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Fürchtet euch nicht

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Tatsächlich – es soll noch gute Zeitungsverleger geben. In Karlsruhe sitzt einer bei den "Badischen Neuesten Nachrichten" (BNN), die zwar kein journalistischer Leuchtturm sind, aber auch keine Abschussrampe fürs Personal.

Es vergeht kein Tag, an dem nicht berichtet wird, dass bei einem Zeitungskonzern gespart wird. Wie immer an den Menschen. Ob in Hannover bei Madsack, in Essen bei der Funke Gruppe oder im Stuttgarter Pressehaus, wo bis zum April 2016 zwei große selbständige Redaktionen der "Stuttgarter Zeitung" und "Stuttgarter Nachrichten" zu einer Gesamtredaktion zusammengeschrumpft werden sollen. Minus 34 Redakteure zum bisherigen Personalstand. Wie stets behaupten die Verleger, das müsse so sein, um die "Qualität" ihrer Produkte zu erhalten.

Nicht alle. Nein, in Karlsruhe sollen die Uhren anders gestellt werden. Hier heißt es:"Die BNN waren ein Familien-Unternehmen, sind ein Familien-Unternehmen und werden ein Familien-Unternehmen bleiben." Nach dem Tode des Alt-Verlegers Hans Wilhelm Baur (88), am 10. Januar 2015, hat man sich Zeit gelassen mit dem offiziellen Stabwechsel in der nordbadischen Zeitung, die eine Gesamtauflage von 133 382 Stück hat. Hinzu kommt das Anzeigenblatt "Der Sonntag" mit 200 000 in Karlsruhe und 30 000 in Mittelbaden.

Der Adoptivsohn Klaus Michael Baur (früher Willimek) ist seitdem Herausgeber, Verleger und Chefredakteur und hat nach dem Tode des Patriarchen Hans W. Baur die nicht leichte Aufgabe, die Zeitung für die Zukunft in Papier und Digital krisenfest zu halten. Er tut das bemerkenswert unaufgeregt.

"Die Zeitung steht gesund da, auch wenn wir einige Probleme zu bewältigen haben", ist dem Bericht des Verlegers zu entnehmen, den er seinen Mitarbeitern vorgetragen hat. Und: Es soll ohne Entlassungen unter den 566 Beschäftigten des Verlages und der Druckerei geschafft werden.

Das entspricht dem Credo des Alten, den der Junge ein "wahres Urgestein der Zeitungsbranche" genannt hat. Hans W. Baur hatte das Blatt 1973 in der Leitung übernommen, 1994 zusammen mit seiner Frau Brunhilde in eine Stiftung umgewandelt, als Verleger die Mehrheitsanteile behalten und die Botschaft verkündet: "Solange ich lebe, wird niemand bei der BNN entlassen". Dieses Versprechen gegenüber Belegschaft und Gewerkschaft hat er bis zu seinem Tode gehalten, auch wenn es in ihn zuweilen einige hunderttausend Euro jährlich aus privater Schatulle gekostet hat.

Es hat ihn herzlich wenig gekümmert, als er vor einigen Jahrzehnten aus dem Verlegerverband ausgeschlossen wurde. Nicht etwa, weil er die Tarife drücken wollte, sondern weil er keinen Anlass sah, seine Leute auszusperren, angesichts eines Streiks der IG Druck und Papier. Der alte Baur hat dann eben Hausverträge abgeschlossen, die gut dotiert waren, und den Abgesandten der Gewerkschaft erfreut haben, wenn er zum tarifpolitischen Espresso eingeladen war.

Neue Zeiten? Nicht bei Hans W. Baur. "Redakteure sollen schreiben und redigieren und nicht an einem Computer-Terminal sitzen", auch das war einer seiner journalistischen Leitsätze, mit dem er sich einen nicht eben kleinen Aufstand einhandelte. Bis ihn Betriebsrat, Gewerkschaft und andere überzeugen konnten, dass auch die BNN ein Redaktionssystem braucht, mit dem das Zeitungmachen auf ein halbwegs zeitgemäßes Niveau gehoben werden konnte. Eine richtige Online-Ausgabe der Zeitung gab es bis zu seinem Tode nicht.

Man kann es also durchaus altmodisch nennen, was damals in der Karlsruher Lammstraße passiert ist, personell wie politisch-inhaltlich. Man könnte auch konservativ dazu sagen oder im journalistischen Sinne langweilig. Die BNN war behäbig wie die Stadt, von Überraschungen und linker Umtriebe frei, was 1982 zur Gründung der "Karlsruher Rundschau" führte, die freilich nur zwei Jahre alt wurde. Danach war wieder Ruhe und der Oberbürgermeister die zentrale Deutungsinstanz. Nur: Ist Ruhe immer schlecht?

Baurs Nachfolger will die Zukunft nun gemeinsam und "mutig" mit seiner Belegschaft angehen. Dazu nutzt er die Worte der Weihnachtspredigt "Fürchtet euch nicht", was sehr selten ist in diesen Zeiten, in denen die Herren der Zeitungen vor allem Angst verbreiten. Vor dem Untergang des Gedruckten, dem Verlust des Arbeitsplatzes und einer unbotmäßigen Haltung. Baur junior will eine flache Führung, nicht mehr das Patriarchale ("Geh mol zum Chef hoch, der will was vunn dir"). Die Geschäftsleitung im vierten Stock in Karlsruhe-Neureut soll eine Etage der offenen Begegnung werden: "Wer Sorgen oder Anregungen hat, findet eine offene Tür".

Der neue Verleger ist klug genug zu wissen, dass er die künftigen Probleme nur mit allen Beschäftigten zusammen lösen kann. Die Modernisierung der BNN-Filialen in Pforzheim, Bühl und der Karlsruher Lammstraße ist dringend nötig, dort empfängt heute noch der Charme der 50er Jahre. Die Belegschaft ist überaltert, das verlangt Fingerspitzengefühl, soziale Kompetenz und finanziell nicht billige Altersteilzeiten. Auch beim Monopolisten brechen die Anzeigen ein, auch da sind Ideen und eine anständige Bezahlung der Akquisiteure vonnöten. Wenn er es also ernst meint mit dem Anspruch, dass beides nötig sei, Qualität im Druck wie im Netz, dann gibt es noch viel zu tun.

Er scheint es wagen zu wollen. Sein Auftritt bei der Mitarbeiterversammlung in der Badnerlandhalle, wo er erstmals nicht mehr seinem Adoptivvater die Treppen zum Rednerpult hinauf half, war danach. Klaus Michael Baur, einst BNN-Volontär, ließ erkennen, dass er weiß, was er tut. An der Zukunft arbeiten, mit den Beschäftigten zusammen und ohne Angst.

 

Der Autor hat über viele Jahre mit Hans W. Baur die Tarife bei den BNN ausgehandelt. Gewerkschafter Manthey (verdi) hat den Karlsruher Verleger geschätzt.


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6 Kommentare verfügbar

  • Isolde Vetter
    am 14.12.2015
    Antworten
    Mein Leserbrief an die BNN auf den Artikel vom 24.2.09 hin wurde - entgegen erster Zusage per e-mail und trotz Nachfrage von mir - dann doch nicht gedruckt. Beim nicht lange zurückliegenden Wiederbezug des (wegen Platzmangels mit einem Anbau versehenen und so noch mehr Raum im Botanischen Garten…
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