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Was mit Medien

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Seit 25 Jahren gibt es die Filmakademie in Ludwigsburg. Sie ist der ganze Stolz der Stadt. Ihre Gründung war das wichtigste Kulturevent seit dem Bau des Barockschlosses im 18. Jahrhundert. Ein Glückwunsch.

Eine eigens komponierte Symphonie, ein Festakt mit überschwänglichem Lob vom Landesvater Kretschmann, eine Festschrift, gespickt mit Anzeigen von Weltfirmen der Branche – rekordverdächtige Festivitäten zum Jubiläum der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg.

Zu den zehn besten Filmhochschulen der Welt soll sie gehören, keine andere deutsche Film-Ausbildungsstätte hat das je geschafft. Und deren gibt es zahlreiche. Nicht nur die großen und bekannten in Berlin, München und Köln, sondern auch die zahlreichen Film-Studiengänge an Universitäten, Kunst- und Fachhochschulen; nicht zu vergessen das breit gestreute private Angebot. Alle wollen am magischen Berufswunsch "was mit Medien" mitverdienen. In keinem Land der Welt – weder in China oder Indien noch auf dem Boden der Film-Weltmacht USA – gibt es so viele Filmhochschulen wie in Deutschland.

Kein Wunder, dass Albrecht Ade, der Akademiegründer, zunächst auf große Skepsis traf, mit seiner Idee, eine Filmakademie im filmfernen Baden-Württemberg zu gründen.Beim Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel blitzte Ade gleich mal ab: "Des brauchet mir net!", soll die schnörkellose Antwort des Stadtoberhaupts gelautet haben. In Ludwigsburg, dem schwäbischen Potsdam, hatte Ade dann mehr Glück. Niedergehende Industriezweige und leer gewordene Kasernen mögen die Risikofreude der Ludwigsburger Stadtoberen gesteigert haben.

Nicht nur in Stuttgart, auch in der Filmszene des eben wiedervereinigten Deutschland wurde die Idee eher belächelt. Albrecht Ade, Typograf von Beruf, Dozent für Trickfilm an der Kunstakademie in Stuttgart, Erfinder des hiesigen Trickfilm-Festivals, hat zunächst an eine Filmschule mit Schwerpunkt Animation, wie man den Trickfilm international nennt, gedacht und an Werbefilme für das wirtschaftsstarke Industrieland. Doch schon bald standen alle Sparten des Films und dann auch des Fernsehens auf den Ludwigsburger Lehrplänen.

Filmtheorie und Filmgeschichte schenkt man sich

Diese immense Vielfalt wurde ein Markenzeichen der Neugründung. Radikale Praxisorientierung ein zweites. Kaum etabliert sich ein neues Genre im Fernsehen, ist auch schon das dazu passende Lehrangebot in Ludwigsburg eingerichtet. Drittens, aber eher unausgesprochen, soll die Ausbildung "ideologiefrei" sein; hier will niemand die Welt verbessern, wie (einst) an der Berliner Filmhochschule. Hier wird auch nicht der Film als Kunstgattung beschworen, wie an der Kunsthochschule der Medien in Köln. Hier geht es um Handwerk auf hohem Niveau, Filmtheorie und Filmgeschichte schenkt man sich weitgehend; brotloses Zeug, das die Studierenden nur vom Machen abhält.

Kritiker spotten, die Filmakademie sei nur eine Art Produktionsfirma, als Hochschule getarnt. Und sicher rümpft manch einer unter den deutschen Filmwissenschaftlern die Nase über das eher unintellektuelle Lehrangebot. Doch der Erfolg bei Festivals, besonders beim begehrten Studenten-Oscar in den USA, scheint den Ludwigsburgern recht zu geben; in der Filmhochschul-Szene ist eine auffällige Hinwendung zum Erfolgsmodell der Filmakademie Baden-Württemberg nicht zu übersehen.

Dieses Modell wurde vor allem von den Personen an der Spitze geprägt: Dem Filmhandwerker Ade folgte der Filmkaufmann Arthur Hofer, ein promovierter Betriebswirt, ein Kind der Schwäbischen Alb. Aus seiner rauen Heimat hat er wohl etwas schroffe Umgangsformen mitgebracht, die seiner Umgebung und auch den Aufsichtsgremien zu schaffen machten; 2005 musste Hofer, trotz vieler guter Ideen, aufgeben.

Der Unterschied zum dritten Direktor, Thomas Schadt, könnte größer nicht sein. Auch er kommt aus dem Handwerk, hat Fotografie gelernt, dann an der Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) studiert. Es folgten frühe Erfolge als Fernsehdokumentarist beim damaligen Südwestfunk. Der ziemlich eloquente und vor allem mega-vorzeigbare Schadt hat nicht nur bei den Damen des Staatsministeriums einen durchaus erotisch gefärbten Idolcharakter erreicht, auch mit seinen obersten Aufsehern – Ministern und Staatssekretären – gelang es ihm rasch, auf Kumpel-Basis zu verkehren: So folgte dem "lieben Christoph" der "liebe Dietrich" (Christoph Palmer und Dietrich Birk, beide CDU), dann kam der "liebe Jürgen" (Jürgen Walter, Grüne), und auch dessen Nachfolgerin darf vermutlich als "liebe Petra" (Petra Olschowski, parteilos) den "lieben Thomas" im Auftrag des steuerzahlenden Landesvolks kontrollieren. Dem früheren Staatsminister Wolfgang Reinhart (CDU), heute Fraktionsvorsitzender, verschaffte er einen Auftritt mit Star-Entertainer Harald Schmidt. Das wird ihm der Anwalt aus dem komplett glamourfreien Tauberbischofsheim wohl ein Leben lang nicht vergessen.

