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Die Zunft der Dokumentarfilmer, Sammelbecken von Individualisten, kann auch kollegial: Mit der AG Dok übt sie gewerkschaftliche Interessenvertretung. Wolfgang Landgraeber ist Gründungsmitglied – und bleibt trotzdem ein Außenseiter.

Auf der Berlinale werden in diesen Tagen nicht nur Filme und Filmstars vorgeführt, Geschäfte verabredet und Partys gefeiert – es wird auch Filmpolitik betrieben. Fast alle deutschen Filmorganisationen veranstalten ihre Treffen während der Berlinale. Auch die AG Dok, die Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm, die die Interessen der deutschen Dokumentarfilmer vertritt; zahlenmäßig der größte deutsche Filmverband. Einer der Mitglieder ist auch Wolfgang Landgraeber, der war schon 1980 bei der Gründungsversammlung dabei und gehört heute zum Vorstand des Regionalverbandes Bayern.

Landgraeber ist ein Außenseiter unter den Dokumentarfilmern. Fast sein ganzes Arbeitsleben hat er als festangestellter Fernsehjournalist beim WDR verbracht: Er hat als investigativer Reporter für das Politmagazin "Monitor" gearbeitet, einige Jahre auch bei "Panorama". Später war er Redakteur, dann Abteilungsleiter für dokumentarische Formate und als Kommentator in den "Tagesthemen" zu sehen. Für die meisten Dokumentarfilmer war er einer von der anderen Seite, ein Fernsehfuzzi, einer, der Aufträge zu vergeben hat, einer, der den Daumen heben oder senken konnte – und damit über Bestand oder Untergang mancher kleinen Filmfirma entschieden hat.

Während dieser Zeit ruhte seine Mitgliedschaft bei der AG Dok, weil er ja gewissermaßen im "Arbeitgeberlager" stand. Obwohl Wolfgang Landgraeber auch in seinen Dienstjahren als festangestellter Redakteur des WDR gelegentlich eigene Dokumentarfilme gemacht hat – mit seiner eigenen Firma.

Für seine Filme und seine Arbeit als Redakteur hat er zahlreiche Preise bekommen. Sogar beim Friedensfilm-Festival in Moskau. Mit seinen Filmen hat er die Stadt Oberndorf am Neckar, die seit gut 200 Jahren als die deutsche Waffenstadt gilt, noch ein Stück bekannter gemacht. Hunderttausende Gewehre und Pistolen aller Art gingen und gehen von hier aus in alle Welt. "Fern vom Krieg" hieß Landgraebers erster Oberndorf-Film 1984. Er wurde in vier verschiedenen Versionen im Fernsehen und im Kino gezeigt. Ein Jahr später beschäftigte er sich in "Vergeben, aber nicht vergessen" mit dem Schicksal der zahlreichen Zwangsarbeiter der Gewehrfabrik.

Im Herbst 2012 ist Wolfgang Landgraeber beim WDR ausgeschieden. Heute lebt er von gelegentlich Neid erregenden Bezügen. Dass jemand trotzdem noch Filme macht, gar für seinen alten Arbeitgeber, ist Kollegen – zumal den jüngeren – nur schwer vermittelbar. Dem entgegnet Landgraeber mit der einfachen Rechnung, daß die wenigen Penionärs-Filmer im Dokumentarfimgeschäft gar nicht ins Gewicht fallen und rein quantitativ schlicht zu vernachlässigen sind. Ohnehin ist es schwierig, kreative Arbeit altersmässig zu beschränken; Goethe hat schließlich auch nicht mit 65 Jahren zu dichten aufgehört, und Martin Walser bringt mit 88 Lenzen noch einen neuen Roman nach dem anderen heraus. Doch jedes Jahr drängen, vorsichtig geschätzt, mehr als hundert neue DokumentarfilmerInnen auf den ohnehin ziemlich überfüllten Markt. Da wird der Appell an die Alten immer dringender, doch Platz zu machen. Eher scherzhaft wurde bereits über eine Art "Stilllegungsprämie" für Dokumentarfilmer nachgedacht. Wobei, intelligent ausgestaltet, als Altersversorgung für altgediente Kämpen des Dokumentarischen, könnte das sogar Sinn machen. Das Filmemachen kann man natürlich niemandem abhandeln; den Zugang zu Fördertöpfen und Sendeplätzen aber schon.

Das Fernsehen ist verhasst, aber unentbehrlich

Heute lebt die weit überwiegende Zahl der DokumentarfilmerInnen von kümmerlichen Honoraren, fest angestellten Ehepartnern, auch vom elterlichen Erbe. Viele halten sich mit Lehraufträgen über Wasser, die Promis unter ihnen ergattern Professuren an den zahlreichen Hochschulen, die das Filmemachen lehren. Wolfgang Landgraeber kennt die Nöte seiner Kollegen: "Die können ihre Filme nur noch als Flickenteppich finanzieren." Enorm viel Arbeitskraft und Zeit geht drauf, bis man endlich bei zehn, fünfzehn Vertragspartnern das Geld für ein Projekt zusammen hat. Für fast noch schlimmer hält er die "deprimierende Erfahrung, keinen Verleiher zu finden" für den fertigen Film. Denn nur wenige Dokumentationen laufen gut im Kino, die meisten kommen über ein paar Tausend Zuschauer nicht hinaus. Viele werden gar nicht als reguläres Programm gezeigt, sondern nur in größeren Städten oder bestenfalls auf Festivals.

Bleibt das Fernsehen, meist gehasst, doch nahezu unentbehrlich. Dabei kommen Aufträge praktisch nur von den öffentlich-rechtlichen Sendern, die kommerziellen Anbieter pfeifen auf den Dokumentarfilm, zu sperrig, nicht zuschauerfreundlich. Bei der ARD hat man gelegentlich auch in den oberen Etagen über einen attraktiven Sendeplatz im Hauptabendprogramm nachgedacht, das Vorhaben aber nie realisiert, "zu wenig erfolgsträchtig" wird als Grund genannt.

Seit Jahrzehnten versucht die AG Dok als eine Art Gewerkschaft der Filmproduzenten, die Lage ihrer etwa 800 Mitglieder zu verbessern. Bei dem Verbandstreffen auf der Berlinale am vergangenen Samstag haben die Regionalverbände ein gewichtiges Wort mitzureden. Erst seit Kurzem gibt es auch die Regionalgruppe Südwest, geleitet von zwei Regisseurinnen aus Freiburg und Stuttgart. Immerhin: 77 Dokumentarfilme und dokumentarische Formate sind bei der Berlinale 2016 zu sehen.

Wolfgang Landgraebers Oberndorf-Film wird in den nächsten Wochen fertiggestellt. "Von Waffen leben" wird er wohl heißen, wenn er ab Anfang Mai gezeigt wird. Sicher im Fernsehen, denn der WDR ist Koproduzent, wahrscheinlich auch im Kino. Es ist ein Film über Menschen in Oberndorf geworden, über die Friedensaktivisten Ulrich Pfaff und Jürgen Grässlin, über Gewerkschafter für und gegen den Bau der Schießgeräte, die offiziell so harmlos "Kleinwaffen" genannt werden. Gerne hätte er auch einen der Konzernlenker von Heckler & Koch in seinem Film gehabt, aber mehrere Anfragen blieben ohne Ergebnis.

Ob er danach noch weitere Filme realisieren will, weiß er noch nicht. Der Druck auf die Redaktionen, die raren Aufträge nicht an wohlversorgte Exkollegen zu vergeben, werde größer, sagt er.


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