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"Sonntag Aktuell": Tod auf Raten

"Sonntag Aktuell": Tod auf Raten
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Die Nachricht überrascht nicht wirklich: "Sonntag Aktuell" steht zur Disposition. Im Stuttgarter Pressehaus der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH) heißt das "Neubewertung". Am 19. März soll die Entscheidung fallen.

Das hätte sich Martin Wilhelm nicht träumen lassen: Dass einmal alle baden-württembergischen Verlegerkollegen auf seine kleine "Heidenheimer Zeitung" schauen. Zumindest die, die "Sonntag Aktuell" vom Pressehaus beziehen. Das sind derzeit knapp 30, von der "Waiblinger Kreiszeitung" über die "Südwestpresse" bis zum "Mannheimer Morgen". Zum Jahresende 2014 hat der Verleger der "Heidenheimer Zeitung" den Vertrag mit den Stuttgartern gekündigt und tröstet seine Abonnenten seitdem mit einer aufgepeppten Samstagsausgabe. Das spare die Austrägerkosten am Sonntag und zufrieden seien die LeserInnen sowieso nicht mit der seit 2009 abgespeckten Sonntagszeitung: "'Sonntag Aktuell' verlor vor einigen Jahren seine eigene Redaktion, und der Mantelteil fand seine Rolle nicht so recht", so Verleger Wilhelm in der eigenen Zeitung.

Damit brechen "Sonntag Aktuell" knapp 20 000 seiner Auflage weg, die einst bei über einer stolzen Million lag und derzeit noch bei 570 000 liegt. Das wäre für die einst prächtige Sonntagszeitung wohl zu verschmerzen. Doch die Entscheidung an der Brenz ist ein wichtiges Signal. Wenn die LeserInnen nicht aufschreien, weil der Sonntag nun zeitungslos bleibt, können auch die restlichen Gesellschafter auf den teuren Sonntagsmarkt verzichten, ohne ihre Abonnenten zu verprellen. Die dortige SPD mit Kultusminister Andreas Stoch hat zwei Wochen gebraucht, um das Sonntags-Aus überhaupt zu bemerken. Heidenheim ist ein Versuchsballon, der im Stuttgarter Pressehaus genau beobachtet wird – und die Entscheidung vom Sonntag auf den Samstag forciert. "Sonntag Aktuell" – ein Auslaufmodell?

Samstag sticht Sonntag

Den Grund für eine "Neubewertung" erläuterte der Geschäftsführer der Medienholding Süd, Martin Jaschke, den alarmierten Redakteuren der "Stuttgarter Nachrichten" bei einer Betriebsversammlung kurz vor Weihnachten 2014. Wieder einmal wird über fehlende Gewinne geklagt: Das frühere Geschäftsmodell funktioniere nicht mehr. Die Anzeigen gingen zurück, der Sonntagsvertrieb sei teuer, jetzt drohe auch noch der Mindestlohn, mit dem Blatt sei kein Geld mehr zu verdienen. Nun, so Jaschke, würden verschiedene Projekte ausgearbeitet, dann gebe es eine Marktforschung, dann entscheide die Gesellschafterversammlung. Vorbild sei die "Süddeutsche Zeitung", die auch zur SWMH gehört und die seit ihrem Relaunch vor wenigen Wochen samstags eine erweiterte Ausgabe mit Lesestoff bietet, den Reiseteil am Donnerstag bündelt und am Sonntag mit einer Bezahl-App den Sport präsentiert.

Nun zerbrechen sich einmal mehr redaktionelle Projektgruppen den Kopf, den sich eigentlich Verleger machen müssten. Ob es etwas nützt, ist fraglich. Die Entscheidung über die Sonntagszeitung liegt bei den Gesellschaftern. Und sie scheint schon pro Samstag gefallen zu sein. Äußern will sich dazu keiner. Weder Gerhard Ulmer von der "Ludwigsburger Kreiszeitung" ("Bitte haben Sie Verständnis, dass ich über ungelegte Eier nichts sagen kann"), noch Ulrich Villinger vom Zeitungsverlag Waiblingen. Nur so viel: "Die Entscheidung fällt bei der Gesellschafterversammlung am 19. März." Und Christoph Reisinger, in Personalunion Chefredakteur der "Stuttgarter Nachrichten" (STN) und von "Sonntag Aktuell", sagt auf Kontext-Anfrage: "'Stuttgarter Nachrichten' und 'Stuttgarter Zeitung' arbeiten gemeinsam an der Weiterentwicklung ihres Wochenendangebots unter Berücksichtigung des ganzen Wochenendes."

