KONTEXT:Wochenzeitung
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Runter vom Balkon

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Auch in dieser Woche gibt es wieder dünnere Zeitungen. Baden-württembergische Journalisten streiken, um ihre Verleger zu einem Abschluss zu zwingen. Kontext-Autor Bruno Bienzle erklärt, warum das so schwierig ist. Unter anderem, weil die Pressebengels zu lange auf dem Balkon gesessen haben.

Ja, wir Journalisten sind Besserwisser. Zuweilen auch Maulhelden. Kein Thema, zu dem uns nichts einfiele: Globalisierung, demografischer Wandel samt seinen Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft, die Krise einzelner Branchen, des VfB nicht zu vergessen. Journalisten sind stets zur Stelle mit Patentrezepten, darin geübt, anderen den Spiegel vorzuhalten. Nur in eigener Sache tun wir uns schwer, wie der seit Monaten sich hinziehende Tarifkonflikt der Printmedien zeigt.

Vordergründig geht es seit Sommer 2013 um Geld und soziale Besitzstände. Tatsächlich aber steht nicht weniger als das Berufsbild der Journalisten auf dem Spiel. Damit auch die Qualität ihrer Arbeit, also ihrer Produkte. Und das zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Sehen sich die Verleger doch durch rückläufige Werbeeinnahmen und bröckelnde Auflagen dazu legitimiert, mit einem "Tarifwerk Zukunft" ebenjene Zukunft für ihre angestellten und freien Mitarbeiter in den Redaktionen zu verbauen und das gemeinsam zu verantwortende Produkt in seiner Substanz zu gefährden.

Die Zukunft der Verleger ist ein Kahlschlag für die Journalisten

Zähneknirschend registrieren wir Journalisten, dass die Verleger (die ansonsten nur ausnahmsweise mit einer Zunge sprechen) unsere beiden Verbände DJV und dju/Verdi mit diesem Begriff sauber in die Defensive befördert haben. Der Kahlschlag quer durch beide Tarifwerke (Mantel und Gehalt) würde weiteren Einschnitten Tür und Tor öffnen, gestandenen Redakteuren bis zur Rente ein deutlich sechsstelliges Minus zumuten und zudem qualifizierten Nachwuchs abschrecken. Die Zahl der Billiglöhner im Status von Pauschalisten in tariflosen Tochterfirmen würde weiter zunehmen – ein jederzeit verfügbares Druckmittel gegenüber den Stammbelegschaften. "Tarifwerk Zumutung" keilten unsere Verbandsvertreter zurück.

Die Liste der Grausamkeiten ist lang. So wollen die Verleger freie Hand für regionale Abweichungen vom Flächentarif, natürlich nach unten, für Kürzungen von Weihnachts- und Urlaubsgeld bei Beschäftigten mit krankheitsbedingten Fehlzeiten, und sie wehren sich vehement gegen die überfällige Einbeziehung der Online-Journalisten in den Tarif. Darüber geriet die Forderung von DJV (6,0) und dju/Verdi (5,5 Prozent) für einen deutlich über der Inflationsrate liegenden Gehaltsaufschlag ins Hintertreffen. Mit der Parole "Wir sind die Guten" und der Begründung "Gutes Geld und gute Bedingungen für gute Arbeit" versuchen Journalisten und Fotografen, spät genug, gegenzuhalten.

Erst jetzt, in der achten Verhandlungsrunde und nach mehreren Streiktagen mit nennenswerter Beteiligung in Baden-Württemberg, signalisierten die Unterhändler der Verlage Bereitschaft, über die Forderungen der Journalisten überhaupt zu reden. Die wollen sich nicht länger hinhalten lassen. Vor der nächsten Verhandlungsrunde (26. März) drängen vor allem die Belegschaften im Südwesten auf eine härtere Gangart, also Streiks über mehrere Tage. Auch eine Urabstimmung oder Mitgliederbefragung wird von der Basis gefordert, was insbesondere der DJV-Verbandsspitze im Wissen um eine deutlich geringere Mobilisierung nördlich der Mainlinie Schweißperlen auf die Stirn treibt.

StZ und StN: Wie unabhängig sind die beiden Blätter noch?

Der Umbau ganzer Verlagshäuser wie etwa bei Springer in Hamburg und Berlin, die ungewisse Zukunft von Traditionstiteln wie der "Frankfurter Rundschau" oder der "Abendzeitung" in München, Gebietsabsprachen zwischen Verlagshäusern, Kooperationen ehemals konkurrierender Blätter wie jetzt in Stuttgart oder Köln über die Köpfe der Redaktionen hinweg sowie die stets präsente Keule betriebsbedingter Kündigungen wecken allenthalben Zukunftsängste. Zielsetzung hier wie dort: Arbeitsplatzabbau um buchstäblich jeden Preis, der rasch substanzgefährdende Züge annimmt.

