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Penny-Markt der Publizistik

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Trump, Terror, Tsunami. So viel Berichterstattung aus dem Ausland soll schon sein. Dafür braucht man aber nicht so viele Korrespondenten – und schmeißt sie raus. Zum Preis immer größerer Ödnis. Ein Betroffener spricht ein offenes Wort.

Der Gipfel der Unverschämtheiten war erreicht, als ich mich schon vom Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) des Madsack-Verlags in Hannover verabschiedet hatte. "Ich bedauere Ihre Entscheidung", lautete die Nachricht aus Niedersachsen. Es folgten ein paar Höflichkeitsfloskeln und zum Schluss die Frage: "Kann ich Sie dennoch zukünftig für Reportagen ansprechen?"

Das war wirklich dreist, nachdem ich dort auch wegen der Dumpinghonorare, die vom RND angeboten wurden, aufgehört habe. Über eine Monatspauschale wollte der Geschäftsführer und Chefredakteur Wolfgang Büchner erst gar nicht verhandeln. Ich solle mich nach anderen Optionen umschauen, falls ich seine Vorstellungen über eine zukünftige Zusammenarbeit nicht akzeptieren würde, hat mich der Kurzzeitchef vom "Spiegel" (2013 bis 2014) wissen lassen.

Dahinter steckt ein Vorgang, der die Welt in Regionalzeitungen noch kleiner werden lässt: Das RND der Madsack-Mediengruppe wird künftig die sechs Titel des Kölner Dumont-Verlages, darunter die "Berliner Zeitung" und der "Kölner Stadt-Anzeiger", mit allen überregionalen Inhalten beliefern. Dadurch werden die Dumont-Auslandskorrespondenten überflüssig. Ihnen war im August von Dumont gekündigt worden, womit ihnen mit einem Schlag zwischen 30 und 50 Prozent der monatlichen Einkünfte fehlten.

Durch diesen brutalen Konzentrationsprozess verwandelt sich die bisher vielfältige deutsche Zeitungslandschaft in eine monotone Öde; Regionalzeitungen geben den Anspruch auf, ihren Lesern eigene Inhalte anzubieten. Vorgemacht haben das die Südwestdeutsche Medienholding ("Stuttgarter Zeitung", "Stuttgarter Nachrichten", "Schwarzwälder Bote") in Stuttgart und die Funke-Mediengruppe ("WAZ", "Hamburger Abendblatt", "Berliner Morgenpost") in Berlin.

Madsack walzt wie eine Planierraupe durchs Land

Doch anders als Funke und SWMH walzt das Redaktionsnetzwerk Deutschland wie eine Planierraupe über den deutschen Zeitungsmarkt. Mit Honorardrückerei, kalt lächelnder Ausnutzung der miserablen wirtschaftlichen Lage freier Journalisten, macht Madsack den Penny-Markt für Zeitungshäuser, die ihren publizistischen Anspruch weitgehend aufgegeben haben und in der Regionalisierung, bei Kritikern Provinzialisierung getauft, ihrer Blätter ihr Heil und ihren Profit suchen. 

Sie kopieren damit ungerührt ein Vorbild, das vor drei bis vier Jahrzehnten den qualitativen Niedergang der regionalen Zeitungslandschaft in den USA nach sich gezogen und dort schließlich zum Massensterben auf dem Zeitungsmarkt geführt hat.

Der Dumont-Verlag vollzog den Wandel von der anspruchsvollen Regionalzeitung zum anspruchslosen Billigprodukt nach dem Tod des Alt-Verlegers Alfred Neven Dumont (2015) unter seinem Geschäftsführer Christoph Bauer. Der kam <link https: www.kontextwochenzeitung.de medien aufruhr-im-heidi-land-4924.html external-link-new-window>aus der Schweiz, wo die Konzentration des Pressewesens schon weit fortgeschritten war (Kontext berichtete). 

Was aus Köln und von der Berliner Zeitung für uns Korrespondenten noch kam, war die Ermunterung, unser Glück in Hannover zu versuchen, verbunden mit der leisen Warnung: Man müsse sich auf schwierige Verhandlungen gefasst machen.

Content Chief Manager Büchner gilt unter Deutschlands Chefredakteuren als "harter Hund". Tatsächlich entpuppte er sich als Verfechter des Prinzips "Rattenrennen". Statt stabiler Absicherung mit einer monatlichen Pauschale sollten die Auslandsjournalisten zukünftig nach dem Motto "Pay per Publication" (Bezahlung für abgedruckte Artikel), so der ursprüngliche Namen das RND-Penny-Mottos, entlohnt werden.

Am besten schreibt die Gattin des Diplomaten

Im Klartext: Die Auslandskorrespondenten sollen ihre Kosten selber tragen. Über eine Beteiligung an den Reisen – für unsereins unerlässlich – wurde zunächst nicht einmal geredet. Womöglich setzt das RND lieber auf FreizeitkollegInnen, die als mitausgereiste Partner von gut bezahlten, ins Ausland entsandten Geschäftsleuten und Diplomaten schreiben können.