Geld ist stets reichlich geflossen

Als Lehrbeauftragte wirken meist gut vernetzte Senderhierarchen oder Leitungsfiguren renommierter Unternehmen an der Filmakademie. Das kommt natürlich auch den Studierenden zugute, in Form von Praktikums- und Arbeitsplätzen. Viele der lehrenden Filmpraktiker dürfen sich dann sogar "Professor" nennen, auch solche ohne Abitur und Studium; ein Titel, der durch inflationäre Vergabe inzwischen einen leicht abgeschmackten Eindruck hinterlässt; die allermeisten lassen sich davon freilich nicht abschrecken. Der in dieser Form einmalige Campus in Ludwigsburg mit Hörsälen, Werkstätten, Studios und der benachbarten Akademie für darstellende Kunst beeindruckt Besucher aus aller Welt.

Geld ist stets reichlich geflossen, besonders in der Ära Schadt hat sich das Land nicht lumpen lassen. Für das Filmland Baden-Württemberg war, ist und bleibt die Hochschule in Ludwigsburg die wichtigste Institution. Ob sie dem Medienstandort Baden-Württemberg nachhaltig genützt hat, darüber kann man streiten. Ein Großteil der Absolventen verschwindet nach der Ausbildung. Für die meisten Studierenden bleibt die schwäbische Provinzstadt nur eine kurze Episode. Ein Lernort ohne große Ablenkungen.

Richtig berühmte Alumni hat die Filmakademie nicht zu bieten. Eine ganze Reihe erfolgreicher Abgänger aber schon – alles Männer. Bestenfalls ein Drittel der AbgängerInnen hat einigermaßen gut bezahlte Jobs in der Entertainment-Industrie gefunden, die das Alltags-Sendefutter für die zahlreichen privaten und/oder öffentlich-rechtlichen Fernsehstationen herstellen: Serien, Dokusoaps, Dailys, Scripted Reality und andere Leckerbissen fürs Auge. Die zweite, wohl noch größere Gruppe beteiligt sich an den zahlreichen ambitionierten, aber meist wenig erfolgreichen Projekten, die hierzulande Jahr für Jahr mit viel Engagement und überwiegend aus Steuermitteln produziert werden. Oder hält sich gar eher schlecht als recht im armen, im Selbstausbeutungssektor der Filmwelt über Wasser, Gagen für die Mitarbeit bei solchen Low- bis No-Budget Projekten werden "auf Rückstellung" vereinbart, Geld gibt es also nur, wenn der Film genügend einbringt – das tut er aber fast nie.

Einziger Lohn bleibt die Nennung im Abspann, deshalb werden die Schlusstitel selbst bei Kurzfilmen inzwischen so lang wie früher bei einem Hollywood-Schinken. Da zeigt sich halt die Kehrseite des "Was mit Medien"-Booms: mehr als 1700 fertige Filmleute haben allein die Ludwigsburger Akademie verlassen, Tausende sind es in ganz Deutschland. Dabei schrumpft die Kernbranche Spielfilm schon länger. Die 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts gelten – wie in anderen Medien auch – als die letzte große, goldene Zeit. So ist der eindrucksvolle Studiokomplex der Filmakademie auch zu einer Art Hollywood der Erben geworden, der eher wenigen echten Erben, die nicht für Geld arbeiten müssen, und der vielen Erben der Wohlstandsgesellschaft, denen Geld wenig, sich selbst zu verwirklichen aber viel bedeutet.

Inzwischen hat auch in der Filmwelt das digitale Nirwana Einzug gehalten: Smartphone-Display statt großer Leinwand, Visits statt echter Zuschauer, Likes statt rauschendem Beifall. Ganz verschwinden wird der klassische Film so schnell freilich nicht, die Oper gibt es schließlich auch immer noch. Und an der Hochschule im schwäbischen Potsdam hat man sich, flexibel wie stets, natürlich schon auf die neuen Zeiten eingestellt. So brauchen wir uns um die Zukunft der Filmakademie, des Leuchtturms von Ludwigsburg, keine Sorgen zu machen.

Wilhelm Reschl ist Filmemacher, war lange Jahre Fernsehredakteur, Leiter beim "Haus des Dokumentarfilms" in Stuttgart und ist ein ausgewiesener Kenner der Film- und Fernsehszene im Land. Seit 2015 ist er Vorsitzender des "Kontext:Vereins für ganzheitlichen Journalismus".


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