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Mensch! Werbung inklusive

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Herbert Grönemeyer hat ein neues Album herausgebracht. Teuer bewerben braucht er es nicht. Die öffentlich-rechtlichen Sender promoten den Sänger und seine Songs hemmungs- und kostenlos. Wie bei kaum einem anderen Ereignis verschwimmen die Grenzen zwischen Journalismus und Werbung.

Willi Pfannenschwarz gibt viel Geld aus, um sein Müsli aus den Supermarktregalen auf den Essenstisch der Deutschen zu bringen. "Woischd, Karle, du sollschd emol e Seitenbacher Müsli esse. Na hädschd auch net immer die Probleme mit deiner Verdauung", während die selbst produzierten Werbespots des Buchener Naturkostherstellers im Radio laufen, tickt der Gebührenzähler. Nicht bei den Zuhörern, sondern bei Pfannenschwarz, der die Werbung schaltet.

Sekundenpreise von mehreren Hundert Euro sind in der Radiowerbung üblich. Je nachdem, auf welche Reichweite, sprich Zuhörerzahl, es der jeweilige Sender bringt. Deutlich kostspieliger ist TV-Werbung, um Produkte und Dienstleistungen zu vermarkten. Für einen kurzen Spot direkt vor der "Tagesschau" sind teilweise mehr als 2600 Euro pro Sekunde fällig.

Darüber brauchen sich Herbert Grönemeyer und sein Label, die Universal Music Group, keine Gedanken zu machen. Was andere teuer bezahlen müssen, übernehmen für den nach Plattenverkäufen größten deutschen Popstar viele Sender gern – und zudem auf eigene Rechnung. Sein neues Album dudelten die Radiostationen bundesweit schon vor dem offiziellen Verkaufsstart am vergangenen Freitag rauf und runter. Allen voran die öffentlich-rechtlichen Sender, die sich nicht damit begnügten, die Single-Auskopplung durch häufiges Wiederholen zum veritablen Ohrwurm zu machen.

Das SWR-Sendegebiet als Grönemeyer-Bastion 

SWR 3, die in Baden-Baden beheimatete Popwelle des Südwestrundfunks, nervte in der Woche der Albumveröffentlichung alle Nicht-Grönemeyer-Fans, von denen es auch noch etliche geben soll, mit einer täglichen "Grönemeyer Story". Mit einem "Countdown", der immer in der besten Sendezeit am frühen Morgen über den Sender ging. In Form eines "Exklusiv-Interviews", für das der Meister dem Musikredakteur Matthias Kugler in Hamburg eine Stunde Audienz eingeräumt hatte.

Und natürlich mit einem Song aus dem Verkaufsobjekt selbst, als musikalische Umrahmung der "Story"-Beiträge. Begleitet wurde der Countdown entsprechend ausführlich in den SWR-Online-Medien. Zudem startete der Sender die Ticketwerbung für ein Grönemeyer-Konzert, das im kommenden Mai im Rahmen der Albumtour in Stuttgart stattfindet. Mehrfach platzierte der SWR ein Jingle vor dem stündlichen Werbeblock, in dem der Sänger seine Vorfreude auf das Stuttgarter Konzert bekunden durfte: "Ich freu mich auf euch."

Besonders viel Sendeplatz bekam der Star aus dem Ruhrpott beim Zweiten Deutschen Fernsehen. Im Mainzer Sender durfte Grönemeyer zunächst am 9. November bei der vorletzten "Wetten, dass ...?"-Show in Graz seine neue Single performen und sich danach zwischen Hugh Grant und Iris Berben zu Moderator Markus Lanz aufs Sofa setzen. Ein Millionenpublikum verfolgte die Plauderei über Single und Seelenheil des Popstars.

Exklusives Einzelgespräch auch bei den Mainzelmännchen

Doch damit nicht genug. Die Mainzelmännchen holten Grönemeyer zusätzlich zu "Markus Lanz". Am vergangenen Dienstagabend durfte der Star geschlagene zwei Stunden "im exklusiven Einzelgespräch zurück auf sein Leben blicken: Er erinnert sich an seinen schwierigen Karrierestart, erzählt, wie er es geschafft hat, dass aus dem Jungen aus dem Ruhrpott der erfolgreiche Musiker wurde, sagt, was ihn im Leben bewegt, und präsentiert ein Live-Studiokonzert mit Songs aus seinem neuen Album", so die offizielle ZDF-Pressemeldung zur Spezialausgabe des Lanz-Talks. Üblicherweise dürfen die Zuschauer nach 75-Lanz-Minuten zu Bett.

Nicht alle Zuschauer, respektive Zuhörer, nehmen die massive Grönemeyer-Präsenz in den öffentlich-rechtlichen Medien kritiklos hin. "Sicherlich ist eine Albumveröffentlichung von Grönemeyer ein herausragendes Event im Musikbereich", sagt Professor Helmut Volpers von der Fachhochschule Köln. Im konkreten Fall sei aber zu vermuten, dass die Berichterstattung nicht nur aus journalistischem Antrieb so umfangreich sei. "Wahrscheinlich ist auch, dass Grönemeyer eine gute PR-Agentur hat", so der Medienexperte, der sich mit mehreren Studien über Werbung und Public Relations im deutschen Fernsehen einen Namen gemacht hat.