Pikant an dem jüngst verfügten Rückzug der "Stuttgarter Nachrichten" aus der eigenständigen Regionalberichterstattung und der Übernahme von Texten der Schwesterzeitung "Stuttgarter Zeitung": Diese Vermengung redaktioneller Inhalte steht im krassen Gegensatz zum Ausgang des Kartellverfahrens, in dem die Zeitungsgruppe Stuttgart einst die Genehmigung des gemeinsamen Anzeigenteils von StZ und StN erstritten hatte. Die StZ-Anzeigengemeinschaft war nach der Übernahme der StN 1974 durch die Südwestdeutsche Medienholding (SWMH) eingeführt worden, um der notleidenden Zweitzeitung das Überleben zu sichern. Die Wettbewerbshüter hatten letztinstanzlich verfügt, diese Zwangsbelegung sei nur statthaft, um den Fortbestand zweier redaktionell unabhängiger Tageszeitungen zu gewährleisten. 

Geklagt gegen die auch bei der Werbewirtschaft nicht unumstrittene Wettbewerbsbeschränkung hatte seinerzeit der Rotenberg-Verlag der lokalen "Cannstatter Zeitung" und deren Herausgeber Otto Wolfgang Bechtle, zugleich Mehrheitsgesellschafter der "Eßlinger Zeitung". Nicht nur weil der streitbare Verleger OWB mittlerweile verstorben ist, wäre eine solche Konfrontation heute schwerlich vorstellbar. Die SWMH hält inzwischen ihrerseits Anteile an der EZ, bei der SWMH-Chef Rebmann daher über Sitz und Stimme im Gesellschafterkreis verfügt. Auf der Strecke bleibt bei derlei Verflechtungen der für den Erhalt publizistischer Vielfalt unerlässliche Wettbewerb.

Nun rächen sich die Versäumnisse der Vergangenheit. In keiner Branche ist es um die Mitbestimmung der Beschäftigten so schlecht bestellt wie bei den Medien, deren Eigentümer auf das Privileg des Tendenzschutzes pochen. Betriebsräte in Verlagshäusern können über die Qualität des Kantinenessens oder des Toilettenpapiers befinden, die Ausrichtung einer Zeitung oder die Arbeitsbedingungen ihrer Redaktion (und damit deren Arbeitsergebnisse) bestimmen allein die Verleger. Oder deren Manager.

So hatten sich die Alliierten und die von ihnen mit dem Aufbau einer demokratischen Zeitungslandschaft beauftragten Presseoffiziere die Zukunft so wenig vorgestellt wie die Väter des Grundgesetzes. Erstere statteten politisch unbelastete Personen mit Lizenzen aus, und die verfassunggebende Versammlung sicherte über Artikel fünf des Grundgesetzes das Grundrecht der freien Meinungsäußerung als wichtigste Voraussetzung für eine freie Presse ab. Die Ausgestaltung der inneren Pressefreiheit, also das Zusammenwirken von Verlegern und Publizisten (und damit deren Mitbestimmung), sollte nachgeholt und über ein vom Bundestag zu verabschiedendes Presserechtsrahmengesetz geregelt werden.

Anläufe hierzu gab es immer wieder. Den letzten hatte sich Herta Däubler-Gmelin als Justizministerin vorgenommen. Ihr Entwurf freilich setzte im Kanzleramt Staub an. Der Kanzler der Bosse, Gerhard Schröder, der später Berater des größten Schweizer Verlags, Ringier, werden sollte, hatte Wichtigeres zu tun. Die Lobbyarbeit der Verleger tat ein Übriges.

Die Journalisten haben sich gerne mit Zuckerle verhätscheln lassen

Wir Journalisten sollten darüber nicht vergessen, uns an der eigenen Nase zu packen, haben wir uns doch in Zeiten satter zweistelliger Renditen gern hätscheln lassen mit den Zuckerle der Verleger wie komfortables Tarifwerk, Zusatzurlaub, steuerfreier Sonntagszuschlag. Darüber geriet das Thema innere Pressefreiheit, also Mitbestimmung in Tendenzfragen, aus dem Blickfeld. Was sich jetzt rächt. Wir waren es gewöhnt, den Wandel in Gesellschaft und Wirtschaft vom Balkon aus zu verfolgen und mit klugen Ratschlägen zu begleiten. Dass wir nun plötzlich selbst betroffen sind, trifft uns unvorbereitet.

