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O heiliger Sankt Florian

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Der Kontext-Bericht über Windkraftverschwörer entfachte einen Sturm der Entrüstung. Die Wut der Windstromgegner speist sich vor allem aus egoistischen Motiven, sagen Soziologen. Etwa aus der Angst vorm Wertverlust des Eigenheims. Der heilige Sankt Florian lässt grüßen.

Das hatte Shitstorm-Qualität: Hochpeinlich, keine Ahnung, Klappe halten und mehr – nicht alles, was auf "Hansi Müller und die Windkraftverschwörer" aus Kontext 245 im Kommentar-Postfach landete, kann noch als Belehrung durchgehen. Manches ist schlichtweg beleidigend. Doch nicht alle Leser, die sich online zu Wort meldeten, korrigierten den Autor oder verschmähten den Text. Im wutschnaubenden Konvolut sahen sie gerade das bestätigt, was der Beitrag beschreibt.

"Mein Dank an die Redaktion, die diese Kommentare zulässt und so eine gute Übersicht über die geistige Verfassung einiger Windkraftgegner bietet. Wie kommt es, dass so viele von ihnen nicht merken, dass sie sich von Gefühlen statt von Sachargumenten antreiben lassen?", schreibt ein Leser.

"Hat denn diesen Artikel auch jemand gelesen? Das Thema ist einzig die irrationale und vielfach auch militante Reaktion von Windkraftgegnern", fragt ein anderer. "Die Reaktionen, welche dieser Artikel, scheinbar ungelesen, auslöst, sind ja die direkte Fortsetzung der im Artikel aufgeführten Entgleisungen. Was dann als Gegenargumente auf hier ja nur vermutete Argumente vorgebracht wird, hinterlässt Kopfschütteln und Ratlosigkeit über unsere scheinbar aufgeklärte Gesellschaft", resümiert er.

Wer beleidigt und beschimpft hat Profil

Beide Kommentatoren treffen den Nagel auf dem Kopf. Denn Beleidigen und Beschimpfen gehört zum Profilierungsmuster von Protestierenden, so die Erkenntnis von Soziologen. "Durch die Diskreditierungsstrategie versuchen Protestierende, die Sprecher der Gegenseite zu kompromittieren, um ihre Glaubwürdigkeit zu schwächen", beschreibt Julia Zilles, wie sich windkraftkritische Wutbürger üblicherweise Gehör verschaffen. Zilles arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Göttinger Institut für Demokratieforschung im Forschungsprojekt "Bürgerproteste in Zeiten der Energiewende".

Zusammen mit dem Heidelberger Politikwissenschaftler Wolf J. Schünemann hat Zilles fünf Muster identifiziert, um "als Gegner stattzufinden". Ein weiteres ist die "Plan-B-Strategie". Mit ihr sollen Protestierende nicht als reine Neinsager und Verhinderer wahrgenommen werden, sondern als konstruktiv mitwirkende Akteure. Für Stromtrassengegner sei etwa die dezentrale Energiegewinnung durch Wind- und Solarkraft vor Ort oder aber Erdverkabelung eine machbare Alternative. Auch die meisten Windkraftgegner stellten die Energiewende nicht grundsätzlich in Frage. Ihr Widerstand wende sich mangels Alternativen eher gegen Ausmaß oder "bestimmte konfliktträchtige Standorte". 

Typischerweise nutzen Protestierer auch die "Populistische Anti-Establishment-Strategie". Nach dem Motto "Wir sind keine Politiker!" betonten sie ihre Distanz zum Politikbetrieb und präsentieren sich damit als die eigentlichen und vor allem unabhängigen Experten. Durch faktenreiche Argumentation vermittelten sie den Eindruck, dass sie das Problem in seiner Gänze durchschaut und erfasst hätten. "Besonders deutlich wurde diese Strategie etwa in der sogenannten Schlichtung bei 'Stuttgart 21': Hier gelang es den Gegnern, sich als die eigentlichen Experten zu profilieren", unterstreicht Zilles.

Häufig betonen Aktivisten auch die "Stellvertreterfunktion". Mit ihrem Engagement füllten Windkraftgegner ein Verantwortungsvakuum aus, welches die Politik in ihren Augen hinterlässt. Was sie von ihr erwarten, nehmen sie selbst in die Hand – und machen es selbstredend sogar noch besser, als Politiker, Beamte und Manager es könnten. Darunter fallen etwa die "wahrheitsgetreue Aufklärung der Bevölkerung" oder auch die Beratung von Politikern bei Entscheidungen, nennt Zilles Beispiele. Die Windkraftgegner übernähmen aus eigener Sicht auch Verantwortung für ihre "Heimat". Ihr Protest werde zum Korrektiv für eine als mangelhaft empfundene Politik, in der Bürgerbeteiligung bislang zu kurz kam, so die wissenschaftliche Analyse.

