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Zu große Nähe von Politik und Journalismus

Zu große Nähe von Politik und Journalismus
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Mit vermeintlichen Gewissheiten wird in Deutschland Politik gemacht, werden Kürzungen für Normalbürger als alternativlos verkauft. Im Interview mit Jens Wernicke für dessen gerade erschienenes Buch erklärt der Journalist Stephan Hebel, wie man sich gegen politische Propaganda wehren kann – und was Journalisten besser machen müssen.

Herr Hebel, Sie sind bekannter Journalist und Buchautor, wenn man so will also "Teil des Systems", und kritisieren dennoch den Medienbetrieb. Wieso?

Zunächst mal: Wer "Teil des Systems" ist, wie Sie das nennen, muss zwar einerseits aufpassen, die Fähigkeit zur Kritik an diesem System nicht zu verlieren, kann aber andererseits von sich behaupten, viele Details und Schattierungen aus näherer Anschauung besser zu kennen als Außenstehende. Pauschalurteile über "die Medien" fallen dann nicht ganz so leicht, wie sie manchem Kritiker wohl über die Lippen gehen. Was allerdings nicht heißt, dass ich mich den Kolleginnen und Kollegen anschließen würde, die die etablierten Medien ebenso pauschal gegen jede Kritik verteidigen zu müssen glauben.

Was stört Sie genau?

Die Nähe zwischen dem politischen Journalismus und dem Politikbetrieb – der ja nicht unser Partner sein sollte, sondern Gegenstand unserer kritischen Berichterstattung – erscheint mir trotz rühmlicher Ausnahmen viel zu groß. Und im Wirtschaftsjournalismus sieht es nicht viel besser aus. Das hat sicher strukturelle Gründe, aber ganz schuldlos sind wir Journalisten daran auch nicht.

Was bedeutet das im Detail?

Es fehlt an kritischer Distanz. Nicht überall, nicht bei allen Kolleginnen und Kollegen – ich kenne etwa viele in den "etablierten Medien", die um Räume für kritische Berichterstattung kämpfen! –, nicht auf allen Seiten und Sendeplätzen, aber doch an vielen entscheidenden Stellen. Und diese fehlende Distanz führt dazu, dass ein verengtes Spektrum an Perspektiven und Meinungen entsteht. Auffassungen, die im Politikbetrieb oder im Mainstream der Wirtschaftswissenschaft marginalisiert sind, kommen auch in der Berichterstattung viel zu selten zum Tragen. So versagen die Medien viel zu oft an der Aufgabe, eines der Lebenselixiere der Demokratie zu fördern: das Denken in Alternativen. Und ich behaupte: So stark die Zwänge sein mögen, die aus Konkurrenzdruck, Verlegerinteressen oder "öffentlich-rechtlicher" Einflussnahme aus der Politik auch sein mögen – die Spielräume, die es gibt und um die es zu kämpfen gilt, werden meines Erachtens viel zu selten genutzt. Vom Versuch, sie zu erweitern, ganz zu schweigen.

Sprechen wir von einer "Verschwörung" der Journalisten wider die Bevölkerung, von strukturellen Problemen, von einem Zuwachs an Opportunismus?

Es gibt keine Verschwörung, es gibt Strukturen, Machtverhältnisse und eben oft auch einen Mangel an Haltung. Was bei vielen hinzukommt, ist eine, wie ich glaube, unreflektierte Anpassung an das verengte Denkspektrum des Mainstreams. Ein fehlender oder gelegentlich auch hämischer Blick auf das, was außerhalb dieses Spektrums in der Gesellschaft gedacht, gesagt und gelebt wird. Vor allem stecken dahinter aber meines Erachtens strukturelle Gründe: Privatwirtschaftlich organisierte Medien sind kapitalistische Unternehmen und stehen damit in einem stetigen Konkurrenzkampf, erst recht im Zeitalter der Digitalisierung. Das erhöht den Druck, nicht nur zu vereinfachen, sondern vor allem Massentauglichkeit zu erzeugen, indem bestimmte Denkschemata, die als mehrheitsfähig gelten, immer wieder reproduziert und neu bestätigt werden. Und die Öffentlich-Rechtlichen, ohnehin getrieben vom Proporzdenken im Spektrum der etablierten Parteien, meinen, diese Art Konkurrenzkampf mitbetreiben zu müssen.

Wir sprechen also von Medien, die sich lieber ihren Anzeigenkunden andienen, statt guten Journalismus zu betreiben?