Wir sagen nichts, jedenfalls nichts Genaues, scheint wie so oft die Devise bei der SWMH zu lauten, die vom Branchenblatt "journalist" als eines der undurchsichtigsten Verlagskonstrukte in Deutschland bezeichnet wurde. Nebelkerzen statt Informationspolitik, betroffene Redakteure werden allenfalls in Andeutungen, die Öffentlichkeit überhaupt nicht informiert.

Das alles erinnert fatal an die Vorgehensweise vor sechs Jahren, als schlussendlich die "Sonntag Aktuell"-Redaktion gefeuert wurde. Mit derselben Argumentation ("'Sonntag Aktuell' ist zu teuer, die Gesellschafter sind unzufrieden") war die damals noch eigenständige, 17-köpfige Redaktion aufgeschreckt worden. Auch damals hieß es von der Geschäftsführung, man denke über verschiedenen Varianten nach, die über eine Marktforschung getestet werden sollten. 

Im Frühjahr 2009 präsentierten "Sonntag Aktuell"-RedakteurInnen ihren Vorschlag, ebenso eine freigestellte Vierergruppe aus "Stuttgarter Zeitung" und "Stuttgarter Nachrichten", umgesetzt wurde keiner. Denn die Entscheidung war längst gefallen: Personalkosten sparen (eine halbe Million), die Redaktion entlassen, "Sonntag Aktuell" so nebenbei aus der StN-Redaktion betreiben. Geholfen haben weder Gehaltsverzicht in den Jahren zuvor noch die zusätzliche Arbeit. Im Jahr ihres 30-jährigen Bestehens wurde die Redaktion dichtgemacht, Ende 2009 war Schluss.

Einst die größte Sonntagszeitung nach der BamS

Dabei hatte alles so viel versprechend angefangen. "Sonntag Aktuell" wurde 1979 gegründet und war mit einer Auflage von über einer Million einmal die größte Sonntagszeitung nach der "Bild am Sonntag". Ein unternehmerischer Gegenschlag gegen die Gründung von "Bild"-Stuttgart, erinnert sich Arnd Brummer, der damals als Politikredakteur anheuerte. Unternehmerisch hatte man die Abonnenten und den Anzeigenmarkt im Blick. "Journalistisch war es eine traumhafte Zeit, ein redaktioneller Aufbruch", sagt Brummer, der heute Chefredakteur und Mitherausgeber von "Chrismon" ist, "es war ein Labor, ein Experiment, nicht zuletzt dank des ersten Chefredakteurs Hans-Joachim Schlüter." Sie erfanden das politische Frühstück, bei dem  Brummer mit Winfried Kretschmann in der Stuttgart Kiste über Hannah Arendt diskutierte oder mit Rezzo Schlauch über eine schwarz-grüne Koalitionsoption.  Die Zeit des Aufbruchs ist Vergangenheit. Vermissen wird Brummer sein altes Blatt nicht.

Die Geschichte von "Sonntag Aktuell" ist ein Tod auf Raten. Verlegerisch fehlte die Vision, aus der redaktionell kleinen und auf Baden-Württemberg beschränkten Zeitung eine große Sonntags- und Verkaufszeitung zu machen. Es fehlte der Mut, Geld in die Hand zu nehmen, wie es etwa die Verleger der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" später vorgemacht haben. Der Trend zur Wochenzeitung mit Reportagen, Lesegeschichten und analytischen Hintergrundgeschichten wurde ignoriert, das Abonnentenmodell "Sonntag Aktuell" nicht in Frage gestellt. Stattdessen schworen die Verantwortlichen bei der SWMH auf die wenig kreative und journalistisch fragwürdige schwäbische Sparmethode, die Personalkosten zu minimieren und eine ganze Redaktion zu entlassen.

