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Die Sucht nach Bildern

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Die Bilder zeigen eine scheinbar unaufhaltsame Flut von Fremden. Das kann Hilfsbereitschaft fördern, aber auch Angst vor Unsicherheit und Chaos. Hinter der Macht der Bilder verschwindet oft die Wirklichkeit.

Hilfe braucht Bilder. Das ist auch gegenwärtig so. Die Bereitschaft der Deutschen, sich zu engagieren, ist groß, weil viel über die Lage in den Herkunftsländern der Flüchtenden berichtet wird, sei es über Syrien, den Irak oder Somalia. Dort herrschen Krieg, Bürgerkrieg und Terror. Die Bilder von Tod und Verwüstung gehen den Menschen nahe, genauso wie das Elend der Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrinken oder mit nichts ankommen.

Hilfsorganisationen wissen um die Bedeutung von Bildern. Sie wissen, dass diese Leser und Zuschauer emotional erreichen müssen, wenn es Hilfe in großem Stil geben soll. Eine Naturkatastrophe, über die nicht berichtet wird, kann auch keine Spenden bewirken. Ähnlich ist es bei Kriegen und Bürgerkriegen. Das Schicksal der Betroffenen berührt.

Gezeigt werden in den Medien Extremsituationen. Der Alltag schafft nur selten den Sprung in die Berichterstattung. So ist das Leben der Menschen genauso wie ihre Kultur und ihre Gewohnheiten in den arabischen und afrikanischen Ländern den wenigsten Menschen vertraut.

Dieser Alltag in Armut und Not interessiert medial kaum. So ist zum Beispiel die Situation der Roma in Osteuropa den wenigsten bekannt. Und wenn sie davon etwas wissen, dann ist es eher das Randständige, das Unstete, das Gefährliche, wodurch das Klischee von den "Zigeunern" befeuert wird.

Es gibt zwar genügend Informationen über all das, aber in Texten. Hier werden Hintergründe beleuchtet. Aber diese erreichen die Öffentlichkeit kaum noch. Dies weist auf ein Dilemma hin. Die Sprache der Bilder hat sich verselbstständigt. Medien orientieren sich mittlerweile konsequent am Bild und seiner Botschaft. Es ist eine regelrechte Sucht nach Bildern entstanden. Über diese lassen sich gezielt emotional packende Botschaften transportieren, die die Menschen direkt ansprechen.

Fotos suggerieren Authentizität. Das ist aber ein gefährliches Kriterium. Denn Bilder zeigen immer nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit, nämlich denjenigen, den man zeigen will. Ein Foto kann den Eindruck totaler Zerstörung vermitteln, obwohl diese lokal eng begrenzt ist. Auch dort, wo anscheinend Chaos herrscht, ist normales Leben möglich. Das heißt, dass die Bilder eine bestimmte Wahrheit beziehungsweise eine bestimmte Sicht auf die Wirklichkeit vermitteln.

Deshalb können Bilder extrem manipulativ sein. Und wer keine Vergleichsmöglichkeiten hat, der nimmt manche Botschaft als bare Münze. Bilder können Freude oder Angst, Mitgefühl oder Ablehnung auslösen mit positiven und negativen Effekten. Es verwundert deshalb nicht, dass Medien sich immer mehr auf Kampagnen konzentrieren. Das nutzen Politiker und Lobbyisten gerne, um durch entsprechende Informationen unliebsame Gegner auszuschalten oder bestimmte Themen in den Medien zu platzieren.

Auch Berichterstattung, die sich diesem Trend entgegenstemmt, ist in Gefahr, in diesen Sog hineinzugeraten. Dies fällt in der Berichterstattung über die Flüchtlinge auf. Es sind die Szenen von den vielen Flüchtlingen, die Züge stürmen, Grenzen überrennen und damit den Eindruck erwecken, dass eine unaufhaltsame Flut von Fremden Deutschland überschwemmt. Dagegen können auch die mitfühlenden Berichte über Flüchtlingsschicksale und die beruhigenden Worte der Fernsehmoderatoren nichts ausrichten.

Sie sagen, dass wir in Deutschland helfen müssen angesichts der schreienden Not an anderen Orten der Welt. Unterschwellig transportieren die Bilder aber mit jedem Bericht eine andere Botschaft, nämlich, dass Menschenmassen Unsicherheit und Chaos nach Deutschland bringen. Das wirkt bedrohlich. "Wir können nicht alle aufnehmen", heißt es.

Aber schaut man genauer auf die Zahlen, ist das weniger dramatisch. Muss uns erst die "Bild"-Zeitung vorrechnen, dass wir 800 000 Flüchtlinge mit Leichtigkeit aufnehmen können? Sicher auch eine Million. Auch Experten beteuern immer wieder, dass Deutschland im Moment nicht überfordert ist. Es seien in der Vergangenheit vielmehr Kapazitäten abgebaut worden. Aber selbst die "Bild"-Zeitung mit ihren einfachen Formeln kann nichts ausrichten gegen die Macht der Bilder. Das spüren auch die Verantwortlichen des Boulevardblatts. Sie haben wieder mal mit einem Paukenschlag ihren Gefühlen Luft gemacht und eine Ausgabe ganz ohne Bilder gemacht. Ein durchaus origineller Einfall.

Die offenkundige Bereitschaft in weiten Bevölkerungskreisen, andere willkommen zu heißen, ist deshalb in Gefahr. Das befeuern Politiker zum Teil mit unverantwortlichen Reden. Von Völkerwanderung ist da die Rede, von guten und schlechten Flüchtlingen. Parolen, die gut zu den Bildern passen. Das lenkt ab von eigenen Versäumnissen und von Hintergründen, die ein anderes Bild ergeben würden.

Nie hat man ernsthaft versucht, die Lage auf dem Balkan zu verbessern. Man überlässt die Menschen sich selbst. Auch eine geregelte Arbeitsmigration nach Deutschland wurde nie ernsthaft angegangen. Insgesamt hat die EU die Augen verschlossen. Nicht zuletzt deshalb steht sie jetzt vor einem Scherbenhaufen. Da besteht erheblicher Nachholbedarf. Und es muss endlich die Diskussion um die Wirkung von Bildern in den Medien ernsthaft geführt werden. Sonst breitet sich die Ablehnung von Flüchtlingen langsam in der Bevölkerung aus, weil immer mehr Menschen eine unbestimmte Angst fühlen.

 

Rainer Lang (60) arbeitet für Brot für die Welt in Stuttgart und Berlin. Zuletzt war er Geschäftsführer der Stiftung Entwicklungszusammenarbeit Baden-Württemberg und Pressesprecher der Diakonie Katastrophenhilfe.


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