Christiansen als Markenbotschafterin entlarvt

Volpers deckte unter anderem auf, dass die frühere ARD-"Tagesthemen"- und Talkshow-Moderatorin Sabine Christiansen als "Markenbotschafterin" für Mercedes-Benz engagiert war. Auch das ZDF blieb von unangenehmen Enthüllungen in diesem Sinne nicht verschont. Vor zwei Jahren wurde publik, dass sich Auto- und Süßwarenhersteller mit Millionenbeträgen Schleichwerbung in der ZDF-Show "Wetten, dass ...?" eingekauft hatten. Ins Bild kam neben dem damaligen Moderator Thomas Gottschalk auch immer wieder eine Schale mit bunten Gummibärchen. Gottschalk selbst verdient seit Jahren ein beträchtliches Zubrot als Werbebotschafter für die Gelatine-Bärchen. "Wir haben viele Belege gesammelt und viele Verträge gefunden, die PR und Werbung in Sendungen dokumentieren. Genützt hat es nichts", sagt Volpers.

"Unser schlagkräftiges Team von PR-Redakteuren und PR-Beratern entwickelt maßgeschneiderte Konzepte für unsere Kunden und platziert deren Themen punktgenau – in TV, Funk, Print und Online", verspricht Position Public Relations aus Köln, einer der führenden Dienstleister für Künstler und Personen des öffentlichen Lebens. Die Agentur ist ein Tochterunternehmen der Kölner Kick Media AG, die nach eigenen Angaben für "anerkanntes Entertainment-Know-how in Verbindung mit geballter Kompetenz in Sachen Public Relations, Künstler-Management und -Vermittlung, Rechtehandel und Celebrity-Vermarktung" steht.

Das Unternehmen gilt als deutscher Marktführer im Bereich der Promi- und Künstler-Vermarktung. Welche prominenten Kunden die Tochteragentur Position betreut, verrät sie in ihrem Internetauftritt. In Bild und Text werden etwa ARD-Moderator Reinhold Beckmann, "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo oder Schlagerstar Helene Fischer präsentiert. Aufschlussreich: Als weitere Referenzkunden sind neben öffentlich-rechtlichen Sendern wie WDR und ZDF auch die Grönemeyer-Plattenfirma Universal Music genannt. Nach früheren Angaben vertritt Position Public Relations auch den Sänger selbst. Kurios: Die Kölner PR-Profis vermitteln mitunter eigene Kunden an andere eigene Kunden weiter.

Maffay war auch schon monothematisch bei Lanz 

Auf Kontext-Nachfrage versichert das ZDF, bei der Auswahl von Showgästen nicht dem Einfluss von PR-Agenturen zu unterliegen. "Grundsätzlich liegt die Programmverantwortung bei der ZDF-Redaktion, sie verantwortet also letztendlich auch, wer wie und wo auftritt", so ein Sprecher. Hierzu zähle auch die Entscheidung über die Dauer eines Auftritts, der sich an der Relevanz des Gastes oder am Publikumsinteresse orientiere. "Herr Grönemeyer ist Musiker und wird nicht zuletzt als solcher in die Talkshow eingeladen", ergänzt der Sprecher. Niemand wüsste, dass er Musiker ist, wenn er nicht gelegentlich Tonträger verkaufte. So wie auch Künstler malten und in Kunstausstellungen vertreten seien, über die dann Kulturmagazine berichten. Zudem habe es monothematische Markus-Lanz-Sendungen mit kleinen Konzerten bereits in der Vergangenheit gegeben: "Beispielsweise mit Peter Maffay", betont der ZDF-Sprecher. Der Rockbarde Maffay wiederum führt mit 17 Auftritten die ewige Gäste-Hitliste von "Wetten, dass ...?" an.

Auch beim SWR kann man nichts Verwerfliches im sendereigenen Grönemeyer-Countdown erkennen. "Album und Konzerte von Grönemeyer sind nationale musikalische Top-Acts. Es wäre journalistisch völlig falsch, diese zu übergehen", sagt SWR-Sprecher Wolfgang Utz. Niemand käme auch auf die Idee, bei einer Live-Übertragung der Berliner Philharmoniker eine PR-Aktion zugunsten des Orchesters zu vermuten. Und: "Wer in letzter Zeit die Presselandschaft durchgeschaut hat, ist auf Riesenartikel zur Veröffentlichung des neuen Grönemeyer-Albums gestoßen", ergänzt Utz. Nur setzten Zeitungen und Magazin dabei keine neuen Ohrwürmer in die Welt.

PS: Wer Grönemeyer im nächsten Frühjahr live erleben will, muss sich beeilen. Innerhalb weniger Tage sind bereits etliche Konzerttermine ausverkauft. Und das ganz ohne teure Radio- und TV-Werbung.


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9 Kommentare verfügbar

  • Kornelia
    am 28.11.2014
    Antworten
    diese kostenlose Wärbung und damit die Beeinflussung ist Alltag geworden: wochenlang und vorab wurde Sarrazins Buch besprochen. ob positiv oder negativ, egal hauptsache Wärbung...
    das Gleiche mit dem Kohl Buch, dauernd sehe ich nur noch Helene Fischer, ............ egal wie die vom Volk bezahlten…
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