KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Allem Zauber wohnt ein Ende inne

Allem Zauber wohnt ein Ende inne
|

Datum:

Der Tübinger Verleger Hubert Klöpfer will die Reißleine ziehen. Es geht nicht mehr, sagt der 67-Jährige. Zu hart ist der Buchmarkt, zu groß die Belastung. Jetzt wollen seine AutorInnen helfen.

Natürlich hat er als junger Mann, wie viele andere, Billy-Regale zusammengeschraubt, aber müssen deshalb 190 Millionen Menschen heute den Ikea-Katalog lesen? Die Frage hat eine Tiefe, die der Verleger Hubert Klöpfer nicht ausleuchten mag, weil er sich sonst fragen müsste, was er eigentlich die ganze Zeit gemacht hat. Rund 500 Bücher fürs "Denken ohne Geländer" herausbringen, von Bausinger über Huby bis Zach, dafür sieben Tage in der Woche drangehängt, 27 Jahre lang. Reich ist er nie geworden, nur viel gelobt worden, zuletzt von Büchnerpreisträger Arnold Stadler, der K & M zu seinem "Lieblingsverlag" erklärte. K & M steht für Klöpfer und Meyer, wobei es diesen Meyer seit 1997 nicht mehr gibt.

Diese Huldigungen sind einerseits schön, weil Ruhm und Ehre (von der man nicht runterbeißen kann) gut tun, andererseits muss man aufpassen, dass das Hamsterrad nicht zum Dauerwohnsitz wird. Mit zunehmendem Alter wird das eine weniger wichtig als das andere, und dann stellt der ins Rentenalter Gekommene fest, dass es eigentlich dumm wäre, sich als Perpetuum mobile für "unaufhörbar" zu halten. Und weil er auch noch ein literarisch gebildeter Mensch ist, dreht er einfach den Gassenhauer von Hermann Hesse rum und sagt: "Allem Zauber wohnt ein Ende inne."

So ist er vor zwei Jahren hinausgefahren mit der Idee, jemanden zu finden, der seinen Laden übernimmt, einen größeren Verlag vielleicht oder einen "weißen Ritter", der à la Reemtsma ein paar Euro locker machen könnte. Doch wohin? Für Holtzbrinck und Bertelsmann, die Milliarden-Krokodile der Branche, liegt das Tübinger Betrieble (Umsatz 600 000 Euro) unter der Wahrnehmungsschwelle. Für Klett-Cotta in Stuttgart, Hanser in München und Schöffling in Frankfurt, mit denen Klöpfer am längsten verhandelt hat, war er entweder zu klein oder schon zu groß. Auch 15 andere winkten ab. Und die Anzeige, die er in der "Zeit", im "Freitag" und im "Börsenblatt" geschaltet hat, war so erfolglos wie wunderbar formuliert:

"LiebhaberIn gesucht, literaturnah, nicht ganz unvermögend. Literarischer Verleger (67) und sein süddeutscher Verlag (27), zweifach ausgezeichnet, mit seinen AutorInnen mehrfach auf der SWR-Bestenliste vertreten, in allen großen Feuilletons besprochen, auch schon für den Deutschen Buchpreis und die Hotlist der unabhängigen Verlage nominiert, sucht altershalber die engagierte Nachfolge. Inspiriert? Mutig? Voller guter Ideen? Dann nehmen Sie bitte vertraulich Verbindung auf ..."

Gemeldet hat sich niemand.

Kein Buch mehr im Regal, aber ein großer Fernseher

Objektiv betrachtet, verwundert das wenig. Der Buchmarkt krankt und schwankt, die LeserInnen werden immer weniger, in den letzten fünf Jahren um fast 20 Prozent, viele steigen aufs Digitale um, was nicht automatisch eBook heißt, sondern Netflix. Nichtlesen ist kein Stigma mehr, in den Regalen stehen kaum noch Bücher, wichtiger ist die Größe des Fernsehers. Wittwer verkauft sich an Thalia und Osiander kauft einen Buchladen nach dem anderen auf. Und eine Juli Zeh, die auf dem literarischen Transfermarkt für Hunderttausende gehandelt wird, kann ein Kleinverlag nicht ins Schaufenster stellen.

Subjektiv gesehen, ist die Liebhaberei sehr anstrengend. Empfindsame AutorInnen können auch nachts um drei anrufen, was einen Verleger trifft, der zugleich Lektor ist. Und Klöpfer ist so einer, dem die Pflege seiner Schäfchen wichtig ist. Es dürften um die 90 sein. Dem Familienfrieden ist das eher abträglich, es lässt einen abwesenden Vater zurück, dessen drei Töchter nie in seine Fußstapfen treten wollten. Eine ist Modedesignerin, eine im Tourismusmanagement und eine mit dem Rucksack in Indien unterwegs. Ihre Frage lautete einst: Papa, wohin verlegst du alle deine Bücher? Das hat dem Papa schwer zu denken gegeben.