In der RND-Selbstdarstellung hört sich dieses Drücker-Modell freilich so an: "Das RND besetzt derzeit alle strategisch und wirtschaftlich interessanten Regionen durch Korrespondenten. Experten aus aller Welt, die vor Ort über sehr gute Netzwerke verfügen und detailliertes Wissen über weitreichende Zusammenhänge in der jeweiligen Region haben, gehören zu einem ganzheitlichen journalistischen Angebot". So zitiert es zumindest das Onlineportal "Übermedien".

Lassen wir mal die rosa Prosa beiseite, und nur die Zahlen sprechen. Das RND beliefert mehr als 50 Tageszeitungen mit einer Auflage von rund 2,3 Millionen Exemplaren und einer Reichweite von rund sechs Millionen Lesern täglich. Für Kenner der Szene, wie den "Horizont"-Chefredakteur Uwe Vorkötter, der sowohl mit der SWMH als auch mit Dumont bestens vertraut ist, schwingt sich Madsack/RND zur "wichtigsten deutschen Zeitungsgruppe" auf.

Die Nabelschau ist wichtiger als der Horizont

Für uns Auslandskorrespondenten, die wir schon immer gegen die geballte Macht der Innenpolitik antreten mussten, wird es dadurch noch schwerer. Die eigene Nabelschau ist heute noch wichtiger als der Blick über den Tellerrand. Der neu erwachte, blühende Nationalismus mit seinen rechtsradikalen Tendenzen gehört zu den dramatischsten Folgen dieser Selbstbezogenheit. Komplexe Sachverhalte wie der Zusammenhang von Weltklima-Krise und der weltweiten Flüchtlingsbewegung verschwinden auf Nimmerwiedersehen aus den Zeitungsseiten. Auslandsberichterstattung bedeutet heute in der Regel Beschränkung auf Naturkatastrophen und reißerische, unterhaltsame und selbst öde Anekdoten aus der Welt von US-Präsident Donald Trump.

Der Madsack-Verlag, an dem die SPD beteiligt ist, verstärkt nun mit seinem "Publizistik Light"-Prinzip den Prozess der Banalisierung und Boulevardisierung. Er geht einher mit den sogenannten Layout-Reformen, mit denen aufgrund größerer Buchstaben und Zeilenabständen während der vergangenen Jahre locker bis zu 30 Prozent an Textmengen verschwunden sind. Und er ist verbunden mit immer höheren Abogebühren für weniger Inhalt. Kein Wunder, dass viele LeserInnen Zeitungen den Rücken kehren und sich stattdessen lieber Gratis-Angebote gönnen.

Dazu erleben wir Korrespondenten eine Abnahme der Fachkompetenz in den Redaktionen. Ein Beispiel: Angesichts der Massenmorde an angeblichen Drogenhändlern und Kleinkriminellen auf den Philippinen, verübt von Polizei und Killerkommandos, angeordnet von Präsident Rodrigo Duterte, wünschte sich eine Tageszeitung eine Reportage über das Thema: Wie schützen deutsche Eltern ihre Kinder vor dem Blutbad in Manila? Der Einwand, die Massaker würden in Elendsviertel verübt, in denen Kinder ausländischer Eltern nie auftauchen, verhallte ungehört in der Heimatredaktion.

Alles gleichzeitig: Fotos, Videos und Text

Junge Nachwuchsjournalisten wiederum, die in diesen Jahren den Schritt ins Ausland wagen, sind häufig besser ausgebildet als alte Haudegen meiner Generation. Doch sie können ökonomisch nur überleben, wenn sie auf drei Klavieren gleichzeitig spielen. Sie müssen Videos drehen, Fotos machen und auch schreiben können. Es lässt sich trefflich darüber streiten, ob auf dieser Grundlage auch nur eine der drei Varianten gut gelingen kann.

Aber die plötzliche Beliebtheit von Podcasts, die auch lange Formate einschließt, zeigt, wie groß der Hunger nach solider Berichterstattung ist. Vielleicht gehört dieser, manchmal auch selbstverlegten Berichterstattung die Zukunft. RND habe ich mitgeteilt, sie könnten gegen ein Zeilenhonorar von 2,50 bis drei Euro gerne Reportagen bei mir bestellen. Ich erwarte keine Antwort.


Willi Germund, geboren 1954, berichtete aus Nicaragua (1980 bis 1990), Südafrika (1990 bis 1995) und Indien (1996 bis 2000). Seit 2001 lebt er in Bangkok, wo er als Buchautor und freier Südostasienkorrespondent für diverse Tageszeitungen und Radiostationen arbeitet. Darunter ist auch die "Stuttgarter Zeitung". <link https: www.kontextwochenzeitung.de ueberm-kesselrand bauchnabel-1392.html external-link-new-window>Zum Thema Auslandsberichterstattung hat er erstmals vor sieben Jahren in Kontext geschrieben.


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4 Kommentare verfügbar

  • Philippe Ressing
    am 28.10.2018
    Antworten
    Treffend beschrieben - aber wen kümmert's?
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