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SWR: Aufbruch in alter Zeit

SWR: Aufbruch in alter Zeit
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Der Südwestrundfunk (SWR) verspricht neue Nachrichten, der Intendant gar eine "Zeitenwende". Aber keine Sorge: Die "Landesschau" bleibt die "Landesschau". Auch wenn die Nachrichten schon um 19.30 Uhr anfangen, doppelt so lange sind und kleine "Tagesthemen" sein sollen.

Die Wolken fliegen tief, das Mobiliar erstrahlt in rostroter Becheroptik, 3-D-Technik, neues Logo. So ist sie halt, die neue Fernsehwelt. Nur Dieter Fritz steht wie immer da. Etwas steif, mimisch sparsam, kein Ausfallschritt. So gar nicht wie die federnden Großkollegen Kleber (ZDF) und Roth (ARD). Der 58-Jährige ist der Hauptmoderator der neuen "Landesschau aktuell Baden-Württemberg". Neben ihm wird Stephanie Haiber, Jahrgang 1973, bekannt durch SWR 3, als Anchorwoman wirken, wöchentlich im Wechsel.

Fritz kündigt die Themen an, wie er das immer getan hat. Sachlich, routiniert. Schwarze Kassen im Kloster Neresheim, Hooligans und Nazis in Mannheim, Digitalkommissar Oettinger. Nichts wirklich Überraschendes, vieles mit heißer Nadel gestrickt, etliche KollegInnen waren in den Herbstferien. Am Ende noch eine kleine Panne, weil ein Film über die Fluxus-Passage in Stuttgart nicht rechtzeitig fertig wird. Fritz wartet geduldig, das Stück kommt. So viel erkennt man am Fernseher.

Aber was steckt dahinter? Eine "Zeitenwende", behauptet SWR-Intendant Peter Boudgoust. Ein Aufbruch in eine "neue Zeit", in der sein Sender "rund um die Uhr" für die Menschen da sei. In der ganzen Bandbreite der Lebenswelt Südwest. Drohung oder Verheißung? Seine Stellvertreterin Stefanie Schneider, die Landessenderdirektorin, freut sich, den Zuschauern "noch mehr regionale Information" anbieten und damit die "Kernaufgabe" des SWR weiter stärken zu können. Das kann man zunächst so stehen lassen. Und Hauptabteilungsleiter Heiner Backensfeld verkündet: Millionen werden uns die Türen einrennen. Der Programm-Manager mit Sitz in Baden-Baden gilt als Vater der "neuen 1930", wie man intern sagt, und hat früher beim NDR, WDR und HR die schönsten Bauernhöfe, Backrezepte und Wanderwege ausgelobt. Heute, so Backensfeld in einem Kontext-Gespräch, orientiere er sich an der britischen BBC. Das ist verwegen.

Auf den letzten Plätzen flattern die Hosen

Die Welle muss man wahrscheinlich machen, wenn einem die Hosen flattern. Die zweitgrößte Anstalt in der ARD rutscht halt immer noch auf den letzten Plätzen herum, mit leichter Tendenz nach oben. Das Vorabendprogramm ist und bleibt das Sorgenkind, trotz einer aufgehübschten "Landesschau", die auch eine neue Deko und neue Rubriken bekommen hat und jetzt offenbar um mehr Relevanz bemüht ist. Ein Erklärstück zum Lokführerstreik – das könnte die Konkurrenz im eigenen Haus bewirkt haben. Bis dahin haben Seniorenseher das Kind geschaukelt, bis zu den Regionalnachrichten um 19.45 Uhr und zur "Tagesschau". Wenn sie danach, wie in einem "betrifft:"-Beitrag geschehen, von rumänischen Prostituierten mit "ficken, blasen, Arsch ficken" aufgeschreckt werden, ist das für die Quote nicht gut. Und darum geht's im Kern.

Die Idee, hier die Brüche zu glätten, liegt deshalb nahe. Warum nicht um halb acht mit Nachrichten anfangen, mit den "kleinen 'Tagesthemen'", wie sie der neue SWR-Alleinchefredakteur Fritz Frey genannt hat? Nach der "Heute"-Sendung im ZDF, wenn eine Viertelmillion Baden-Württemberger zappt und nicht im Kochtopf landen will. Aus der großen weiten Welt hinuntersteigen ins Land, über Mappus, die EnBW, die oberschwäbischen Landräte und die Neonaziszene ausführlich berichten.

Richtig knackig, mit unzimperlichen Reportagen, kritischem Hintergrund, konfliktfreudigen Studiogästen und Moderatoren, die souverän durch die halbe Stunde führen. Dieter Fritz müsste das können, Stephanie Haiber muss es noch zeigen, der Rest der Truppe auch. Die Journalisten im SWR sollten die Chance nützen, fordert Karl Geibel, Professionalität und Kompetenz beweisen. Geibel hockt im Fernsehausschuss des Senders, war selber mal Journalist und hat nicht vergessen, was er einmal gelernt hat: Courage.