Dass "Medien" sich "lieber Anzeigenkunden andienen", ist richtig, wenn wir unter Medien die Unternehmer verstehen, die sie herausgeben und damit Profit erzielen wollen beziehungsweise müssen. Da ist das Interesse an Anzeigen "naturgegeben" größer als die Qualität des Journalismus – zumal Verlegerpersönlichkeiten mit Überzeugungen, mit kritischen gar, eine aussterbende, wenn nicht bereits ausgestorbene Spezies sind. Erstaunlich finde ich aber, dass auch die meisten Journalistinnen und Journalisten diese Strukturen gegen jede Diskussion über andere Eigentumsverhältnisse – Stichwort: Medien gehören in die Hand der Gesellschaft – verteidigen.

Was ist dafür verantwortlich, dass wir – so der Titel eines Ihrer letzten Bücher – von so vielen "Gute-Macht-Geschichten" medial eingelullt und also mit politischer Propaganda regelrecht überflutet werden?

Journalistinnen und Journalisten lassen sich meist nicht böswillig, aber allzu willig und vielleicht im Glauben, "ideologiefrei" zu handeln, zum Transmissionsriemen bestimmter Ideologien machen. Sie erfinden die "Gute-Macht-Geschichten" nicht, aber sie erzählen sie weiter. Die Erfinder sitzen woanders: in Wirtschaftsverbänden, in den Grundsatz- und PR-Abteilungen von Parteien, auf vielen Lehrstühlen für Volkswirtschaft, bei Stiftungen wie Bertelsmann oder in mehr oder weniger verdeckten Propaganda-Abteilungen wie etwa dem "Institut der Deutschen Wirtschaft" oder der von den Metall-Arbeitgebern finanzierten "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" (INSM). Denjenigen, die schon aus materiellen Gründen nicht über ähnliche Instrumente verfügen, eine Stimme zu geben – das wäre mal eine Aufgabe für unabhängigen Journalismus!

Was genau ist Propaganda für Sie?

Es ist das, was die Spin-Doktoren unter dem Stichwort "Agenda Setting" beschreiben. Die Besetzung der eigenen Ideologie mit allgemein als positiv wahrgenommenen Begriffen. Und das hat sehr viel mit der Frage zu tun, wie viel Geld ich habe, um den "Meinungsmarkt" – noch so ein furchtbarer Begriff – zu beeinflussen.

Haben Sie hierfür vielleicht konkrete Beispiele?

Sehen Sie sich die Plakataktionen oder die Homepage der INSM einmal an! Ich habe da zum Beispiel, ausgerechnet in einer Handreichung für Lehrer, einen Text gefunden, in dem es in vermeintlich sachlichem Ton heißt: "In der aktuellen Reformdebatte wird vor allem darüber diskutiert, in welchem Ausmaß die Bürger wieder mehr Eigenverantwortung übernehmen können und sollen. Die Forderung nach mehr Eigenverantwortung resultiert insbesondere daraus, dass der Staat sich zu weit ausgedehnt und den Menschen zu viel Verantwortung abgenommen hat. Dadurch ist der Wille der Bürger zunehmend erlahmt, selbst Verantwortung zu übernehmen." Auf Deutsch: Sozialstaat gleich "zu weit ausgedehnter Staat" gleich erlahmter Bürger. Oder nehmen Sie die "schwäbische Hausfrau", auf die sich Angela Merkel beruft: So ein Begriff ist doch nichts anderes als eine versuchte Verblödung der Menschen, als sei der Staat das Gleiche wie ein Privathaushalt, der mit dem feststehenden Einkommen eben auskommen müsse. Als könnte der Staat nicht – auf demokratische Weise – selbst seine Einnahmen "steuern", nämlich über Steuern!

Wie können die Mediennutzer derlei "Propaganda" erkennen?

Zunächst müssten Journalisten sie offenlegen. Da das leider zu selten geschieht, denke ich: Es bleibt nichts anderes übrig, als die Gegenprobe zu versuchen. Da ist das Internet eine große Hilfe. Wer aufmerksam ist und nicht alles glaubt, wird immer eine kritische Auseinandersetzung mit bestimmten Begriffen und Denkschablonen finden. Dieses gesunde Misstrauen empfehle ich übrigens auch bei solchen Medien, die einem prinzipiell sympathisch sind. Denn auch Kritiker der herrschenden Propaganda haben ihre Denkroutinen, die es zu hinterfragen lohnt.

Würden Sie sagen, die Medien "lügen", wo sie solche manipulative Propaganda unwidersprochen weitertragen?

