Eine Frau fährt mit ihrem Auto auf einen Parkplatz. Was sie dort genau macht, ist unklar. In einer großen Zeitung steht später, der Parkplatz sei "im Internet bekannt als Sex-Treffpunkt", hinter den getönten Scheiben des Wagens sei es "heiß her" gegangen. Bis der Ehemann der Frau auftauchte. Und die Polizei.
Die Zeitung, die den privaten Ausflug der Frau öffentlich machte, heißt "Bild am Sonntag", und sie meint, es gebe dafür Grund genug. Denn die Frau ist Bürgermeisterin einer Kleinstadt in Baden-Württemberg, und das Auto, mit dem sie privat auf einen Parkplatz gefahren sein soll, der 90 Kilometer von ihrem Heimatort entfernt liegt, ist ihr Dienstwagen. Damit ist für "Bild am Sonntag" ein öffentliches Interesse offenbar gegeben. Und ein vermeintlich legitimer Anlass, die Sache lüstern auf fast einer ganzen Seite auszubreiten.
Doch so einfach ist es nicht. Als die Geschichte in der Welt war, teilte die Stadt mit, dass die Bürgermeisterin ihren Dienstwagen auch privat nutzen dürfe. So ist es offiziell geregelt. Sie könnte damit also überall hinfahren, in den Urlaub an die See, zur Apotheke, sie darf mit und in dem Auto machen, was sie möchte. Womit das latente Hauptargument für die Enthüllung, der Missbrauch des mit Steuergeld finanzierten Dienstwagens, hinfällig ist.
Die Angelegenheit machte schnell die Runde. Der Münchner "Merkur", zum Beispiel, machte aus dem angeblichen Sex im Dienstwagen natürlich gleich mal "wilden Sex", und RTL lieferte die Bilder zum Kopfkino: In einer "nachgestellten Szene" zeigt der Sender, leicht verfremdet, einen Mann, der auf ein Auto starrt, in dem eine Frau auf einem anderen Mann sitzt. RTL hat auch eine Reporterin in die Stadt geschickt, damit sie dort Privathäuser filmt und Menschen befragt, was sie denn bitte von diesem Schmuddel-Skandal halten.
Moral predigen, aber voyeuristisch berichten
Exakt einen O-Ton hat RTL dann gesendet: "Ich denke", sagt eine Bürgerin, "dass da die meisten nicht mit einverstanden sind, dass man private Sachen so verbreitet." Das scheint zu stimmen: In einem Video des "Schwarzwälder Boten" sind tatsächlich die meisten der Meinung, man solle die Frau und ihr Privatleben in Ruhe lassen. Das schreiben auch viele Leser auf Facebook, in die Kommentare auf der Seite des "Schwarzwälder Boten". Was den und andere Medien aber nicht davon abhält, weiter über die Privatsache zu berichten. Der "Schwarzwälder Bote" erweist dabei den größten Hang zur Bigotterie. Der "Schwabo" gehört übrigens Richard Rebmann, dem Geschäftsführer der Südwestdeutschen Medienholding SWMH (<link https: www.kontextwochenzeitung.de medien die-krake-als-grafik-4276.html _blank external-link>Kontext berichtete).
Acht Artikel sind dort zu der Sache bisher erschienen. Der erste trägt den Titel "Bürgermeisterin wieder in den Schlagzeilen"; auf Facebook hat ihn der "Schwarzwäler Bote" mit dem Hashtag "#Ehekrise" verbreitet, und im Text ist von einer "anrüchigen Story" die Rede, von einem ersten "privaten Zwist" vor einiger Zeit, und dass es nun, auf diesem Parkplatz, "erneut zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen den Eheleuten" gekommen sei. So eine private Ehekrise ist beim "Schwarzwälder Boten" ein heißes öffentliches Thema.
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Charlotte Rath
am 24.05.2017