Ganz oben steht der Wertverlust von Grund und Boden

"Die Argumente der Windkraftgegner sind meist sehr ähnlich", sagt Piet Sellke, Risikosoziologe an der Universität Stuttgart. Und sie werden fast immer gespeist aus der gleichen Reihenfolge von Befürchtungen. Ganz oben steht die Angst vorm Wertverlust von Grund und Boden. "Dies treibt viele Eigenheimbesitzer vor allem in ländlichen Gebieten um", so Sellke. Wenn dort in Sichtweite eine Windturbine errichtet wird, dann verschlechtert dies die Lebensbedingung für Betroffene nachvollziehbar, gesteht der Wissenschaftler zu. Hansi Müller lässt grüßen.

Windkraftpläne müssten jedoch, wie alle anderen Infrastrukturvorhaben auch, immer abgewogen werden zwischen Interessen des Einzelnen und denen der Gesellschaft. Der Werterhalt von persönlichem Eigentum gilt als typisches Partikularinteresse. "Der Öffentlichkeit ist dieses Interesse aber nur schwer vermittelbar. Deshalb steht die vermeintliche Infraschall-Gefahr durch Windkraft weit mehr im öffentlichen Fokus", erläutert Sellke. Als potentielle Bedrohungen werden auch hörbarer Lärm, lästiger Schattenwurf und nächtliche Flugsicherungsbeleuchtung dargestellt.

Im Argumente-Ranking ebenfalls ganz oben: Windkraft bedroht die Natur, die auffälligerweise häufig gerade am geplanten Standort besonders intakt und schützenswert ist. Rotmilane, Auerhühner oder Fledermäuse landen auf dem Präsentierteller der Ausschlusskriterien. Während andere Gefahrenquellen für die Tier- und Pflanzenwelt, etwa der dramatische Flächenfraß durch Siedlungsgebiete und Verkehrswege, unberücksichtigt bleiben.

Im Süden der Republik weht einfach zu wenig Wind

Immer Infrage gestellt wird auch der wirtschaftliche Nutzen. Windenergie rechnet sich nur durch die hohen EEG-Subventionen, monieren die Gegner. Freilich ohne die deutlich höheren Subventionen der fossilen Energieträger Öl, Kohle und Gas oder für Atomkraft zu erwähnen. Im Süden der Republik weht aus Sicht der Gegner auch stets viel zu wenig Wind, um Windstrom wirtschaftlich zu produzieren. Um die These zu untermauern, geben Bürgerinitiativen sogar eigene Ertragsgutachten in Auftrag. Wenn süddeutsche Windparks dann doch Gewinne abwerfen, dann wird dies schnell als "Bereicherung Einzelner auf Kosten der Allgemeinheit" gebrandmarkt.

Nach der historischen Einigung auf einen neuen Weltklimavertrag scheinen es die Windkraftgegner schwerer zu haben. Das Ziel von Paris, die Erderwärmung auf unter zwei Grad zu beschränken, verlangt nach dem massiven Ausbau der erneuerbaren Energien, und damit auch der Windkraft hierzulande. "Es gibt sicher Gründe, Anlagen an bestimmten Standorten abzulehnen", betont Sellke. Doch ganze Regionen vom Zubau auszunehmen, wie es einzelne Initiativen in Süddeutschland fordern, provozierten neue Proteste. "Ich habe andernorts dann die gleichen Protestplakate, diesmal gegen Windstromtrassen aus dem Norden", erwähnt Sellke. Und: "Eine Betroffenheitspolitik, die Windkraftpläne immer dann schnell beerdigt, sobald das Protestgeschrei ertönt, ist nicht die Lösung", mahnt der Risikosoziologe auch die Entscheider.

Die Politik habe aus den Protesten gegen Stuttgart 21 gelernt. Die Bürger würden auch zum Windenergieausbau um ihre Meinung gebeten. "Der Beteiligungsprozess muss jedoch möglichst früh einsetzen und alle Entscheidungen transparent sein", so Sellke. Ein Runder Tisch unter Moderation eines unabhängigen Mediators verspreche am ehesten, dass die Diskussion sachlich und ergebnisoffen geführt werde.


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19 Kommentare verfügbar

  • Bergseitiger
    am 22.12.2015
    Antworten
    vino darf hier pöbeln, denn zu einem Narren gehört eben auch die Narrenfreiheit.
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