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Bissiger Eisbär

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Der Bildhauer Peter Lenk ist prominent und erfüllt damit die Voraussetzungen, das Bild der Woche in "Sonntag Aktuell" auszuwählen. Doch wer bei Lenk bestellt, lebt gefährlich.

Peter Lenk ist nicht nur ein bekannter Künstler, sondern auch ein streitbarer Zeitgenosse. Das müsste auch Redakteuren der "Stuttgarter Nachrichten" bekannt sein. Dennoch wurde der Bildhauerschelm vom Bodensee angefragt, ob er nicht das wöchentlich in "Sonntag Aktuell" erscheinende Bild der Woche aussuchen, betexten und einen kleinen Lebenslauf mitschicken wolle. Und so wurde aus einer naiven Anfrage eine Medienposse.

Denn wer sich für Peter Lenk interessiert, lebt gefährlich. Bitte einen Eintrag ins Gästebuch der Singener Kunstausstellung? Da zaudert der Künstler nicht lange und schreibt: "Lieber Herr Bauer, endlich einmal eine humorvolle Ausstellung unter Ihrer trostlosen Leitung." Einen Tag später war die Seite herausgerissen. Und CDU-Fraktionschef Volker Kauder wird unter der Hand gerne "Bananenkauder" genannt, seit er Lenk um einen Beitrag für eine wohltätige Afrika-Auktion bat und einen Kauder im Bananenröckchen geliefert bekam. Wer bei dem Kunst-Anarchisten bestellt, muss vorsichtig sein. Die "Stuttgarter Nachrichten" waren es nicht. 

Lebensläufe verschicke er schon lange nicht mehr, antwortete Lenk gewohnt streitlustig und durchaus geschichtsbewusst: War da nicht was bei "Sonntag Aktuell"? Richtig, da war die ganze Redaktion aufgelöst worden. "Ich will mich bei Euch nicht als Journalist bewerben. Kann es sein, dass Eure Bosse immer mehr gute Redakteure rausschmeißen und hoffen, dass ihnen preisgünstige Laien die Arbeit abnehmen?" Spätestens hier hätte dem Politikredakteur klar sein müssen, was ihm mit einem Lenk-Text – zu welchem Bild auch immer – blühen könnte. Stattdessen bekundete er eifrig, einen Lebenslauf habe er schon bei dpa gefunden, ob der Künstler sich jetzt an die Arbeit machen wolle?

Der wollte. Wählte flugs ein niedliches Eisbärenfoto und schrieb folgenden Text:

"Wir leben in Zeiten, in denen provinzielle Zeitungsfürsten investigativen Journalismus gerne durch Fotos ersetzen. Das stört weniger den Anzeigenmarkt und kommt billiger. Kritische Theorie unterliegt einem zufriedenen Positivismus. Ich erinnere an das ach so entzückende Eisbärenkind Knut und die reizende Freundschaft mit einem Menschen. Das von mir ausgewählte Eisbärenfoto zeigt die trostlose Wirklichkeit der eingelochten Tiere. Durch den Mangel an Freiheit und Bewegung werden sie verhaltensgestört. Wie die investigativen Journalisten, die, um zu überleben, als Pressesprecher für korrupte Politiker oder raffgierige Unternehmer schreiben müssen."

Schickte die gewünschte Mail ab, hörte nichts mehr – und wunderte sich am Sonntag. Denn bei der Lektüre von "Sonntag Aktuell" sah er zwar das von ihm ausgewählte Eisbärenfoto, aber nicht seinen, sondern den harmlosen Text einer Stuttgarter Krimiautorin. Und das, ohne dass ihn der Politikredakteur informiert hatte. "Goethe war gegen die Pressefreiheit", sagt Lenk, "mit der Begründung, dass die Zensur dann in die Redaktionsstuben verlegt wird." Und dem armen Politikredakteur schrieb er gewohnt meinungsstark: "Ihr Armleuchter seid doch schon selber im Zoo." Auch darauf hat der Provokateur bis heute keine Antwort erhalten.


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5 Kommentare verfügbar

  • Klaus Uwe Benneter
    am 13.05.2014
    Antworten
    Das muss die Bodensee-Luft sein. Künstlerische Freiheit bringt dort augenscheinlich klare, druckreife Sätze hervor. Zur Verbreitung der Künstlerfreiheit gibt es die Pressefreiheit. Sie muss nur genutzt werden. Von Journalisten insbesondere, nicht nur von Verlegern!
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