In den letzten Jahren hat er für zwei gearbeitet, stets hart an der Kante des wirtschaftlich noch Sinnvollen. "Die Luft wird in jedem Jahr dünner", sagt er. Die Haare werden immer grauer. Daran hat auch der Reutlinger Verleger Valdo Lehari jr. wenig geändert, der 2007 als Mehrheitsgesellschafter eingestiegen ist. Gepasst hat das nie. Der Eigentümer des "Reutlinger Generalanzeigers" (GEA) hat nie kapiert, dass ein literarischer, weltoffener Buchverlag etwas anderes ist als das kleine Karo einer Lokalzeitung. Sechs Jahre später war er wieder weg, nicht zuletzt, weil ihm zwei Titel gar nicht gefallen haben: "Wir können alles – Filz, Korruption & Kumpanei im Musterländle" und "Die Taschenspieler – verraten und verkauft in Deutschland". Hubert Klöpfer hat sie gemacht, gegen große Widerstände, stets verbunden mit Prozessrisiken, aber mit dem Herzblut eines Buchherausbringers, der auch ein politisch mutiger war.

Ein Hilferuf geht an Ministerpräsident Kretschmann

Sein Plan ist jetzt folgender: Das Herbstprogramm steht und hat mit dem frechgriffligen Koch Vincent Klink ("Angerichtet, herzhaft und scharf") sowie Altmeister Felix Huby ("Spiegeljahre") zwei Berühmtheiten im Angebot, die ihre Fans finden müssten. Für die Freunde der Poesie gibt es wieder den Gedichtekalender, vom Chef selbst in bestechend eindringlicher Handschrift geschrieben. (Der Mensch veröffentlicht auch noch Lyrik in Hunderterauflage). Für die Sympathisanten der politischen Hardcore-Prosa gibt es von Andreas Förster das "Ende der Aufklärung – die offene Wunde NSU". Die Frankfurter Buchmesse fällt für ihn aus, aus Kostengründen, aber auch, weil er nicht zum hundertsten Mal erklären will, warum er die Reißleine zieht. Sollte sich eine freundliche Übernahme doch noch bewerkstelligen lassen, würde er noch gerne drei, vier Jahre weitermachen. Als guter Geist seiner AutorInnen.

Und die regen sich. Nicht als Verlag der Autoren. Wäre ja auch eine Idee. Nein, zunächst als Verfasser eines "Hilferufs an Kretschmann", wie der Tübinger Schriftsteller Kurt Oesterle sagt. Zusammen mit Irene Ferchl, Wolfgang Alber und Walle Sayer wünscht er sich des Ministerpräsidenten Unterstützung für einen Verlag, der sich große Verdienste um das Land erworben habe, indem er dessen Literatur "wie kein anderer gefördert" habe. Der Brief ging ab am 20. August und schon neun Tage später war die Antwort da. Das Verschwinden von Klöpfer & Meyer wäre ein "schwerer Verlust" für Baden-Württemberg, ließ Kretschmann wissen, das Wirtschaftsministerium werde sich kümmern. Das wird man verfolgen müssen.

Mit einem <link file:40552 _blank external-link>"Tübinger Memorandum" melden sich die Professoren Hermann Bausinger und Thomas Knubben, beide Klöpfer-Autoren, zu Wort. Darin formulieren sie Vorschläge zum Umgang mit der Verlagskrise und halten fest, dass ein Ende von Klöpfer & Meyer nicht das Ende der Literatur im Lande wäre. Sollte allerdings nichts gegen die strukturellen Probleme unternommen werden, wäre "das Ende selbst bald abzusehen". Das nimmt nun doch etwas von der Traurigkeit weg, die Hubert Klöpfer angefallen hat. "So viel Solidarität, so viel Zuspruch", das hat er nicht erwartet. Aber verdient.


Der Autor ist Herausgeber der Bücher "Wir können alles" (2008) und "Die Taschenspieler" (2010) sowie Mitherausgeber von "Kontext! Fünf Jahre couragierter Journalismus" (2016), die alle bei Klöpfer & Meyer erschienen sind.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


1 Kommentar verfügbar

  • J. Haag
    am 07.09.2018
    Antworten
    Wurde denn schon über ein Genossenschaftsmodell nachgedacht?
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!