Mehr Regionales – der SWR sieht die Chance, die Zeitungen nicht

Strategisch ist die Regionalisierung klug. Hier ist das ZDF keine Konkurrenz, das Kommerzfernsehen schon gar nicht, und die Zeitungen werden es immer weniger, je fahrlässiger sie mit ihrem angestammten Berichtsgebiet umgehen. Aufgelöste Korrespondentenplätze im Land, identische Texte etwa in den Stuttgarter Blättern und ihren Satelliten bis zum "Schwarzwälder Boten" – alles Sparmaßnahmen zugunsten der Kasse und zulasten der Leser. Hier reißen sie Lücken, die der SWR füllen könnte. Mit sieben Außenstudios von Friedrichshafen bis Heilbronn, die er auch zum Neustart genutzt hat. Zumindest numerisch.

Praktisch fehlt noch der Beweis. Zum einen weiß kein Mensch, ob die Zuschauer willens sind, mit ihren Gewohnheiten zu brechen. Die "Landesschau aktuell" um 19.45 Uhr gibt es seit 50 Jahren, eine Ewigkeit im Mediengeschäft, eine halbe Million schaltet ein. Zum anderen ist eine verdoppelte Sendezeit noch kein Wert an sich. Länger muss nicht besser sein, aber wenn es gut sein soll, ist es hart für alle, dies zu leisten. Gar nicht so sehr wegen der Begehrlichkeiten der politischen Klasse, die schon jetzt auf doppelte Präsenz lauert oder ihre Hobbys pflegen will wie Wolfgang Drexler, der im Rundfunkrat bereits angekündigt hat, mehr Randsport sehen zu wollen. Der Altsozi ist Präsident des Schwäbischen Turnerbunds.

Hart ist es, weil Nachrichten, besonders im Fernsehen, ein schwieriges Geschäft sind. Zum Beispiel die Klosterbrüder von Neresheim, das Top-Thema zum Auftakt. Was ist jetzt mit den "schwarzen Kassen"? War es der Abt oder dieser Krefelder Anwalt? Die Antwort kann, zu diesem Zeitpunkt, auch das Fernsehen nicht liefern. Aber es muss dem Zuschauer den Vorgang so erläutern, dass er ihn versteht, nicht ihn ratlos zurücklassen, in dem Gefühl, dass irgendetwas oberfaul ist hinter den Klostermauern. Man weiß nur nicht, was.

Dazu braucht das Medium Journalisten, die das können, und vor allem Bilder. Wenn's an beidem mangelt, ist das schönste Konzept obsolet. Natürlich kann man Neresheim rauf- und runterfilmen, schön anzusehen, und Aufsager unter Bäumen drehen. Aber von den Beschuldigten sagt keiner was, nicht mal ein Fax, das aus dem Drucker quillt.

Ein Foto aus dem "Spiegel", das war's dann. Um nicht missverstanden zu werden: Auch wenn's bei Daimler wieder kracht, gehen die Werkstore nicht auf, die Manager auf Tauchstation und die Betroffenen, aus gutem Grund, nicht vor die Kamera. Die ewigen Bilder vom Drehstern, vom Fließband und vom Hauptportal der Konzernzentrale helfen nicht weiter. Aber immerhin: Einer hat's undercover gewagt. Der SWR-Reporter Jürgen Rose mit seiner Reportage über die Hungerlöhne am Fließband.

Will sagen: Auch im Fernsehen heißt das nicht, das Wollen zu lassen, das Nichttun zu entschuldigen. Dafür ist nicht jede(r) geschaffen, aber die Boudgousts sind dazu da, die Voraussetzungen dafür zu schaffen.

Härtere Arbeit für weniger Geld – das muss einem erst einfallen

Das alles kostet Zeit und Geld. Beides ist knapp, aber bereitzustellen, wenn man es wirklich will. In einem öffentlich-rechtlichen Funkhaus, das von seinen Gebührenzahlern lebt, allemal. Doch die Realität ist eine andere. ReporterInnen, die für die neuen Nachrichten arbeiten sollen, klagen über geringere Tagessätze als in der alten "Landesschau", über Schichtpläne, die sie nach dem Vogel-friss-oder-stirb-Prinzip akzeptieren sollen. Weniger Honorar für härtere Arbeit – das muss einem erst einfallen. Personalrat und Gewerkschaft sind jetzt eingeschaltet, auszubügeln, was in einer halbjährigen Vorbereitungsphase nicht geregelt worden ist: Tarife und Dienstzeiten.

Geschuldet ist das einem alten Problem – der Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit beim SWR. Auf dem Papier sind die Führungskräfte gehalten, mit ihren MitarbeiterInnen zu sprechen, sie ernst zu nehmen und ihnen Raum für Experimente zu öffnen. So will es das gedruckte Leitbild ("Ich gestalte mit") des Senders. Im Falle der neuen Nachrichten wartet ein halbes Hundert immer noch darauf. Das erzeugt "Ärger und Verunsicherung", sagt Verdi-Sekretär Gerd Manthey, Sorgen um "künftige Arbeit, Einkommen und Zukunft". Das motiviere niemanden, und "Frust macht sich breit". Manthey kennt den Laden wie kaum ein anderer. Motivation ist aber genau das, was aus Papier ein lebendiges Programm macht.


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13 Kommentare verfügbar

  • Ulrich Frank
    am 11.11.2014
    Antworten
    Den Worten der Vorkommentator/Innen ist kaum etwas hinzuzufügen. Es ist derselbe Rumpelsack, nur breiter aufgestellt und mit teils komischen Elementen. - Die Führung des Senders - im Artikel abgebildet (auf dem Photo schillert das Logo noch nicht so abstrus wie jetzt in allen Farben) gehört…
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