"Es fehlte verlegerisch an Sinn und Verstand"

So kommt für Andreas Braun, den letzten eigenständigen Chefredakteur (von März 1997 bis Anfang 2009) von "Sonntag Aktuell", das drohende Ende nicht überraschend. "Darauf wurde streng hingearbeitet", sagt Braun, der heute bei der Tourismus GmbH Baden-Württemberg als Geschäftsführer arbeitet. "Diese Unternehmensstrategie führte vorhersehbar in eine Abwärtsspirale." Den Redakteurinnen und Redakteuren der "Stuttgarter Nachrichten" macht er dies ausdrücklich nicht zum Vorwurf: "Die müssen seit 2010 zu ihrer täglichen journalistischen Arbeit noch eine Sonntagszeitung stemmen, das kann nur schiefgehen." Es fehlte verlegerisch an Sinn und Verstand, so die bittere Bilanz eines Journalisten, der versuchte, neuen politischen Wind in das Blatt zu fegen. Inzwischen haben Hitlisten wie der "Liebling der Woche" (vergangenen Sonntag: der spanische König) oder Kolumnen über George Clooney politische Interviews und Hintergrundberichte verdrängt.

Die Partnerzeitungen hatten ihrerseits recht unterschiedliche Ansichten in ihrer vom Verleger bestimmten Grundhaltung. Das reichte von liberal-konservativ bis christlich-konservativ. Da war ein eigenständiges politisches Profil der sogenannten siebten Ausgabe wenig erwünscht. Das und der Kaufpreis, den die Stuttgarter von ihren Partnern verlangen, war ein steter Zankapfel zwischen den Gesellschaftern und den Geschäftsführern der SWMH.

Schwäbische Vorratsdatenspeicherung

Das schleichende Ende von "Sonntag Aktuell" ist als Teil der Konzernstrategie der SWMH zu sehen, die ist mit "Süddeutscher Zeitung", "Stuttgarter Nachrichten" und "Stuttgarter Zeitung" eine der drei größten Tageszeitungsgruppen in Deutschland (neben Axel Springer AG und Funke Mediengruppe) ist. Die Auslandskorrespondenten der beiden Stuttgarter Blätter werden sukzessive abgebaut und durch KollegInnen der "Süddeutschen Zeitung" ersetzt. Mit einem neuen Samstagsprodukt, das "Sonntag Aktuell" ersetzen soll, werden "Stuttgarter Nachrichten" und "Stuttgarter Zeitung" ein weiteres Stück verschmolzen. Und so ist es nur konsequent, dass die Projektgruppe, die "Sonntag Aktuell" weiterentwickeln soll, sprich: an einem Samstagskonzept arbeitet, von RedakteurInnen der beiden Stuttgarter Blätter besetzt ist.  Samstag schlägt Sonntag. Der "Sonntag Aktuell"-Druckauftrag jedenfalls läuft Ende des Jahres aus. Die Drucker haben schon signalisiert, dass sie ein früheres Ende bereits zum Sommer nicht akzeptieren werden.

Für die LeserInnen übrigens, die mit ihren Abogebühren bisher eine Sonntagszeitung bezahlten und jetzt keine mehr bekommen, hat der Heidenheimer Verleger Wilhelm einen Rat parat: Sie sollen doch am Samstag nicht alles aus ihrer Zeitung herauslesen, sondern das schönste Stück für den Sonntag aufheben. Das nennt man wohl schwäbische Vorratsdatenspeicherung.

 

Susanne Stiefel hat als Chefreporterin bei "Sonntag Aktuell" gearbeitet, als die Stuttgarter Sonntagszeitung noch eine eigene Redaktion hatte.


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20 Kommentare verfügbar

  • Ulrich Frank
    am 24.02.2015
    Antworten
    @invinoveritas: Nun ja, invinoveritas, das muß man Ihnen lassen: Sie bleiben Ihrem Charakter treu, auch in Ihrer neuerlichen Antwort auf M. Stocker (24.02, 1.01h): immer kampfmäßig einen Schritt vor, einem behaupteten professionellen Status entsprechende professionelle Differenzierungen einführend -…
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