Wie weiter also? Mit der bequemen Beobachterrolle muss Schluss sein. Wir sind Dienstleister mit dem Medium der Sprache und der Bilder. Wir reflektieren die Wirklichkeit tunlichst nicht von oben, sondern auf Augenhöhe mit unseren Kunden, den Noch-immer-Lesern. Sie erwarten von uns Information und Kommentierung auf der Grundlage gründlicher Recherche. Dies setzt Unabhängigkeit von politischen und wirtschaftlichen Interessen voraus. Verleger, die ihre Zeitungen kaputtsparen, diese zu Verlautbarungsorganen und Amtsblättern degenerieren, indem sie mit von PR-Agenturen konzipierten Sonderveröffentlichungen sowie mit dem ungeprüften Abdruck von Pressemitteilungen Journalismus vortäuschen, sollten sich nicht länger auf den Tendenzschutz berufen und den ermäßigten Mehrwertsteuersatz beanspruchen dürfen.

Um derlei Konflikte im eigenen Haus durchstehen zu können, ohne den Arbeitsplatz zu riskieren, wäre Waffengleichheit zwischen Herausgebern und ihrem schreibenden und gestaltenden Personal vonnöten. Die aber ist nicht einmal andeutungsweise vorhanden. Einige nach 1968 im Gefolge von Willy Brandts Parole "Mehr Demokratie wagen" verabschiedete Redaktionsstatute blieben hehre Absichtserklärungen ohne jede Rechtsverbindlichkeit, da von Verlegerseite bestenfalls wohlwollend zur Kenntnis genommen. Große Ausnahme: das Statut des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel", dessen Gründer Rudolf Augstein der Mitarbeiter-KG knapp die Hälfte des Verlagskapitals (und 50,5 Prozent des Gewinns!) übertragen hat. Dies übrigens auch aus der Sorge heraus, Mitgesellschafter Gruner und Jahr könne nach Augstein zusammen mit dessen Erben das "Sturmgeschütz der Demokratie" in Richtung Kommerz trimmen.

Die Verleger sägen an dem Ast, auf dem sie sitzen

Von Einsicht aufseiten der Verleger, in der Stunde null quasi treuhänderisch als Lizenznehmer eingesetzt, können wir Journalisten nur träumen. Wie sehr sie die Rolle der Herren im Haus verinnerlicht haben, zeigt sich gerade in der Krise. Da wird blindlings an Ästen gesägt, auf denen sie selbst und ihre Belegschaften sitzen, indem ausgerechnet Kernkompetenzen wie die eigenständige Berichterstattung aus dem Verbreitungsgebiet zurückgefahren werden.

Soll sich an dem frustrierenden Zustand, von jeder faktischen Mitwirkung an den eigenen Arbeitsbedingungen ausgeschlossen zu sein, irgendwann etwas ändern, dann dürfen wir keine weitere Zeit verlieren. Dazu bedarf es eines langen Atems. Und wir brauchen Verbündete. Da sind zuvorderst die LeserInnen, also die Noch-immer-Leser und möglichst viele Demnächst-wieder-Leser. Und Politiker aller Lager, denen es ernst ist mit der Demokratie und mit Medien, die ihre Kontrollfunktion aus eigener Stärke, die auf Unabhängigkeit gründet, wahrnehmen.

Also runter vom Balkon, raus ins Leben, ran an unsere Nutzer. Am besten, wir fangen damit schon jetzt in diesem Arbeitskampf an. Belassen wir es also nicht bei der Parole "Wir sind die Guten – für guten Journalismus", sondern nutzen wir die Kundgebungen, die Streikpostillen und das Internet, um die Öffentlichkeit über die Zumutungen der Verlagsherren aufzuklären und Allianzen zu schmieden mit allen, denen an einer funktionierenden vierten Gewalt gelegen ist.

 

Bruno Bienzle, Jahrgang 1943, war bis 2007 Leiter der Lokalredaktion der "Stuttgarter Nachrichten".


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8 Kommentare verfügbar

  • Bruno Bienzle
    am 29.03.2014
    Antworten
    Lieber Herr Prothmann,
    wie gern würd' ich dran glauben! Also hoffe ich vorerst mal. In den nächsten Wochen entscheidet sich, ob wir Journalisten uns hinhalten und uns mit ein bisschen Kosmetik am "Tarifwerk Zumutung" abspeisen lassen. Zu lange waren wir auf Prozente und auf Besitzstand fixiert.…
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