Ich wehre mich gegen pauschale Zuschreibungen wie "die Medien lügen". Erst einmal: Wenn sie eine andere Auffassung vertreten als ich, und sei es die der Mächtigen, dann kann das auch einer – aus meiner Sicht irrigen – Überzeugung entspringen. Medienkritiker neigen gelegentlich dazu, schon andere Meinungen als die eigene als "Lüge" zu bezeichnen, und das verstellt meines Erachtens den kritischen Blick, statt ihn zu schärfen. Dann, noch einmal: Es gibt immer noch viel zu viel guten und kritischen Journalismus, auch in den etablierten Medien, als dass man so pauschal urteilen könnte. Und schließlich: Ja, es gibt auch Lügen in den Medien. Wer sie anprangert, sollte sie im konkreten Fall benennen. Das wäre schon deshalb besser als ein Pauschalurteil, weil die betreffenden Journalisten sich dann rechtfertigen müssten. Wer "Lügenpresse" schreit, macht es uns Journalisten also genau genommen viel zu leicht. Nur ein Beispiel: Russland. Ich schließe mich dem Vorwurf an, dass viele etablierte Medien den Beitrag der NATO zur Eskalation, die dann im Ukraine-Konflikt ihren Ausdruck fand, sträflich vernachlässigt haben. Und insofern weigere ich mich, in die Pauschalkritik an alternativen Medien einzustimmen, die eine andere Perspektive einnehmen. Ich finde es allerdings besorgniserregend, wie leichtfertig manche Kritiker in die Falle laufen, dieses Versagen der Etablierten sozusagen zu spiegeln und die russische Politik ebenso pauschal und undifferenziert zu verteidigen.

Was täte in dieser Situation denn not? Was müsste getan werden, um unsere Medien wieder zu Medien der Aufklärung zu machen?

Erstens: Dass wir, die Medien, in der Kritik stehen, finde ich gut. Das zwingt im besten Fall zur Selbstreflexion, und ohne die wird der Journalismus in seinen herkömmlichen Formen – die ich keineswegs für überholt halte – untergehen. Ich bin aber zweitens überzeugt, dass wir über die Strukturen in unserer Medienlandschaft neu nachdenken müssen. Um von den Zeitungen zu reden: Der natürliche Widerspruch zwischen privater Eigentümerschaft und Aufklärungsanspruch auch gegen ökonomische Interessen ist nachhaltig nur zu überwinden, wenn wir Formen finden, die Medien in die Hände der Gesellschaft zu geben. Das können genossenschaftliche Modelle sein oder auch Crowdfunding und Formen der öffentlich-rechtlichen Organisation, bei denen die Kontrolle allerdings demokratischer gestaltet sein müsste als heute bei ARD und ZDF. Notwendig wäre überdies, die Finanzierung der "Vierten Gewalt" so abzusichern, dass Entwicklungen wie Arbeitsverdichtung, Hektik, exzessive Konkurrenz, immer weiter schwindende Zeit für Recherchen und Diskussionen überwunden werden könnten, denn all das trägt ja, wie gesagt, zur weitgehenden Verengung des Spektrums auf den "Mainstream" bei.

 

Stephan Hebel, langjähriger Redakteur der "Frankfurter Rundschau" und politischer Autor, ist seit fast drei Jahrzehnten Leitartikler und Kommentator. Er schreibt unter anderem für Deutschlandradio, "Freitag", "Publik Forum" und weitere Medien. Er ist zudem regelmäßiger Gast im "Presseclub" der ARD und ständiges Mitglied in der Jury für das "Unwort des Jahres". 2016 veröffentlichte er zusammen mit Daniel Baumann das Buch "Gute-Macht-Geschichten", 2017 erschien von ihm "Mutter Blamage und die Brandstifter".

Info:

Das Interview ist ein gekürzter Auszug aus Jens Wernickes aktuellem Buch <link https: www.westendverlag.de buch luegen-die-medien external-link-new-window>"Lügen die Medien? Propaganda, Rudeljournalismus und der Kampf um die öffentliche Meinung". 368 Seiten, Euro 18,00, Verlag Westend.


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3 Kommentare verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 12.09.2017
    Antworten
    Wie Recht er doch hat, Stephan Hebel: Es gibt keine [i]Verschwörung[/i], es gab noch _niemals_ eine [i]Verschwörung[/i], und es wird auch _niemals_ eine [i]Verschwörung[/i] geben!!
    Nee, wirklich?
    Gleich noch einen drauf gesetzt: Es gibt keine [i]Korruption[/i], es gab noch _niemals_…
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