auf und enthüllen keine Unterwäsche, sondern wir wollen über Missstände berichten, die von öffentlichem Interesse sind, weil sie die Öffentlichkeit betreffen. Damit wir dabei glaubwürdig bleiben, müssen wir sie von privaten Bettgeschichten abgrenzen.

Ist die Geisteshaltung, die sich auf Ibiza offenbart hat, FPÖ-typisch oder typisch für europäische NationalistInnen? Immerhin war beispielsweise Gudenus erst kürzlich noch umjubelter Gastredner bei der AfD in Pforzheim.

Wie schon die Ära Schwarz-Blau I in Österreich vor fast zwei Jahrzehnten zeigte, also unter ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel und Jörg Haider, sind FPÖ-Politiker erstaunlich gierig und korrupt. Sie sehen den Staat interessanterweise allzu gern als ihren Besitz an, den sie für ihren eigenen Zwecke nutzen dürfen. Während die klassische Parteibuchwirtschaft von SPÖ und ÖVP meist das Wohl der Parteimitglieder im Auge hatte und sozusagen "Gemeinwohlkorruption" war, haben sich die Freiheitlichen gern persönlich die Taschen gestopft, wie wir etwa bei der Buwog-Privatisierung rund um 60000 privatisierte Staatswohnungen beobachten konnten. Wir erleben somit auch eine Neoliberalisierung der Korruption. Spannend ist, wie Strache ins Auge gefasst hat, staatliche Milliardenaufträge zu gewähren für genehme Berichterstattung. Er wollte also Steuergelder für sich nutzen. Und jetzt schickt er auch noch seine Frau in den Nationalrat. Zur Korruption gesellt sich Nepotismus, Günstlingswirtschaft.

Der „Falter“ ist am 25. Mai 1997 das erste Mal erschienen, entstanden, als die Zivilgesellschaft noch Bewegung hieß. Eine, die im vorliegenden Fall den Wiener Auslandsschlachthof besetzt hielt (ausführlich berichtet die "Wiener Zeitung" über die Entstehungsgeschichte der Wochenzeitung). Florian Klenk, Chefredakteur seit 2012, hat sich seinen Namen als Aufdecker über Jahre erarbeitet. Er hat recherchiert und geschrieben über Menschenrechtsverletzungen, über Korruption und Guantanamo. Er war beteiligt an der Auswertung der Panama Papers. Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek konnte ihr Stück "Über Tiere" auf der Basis von Klenks Erkenntnissen über Wiener Frauenhändler schreiben.

Österreich hat da ja eine sehr spezielle Medien-Landschaft, mit einem überproportionalen Anteil an Boulevard-Zeitungen. Wie kann der "Falter" überleben?

Der "Falter" ist in den vergangenen Jahren enorm gewachsen, weil er eine Lücke in Österreich abdeckt durch regierungskritischen, aber nicht verbissenen Watch-Dog-Journalismus. Der ist in Zeiten wie diesen gefragter denn je. Zudem bietet er viel Service für ein urbanes Publikum, ein breites Kulturprogramm für ganz Österreich, Podcasts und eine kritische Medienberichterstattung. Das ist der Grund, warum wir unsere Reichweite in den letzten zehn Jahren verdoppeln konnten.

Sie sagen, Sie sind Optimist. Wer stellt die nächste österreichische Bundesregierung?

Auch Optimisten dürfen die Realität nicht leugnen. Ich glaube, der nächste Kanzler heißt Sebastian Kurz und sein Vize wird der neue FPÖ-Chef Norbert Hofer sein.


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